Schurter will kein Rockstar sein"Ich bin Biker!"

Henri Lesewitz

 · 14.08.2016

Schurter will kein Rockstar sein: "Ich bin Biker!"Foto: Gary Perkin,Hersteller
Schurter will kein Rockstar sein: "Ich bin Biker!"

Nino Schurter hat Bronze und Silber bei Olympia gewonnen. Ein unhaltbarer Zustand für den Perfektionisten, der sogar seinen Körper scannen lässt, um alles aus sich rauszuholen. Jetzt will er Gold.

Nino Schurter

Der Schweizer Nino Schurter (geb. 13. Mai 1986) wuchs in einer Biker-Familie im Valsertal auf. Die Kombination aus Power und Fahrtechnik katapultierte Schurter schnell in die Top-Liga der weltbesten Mountainbiker. Mit 23 Jahren gewann er als bis dahin jüngster Fahrer der Bike-Geschichte die Elite-WM. Weitere Titel folgten. Als größte Niederlage seiner Karriere bezeichnet Schurter die Silbermedaille bei der Olympiade in London. Er war nach hartem Fight knapp Jaroslav Kulhavy unterlegen. Schurter fährt für das Team Scott-Swisspower von MTB-Legende Thomas Frischknecht.
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  Mehrmaliger Weltmeister und Worldcup-Gesamtsieger: Nino Schurter hat fast alles erreicht, was man im Mountainbike-Sport erreichen kann. Nur die olympische Goldmedaille fehlt ihm noch.Foto: Henri Lesewitz
Mehrmaliger Weltmeister und Worldcup-Gesamtsieger: Nino Schurter hat fast alles erreicht, was man im Mountainbike-Sport erreichen kann. Nur die olympische Goldmedaille fehlt ihm noch.

"Ich, ein Rockstar? Ich bin Biker. Mit Rockstar hat das gar nichts zu tun."

Die Schatullen stehen aufgeklappt im Regal, direkt neben dem Fernseher. Links die mit der Bronzemedaille aus Peking, rechts die mit der silbernen aus London. Nino Schurter kann sie von seinem kastanienbraunen Ledersofa aus sehen. Es wirkt fast so, als sollten sie ihn mahnen, wie unvollständig das Ensemble ist.

Nino Schurter hat nahezu alles erreicht, was ein Biker erreichen kann. Er hat den Gesamt-Worldcup gewonnen und mehrere Weltmeisterschaften. Er hat zwei Olympia-Medaillen. Doch das Wertvollste, das es im Sport zu gewinnen gibt, fehlt noch. Im August will er die Medaillensammlung nun vervollständigen. Auf das Olympia-Rennen in Rio ist alles ausgerichtet.

Es ist nicht leicht, einen Termin zu bekommen. Schurter ist kein Medientyp. Zudem kam im Oktober 2015 Töchterchen Lisa-Sophia auf die Welt. Schurter empfängt in seinem prächtigen Haus oberhalb von Chur. Viel Glas, viel Holz, auf der riesigen Panoramaterrasse ein Whirlpool. Im Untergeschoss befindet sich der voll ausgestattete Trainingsraum. Das Diktiergerät ist gerade eingeschaltet, da ruft Gattin Nina euphorisch vom Stubenwagen herüber: "Schau, sie lacht!" Schurter nimmt ein Schluck von seinem Cappuccino und lächelt sanft.

Interview mit Nino Schurter


BIKE: Was ist aufregender? Weltmeister zu werden oder Vater zu werden?
Nino Schurter: Ganz klar: Vater werden. Alleine schon die Geburt. Das war das Emotionalste, das ich je erleben durfte.


Wie war das, als Du Deine Tochter das erste Mal im Arm gehalten hast?
Das Schönste überhaupt. Als Mann kann man bei einer Geburt ja nicht viel machen. Du stehst daneben und versuchst zu motivieren, so gut es geht. Und dann ist das Kind da. Ein gewaltiges Gefühl.

  Die Geburt von Töchterchen Lisa-Sophia bezeichnet er als emotionalsten Moment seines Lebens. Man beachte die Regenbogenstreifen der Baby-Schuhe.Foto: Henri Lesewitz
Die Geburt von Töchterchen Lisa-Sophia bezeichnet er als emotionalsten Moment seines Lebens. Man beachte die Regenbogenstreifen der Baby-Schuhe.


Du bist direkt nach der Geburt nach Rio geflogen, um am Olympia-Testrennen teilzunehmen. Das hätte sicher nicht jeder gemacht. Warum war Dir das Rennen so wichtig?
Ursprünglich hatte ich das nicht geplant. Der Geburtstermin wäre ja eigentlich etwas später gewesen, genau zum Zeitpunkt des Rennens. Für mich war klar, dass ich bei der Geburt dabei sein wollte. Aber dann kam das Baby früher. Es war gesund. Meine Frau war gut versorgt. Deshalb bin ich vier Tage später nach Rio geflogen. Ich wollte die Strecke unbedingt sehen. Immerhin will ich dort die olympische Goldmedaille gewinnen.


Bilder und Videos hätten nicht gereicht?
Schwierig. Es ist wahrscheinlich nicht extrem entscheidend, ob ich da war. Trotzdem: Wenn man so ein klares Ziel vor Augen hat wie ich, dann macht es die Vorbereitung natürlich etwas leichter. Wie sieht es da aus? Wie fühlt sich der Untergrund an? Wie ist das Klima? Alles ganz wichtige Fragen. Auf die Strecke kann man ja nicht einfach so drauf. Die wird streng bewacht. Damit niemand eine Bombe vergräbt oder so etwas. Erst vier Tage vor dem Rennen darf man dort offiziell trainieren. Olympia ist noch mal eine andere Nummer als ein Worldcup-Rennen.


Wie war das, so weit weg von der Familie?
Es war schon ein komisches Gefühl. Aber während des Rennens spielt es keine Rolle, ob man gerade Vater geworden ist oder nicht.

"Cross Country ist für mich der schönste Sport der Welt. Okay, das Leiden muss man natürlich etwas mögen."


Es heißt, Du gehst immer strikt Deine Linie. Manche sagen sogar, Du bist egoistisch. Bist Du ein Egoist?
Ich bin halt sehr fokussiert auf das, was ich erreichen möchte. Klar, als Sportler muss man irgendwo auch egoistisch sein. Man ist Rennfahrer. Man will gewinnen. Ob ich egoistisch bin, oder ob das der Sport so an sich hat, darüber kann man streiten. Ich hoffe natürlich nicht, dass ich im privaten Leben ein Egoist bin. (lacht)


Muss man sich entscheiden: Profi-Sein oder Vater-Sein? Oder kann man beides miteinander vermischen?
Das muss ich jetzt sehen. Ich hoffe, dass beides geht. Es sollte schon gehen. Meine Frau Nina wird viel übernehmen müssen. Alles eine Frage der Organisation.


Bist Du ein Star?
Ich fühle mich definitiv nicht als Star. Ich mache das, was mir Spaß macht. Und wenn das andere gut finden, dann freut mich das. Aber ein Star? Nein, so sehe ich mich nicht.


Du hast über 190000 Facebook-Fans.
Als Sportler wird man heutzutage auch daran gemessen, wie erfolgreich man in den sozialen Medien ist. Ich bin da sehr aktiv. Man sieht ja, dass Athleten, die in dem Bereich wenig tun, Schwierigkeiten haben bei der Sponsorensuche.

"Es gibt schon Momente, wo ich denke: Puh, da habe ich jetzt aber noch mal richtig Schwein gehabt."


Stimmt es, dass Du noch vor dem Duschen Fotos und Videos von den Rennen postest?
Na ja, nicht gerade vor dem Duschen. Aber es macht mir schon Spaß, Bilder zu posten oder Videos zu schneiden. In der vergangenen Saison hatte ich zweimal eine GoPro-Kamara dabei. Ich bin selbst begeistert, was das für Bilder gab. Man kann Content liefern, den es sonst so nirgendwo gibt.


Freeride-Videos werden im Internet millionenfach angeklickt. Youtube-Helden wie Danny MacAskill werden vergöttert wie Rockstars. Auf einer Skala von eins bis zehn: Wie sehr Rockstar ist man als Cross-Country-Weltmeister?
Ich, ein Rockstar? Ich bin Mountainbiker. Mit Rockstar hat das absolut gar nichts zu tun.


Andersrum gefragt: Wie wichtig ist eine gute Show?
Schlussendlich geht es ums Resultat. Ich werde dafür bezahlt, dass ich gut Rad fahre. Dafür braucht es keine Show. Es geht um Spitzensport. Der Beste soll gewinnen. Darum geht es.


Was macht den Unterschied aus zwischen einem erfolgreichen Sportler und einem Sportstar?
Ein Sportstar ist man, wenn man Massen bewegen kann. Dafür muss man allerdings auch in der richtigen Sportart zu Hause sein. Tiger Woods ist ein Sportstar. Roger Federer ist ein Sportstar. Aber ich? Nein, ich bin kein Sportstar.
Wobei doch viel mehr Leute biken, statt Tennis oder Golf zu spielen.

Biken war bisher immer zu kompliziert, um es spannend rüberzubringen. Und zu teuer. Ein Tennisfeld kannst Du mit vier Kameras perfekt abdecken. Ein Cross-Country-Rennen kann man mit vier Kameras nicht filmen. Doch inzwischen passiert was. Die Bilder werden immer spektakulärer. Was Red Bull mit Red Bull TV macht, ist schon gewaltig. Irgendwann wird es On-Board-Kameras geben, die Live-Bilder produzieren. Spätestens dann wird man den Speed und die Action auch im TV richtig intensiv mitbekommen.

  Beste Aussicht: Von der Terrasse seines Hauses aus hat Schurter freien Blick auf die Sensations-Landschaft, in der er als Knirps den Zauber des Mountainbike-Sports für sich entdeckte.  Foto: Henri Lesewitz
Beste Aussicht: Von der Terrasse seines Hauses aus hat Schurter freien Blick auf die Sensations-Landschaft, in der er als Knirps den Zauber des Mountainbike-Sports für sich entdeckte.  


In den Neunzigern wurden Worldcup-Rennen zum Teil live übertragen. Damals wurden die Fahrer regelrecht vergöttert, auch, weil es so charakteristische Typen waren. Tinker Juarez, der lässige Hippie. John Tomac, das coole Pokerface. Mike Kluge, der schöne Sonnyboy. Für welchen Typ stehst Du?
Das müssen andere beurteilen. Ich probiere nicht, irgendein Typ zu sein. Ich bin ich.


Okay, trotzdem: Was würdest Du sagen?
(überlegt) Keine Ahnung. Ich versuche einfach, alles perfekt zu machen.


Also: der Perfektionist?
Ja, meinetwegen. Aber wie gesagt: Es geht nicht darum, irgendeine Rolle zu spielen.


Von wem hast Du früher ein Poster über dem Bett hängen gehabt?
Von Thomas Frischknecht. Ich kam aber nicht zum Biken, weil ich Fan von jemandem war. Ich bin in einem kleinen Dorf aufgewachsen. Da war es einfach super zum Radfahren. So bin ich dazu gekommen, von klein auf. Beim Schweizer Cup gab es für die drei Ersten immer ein Sieger-Trainingscamp. Da war dann auch mal Thomas Frischknecht zu Besuch. Ich hatte ihn vorher gar nicht gekannt (lacht). Ich habe von ihm ein Poster bekommen. Tja, und da habe ich es mir eben ins Zimmer gehängt.

"Cross Country ist ein sehr mentaler Sport – ein ständiger Kampf mit sich selbst."


Wie fühlt sich ein Cross Country an?
Viel Schmerz. Aber wenn man sieht, der andere ist ebenfalls am Limit, dann macht der Zweikampf auch Spaß. Cross Country ist ein sehr mentaler Sport. Man muss sich immerzu selbst motivieren. Es ist ein ständiger Kampf mit sich selbst.


Was ist so schön daran?
Es ist die perfekte Verschmelzung von Kraft, Ausdauer und Technik.


Cross-Country-Fahrer gelten als asketische Sport-Maschinen, die niemals Bier trinken. Stimmt dieses Bild?
Wenn Du heutzutage erfolgreich sein willst, dann musst Du absolut fokussiert sein. Ernährung, Training, Erholung, jedes Detail zählt.

  Beim Sport ist Nino Schurter gnadenlos zu sich und zu seinen Gegnern. Um jede einzelne Muskelfaser zu triezen, absolviert er akrobatische Koordinationsübungen.Foto: Henri Lesewitz
Beim Sport ist Nino Schurter gnadenlos zu sich und zu seinen Gegnern. Um jede einzelne Muskelfaser zu triezen, absolviert er akrobatische Koordinationsübungen.


Im Netz gibt es spektakuläre Freeride-Videos von Dir. Warum bist Du Cross-Country-Fahrer geworden?
Mein Bruder ist eine zeitlang Downhill-Rennen gefahren. Ich selbst auch. Mein Vater war Nationaltrainer der Downhiller. Ich habe sehr früh begonnen, im anspruchsvollen Gelände bergab zu fahren. Downhills machen mir Spaß. Aber für mich ist Cross Country einfach der schönste Sport der Welt. Man kann von der Haustür aus losfahren. Man ist fit, man braucht keine Gondel. Okay, das Leiden muss man natürlich ein bisschen mögen.


Wenn man Dich bei den Worldcups bergab fahren sieht, stockt einem der Atem. Bist Du ein besonders guter Abfahrer oder einfach nur besonders verrückt?
Man kann kein Rennen in den Abfahrten gewinnen, aber man kann es verlieren. Wenn man weiß, man kann ein paar Meter rausholen, dann muss der andere das Loch erst mal wieder zufahren. Ich gehe kein besonders hohes Risiko ein. Aber klar, nicht jede Situation kann man einhundert Prozent kontrollieren.


Machst Du Dir manchmal hinterher Gedanken, was hätte passieren können? Ihr Cross-Country-Fahrer tragt keinerlei Protektoren.
Es gibt schon Momente, wo ich denke: Puh, da habe ich jetzt aber noch mal richtig Schwein gehabt. Das gehört zum Sport dazu. Man muss ans Limit gehen. Aber was steht auf dem Spiel? Man versucht, ein Rennen zu gewinnen. Und manchmal klappt es. Und manchmal eben nicht.


Es könnte auch im Krankenhaus enden, oder im Rollstuhl.
Solche Momente hatte ich selten, wo ich das Gefühl hatte, dass ich bei einem Sturz nicht mehr aufgestanden wäre. Cross Country sieht manchmal gefährlich aus, aber es ist kein sonderlich gefährlicher Sport. Man ist nicht wirklich schnell unterwegs, verglichen mit Downhill.


Du hast bei der Olympiade in Peking Bronze und in London Silber gewonnen. Jetzt willst Du in Rio Gold. Was ist Dein Plan?
Alles um mich herum zu optimieren. Ich habe Tests gemacht, welche Nahrung ich am besten vertrage, um vielleicht noch ein halbes Kilo Gewicht zu verlieren. Wir haben mit dem Team die Roll- und Grip-Eigenschaften aller möglichen Reifen getestet. Ich lasse mich von Kopf bis Fuß scannen, um zu schauen, wie die Muskelmasse verteilt ist. Ich absolviere Leistungs-, Kapazitäts- und VO2-Max-Tests. Wenn man ohnehin schon konsequent lebt, dann ist es sehr, sehr schwierig, noch etwas zu verbessern.

  Das Ziel im Fokus: Nino Schurter will Gold in Rio. Dafür optimiert der junge Familienvater gerade alles.Foto: Henri Lesewitz
Das Ziel im Fokus: Nino Schurter will Gold in Rio. Dafür optimiert der junge Familienvater gerade alles.


Glaubst Du, dass Du Dich als Familienvater weiter einhundert Prozent auf den Sport konzentrieren kannst?
Ja, weil die Zeit, die du nicht an den Sport denkst, genauso wichtig ist. Man muss abschalten können, auch mal eine normale Person sein, Familienvater. Es ist wichtig, sich nicht immer nur als Sportler zu sehen.


Stehst Du nachts auf, um Babywindeln zu wechseln?
Ja. Natürlich hoffe ich, dass das gerade nachts irgendwann nicht mehr so oft nötig ist. Momentan übernehme ich aber auch eine Schicht.


Das Interview mit Nino Schurter finden Sie in BIKE 1/2016.
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