Expeditionsleiter Raphael Albrecht (Rapha) möchte nicht nur mit Abenteuerdrang und großen Zahlen auf sich aufmerksam machen. Flugverbot für alle Teilnehmenden bei An- und Abreise, Ausgleich aller entstandenen CO2 Emissionen durch den Veranstalter, Soli- und FLINTA-Tickets für unterrepräsentierte Gruppen, gemeinsames Fahren ohne Zeitlimit, um ein paar Eventdetails zu nennen, die zu einem offenen und inklusiven Teilnehmerinnenfeld führen sollen.
Weniger als die Hälfte der Startenden schaffte es ins Ziel. Das lag nicht nur an unbändigem Terrain, Anstiegen mit bis zu 30 %. Dauerregen, Schnee und Minusgrade forderten die Teilnehmenden im italienischen Spätsommer und verlangten einigen ihr erstes DNF (did not finish) ab.
Laura Niedieck (zweitschnellste Frau Entrée Route) und Lukas Hörnchen gehören zu den wenigen Finishern und haben zurückgeschaut auf ein Event, das ganz sicher ein paar Erinnerungen fürs Leben geschaffen hat.
Text: Laura Niedieck und Lukas Hörnchen
Knapp drei Wochen nach der ersten Sneak Peaks Bikepacking Expedition haben wir unsere überwältigenden Erlebnisse immer noch nicht ganz verarbeitet. Wir, Lukas und Laura aus Bochum, haben als Team an Sneak Peaks teilgenommen. Mit knapp 500 Kilometern und 17.000 Höhenmetern war dies unser erstes offroad Ultracycling-Event. Anfang des Jahres sind wir bereits das Straßenrennen “The Unknown Race 2024” gefahren. Nach einigen Orbits und Gravity-Festivals kennen wir Rapha und seine Art Routen zu scouten ganz gut, aber bei diesem Event wurden unsere Erwartungen definitiv übertroffen. Das Zitat eines anderen Fahrers “orange is the new green”, mit Verweis auf die Farben der Anstiege des Fahrradcomputers, war sehr prägend für unser Abenteuer.
Wir starteten am Donnerstagmorgen mit einer Mischung aus Vorfreude und Aufregung, was uns die nächsten Tage erwarten würde. Es dauerte nicht lange, bis wir auf die ersten Höhenmeter trafen und den ersten von vier Checkpoints nach ca. 65 Kilometern erreichten. Als wir abends gegen 19 Uhr sehr geschafft am Refugio Cauriol ankamen, waren wir unsicher, ob wir die Fahrt zu Checkpoint 2 fortsetzen sollten, da eine 3,5 Kilometer lange hike-a-bike Passage durch ein Steinfeld bevorstand. Als ein anderer Fahrer uns aus dem Fenster des Refugios zurief, dass es freie Betten, eine warme Dusche und Abendessen gibt, war die Entscheidung gefallen.
Mit ca. 15 anderen Fahrer*innen blieben wir die Nacht in der gemütlichen Hütte und starteten am nächsten Morgen sehr früh mit neuer Energie in den Tag. Uns war noch nicht bewusst, dass der zweite Tag unser längster Tag im Sattel mit 135 Kilometern und knapp 5.000 Höhenmetern in 18 Stunden werden sollte. Zunächst erwartete uns ein traumhaftes Bergpanorama bei Sonnenaufgang. Auch wenn das viele Schieben und Tragen des Fahrrads vor allem Laura an ihre körperlichen Grenzen gebracht haben, hat ein Blick auf die wunderschöne Landschaft die Anstrengung und den Ärger kurzzeitig vergessen lassen. Einen Anstieg später erreichten wir bereits den zweiten Checkpoint, was für neue Motivation sorgte. Es war sehr schön, immer wieder andere Fahrer*innen zu treffen, mit denen wir die Erlebnisse teilen durften.
Die Anstiege waren teilweise sehr technisch und kräftezehrend. Immer wieder gab es Passagen, auf denen wir unsere Räder schieben mussten, fluchend. Doch am Ende eines jeden Anstiegs wurden wir mit atemberaubenden Ausblicken auf die Dolomiten belohnt. Bei Sonnenuntergang schloss sich ein Dotwatcher an, also eine Person, die auf der Karte die Teilnehmenden beobachtet. Das war ein schöner Motivationsschub und wir genossen es den nächsten Anstieg in netter Gesellschaft. Dank sehr steiler Passagen blieb genug Zeit mit ihm zu quatschen - wenn uns nicht gerade die Puste ausging und wir trotz Asphalt nicht mehr fahren konnten. Nach einer nächtlichen Begegnung mit Kühen beendeten wir den Tag kurz vor Mitternacht. Unser ursprünglicher Plan sah vor, dass wir Checkpoint 3 erreichen. Wir brauchten deutlich länger als erwartet, sodass wir im Tal biwakierten.
Tag 3 begann mit dem Highlight Refugio Scarpa (Checkpoint 3), wo wir sehr herzlich empfangen wurden und frisch zubereitete Pasta und leckeren Kaffee zum Frühstück genießen konnten. Auch hier wurde der Aufstieg belohnt mit traumhaftem Bergpanorama. Ab nachmittags waren 16 Stunden (Stark-)Regen angesagt, weshalb wir nicht allzu lange verweilten und den nächsten Anstieg erklommen. Den verständnislosen Blicken der absteigenden Wandernden, warum wir bei der Wettervorhersage unsere Räder einen über 20 % steilen Berg hochschoben, mussten wir irgendwann ausweichen. Hinterfragt haben wir dieses verrückte Abenteuer schon das ein oder andere Mal, aber an Aufgeben haben wir nicht gedacht. Nicht einmal als ich, Laura, ein körperliches und mentales Tief am letzten Anstieg des Tages hatte. Als uns der Regen erwischte, schafften wir es ins Hotel. Ich war sehr froh, dass ich nicht allein war und Lukas mich stets motiviert hat weiterzumachen.
Nach wohltuenden 9 Stunden Schlaf genossen wir ein ausgiebiges Frühstück mit zwei anderen Fahrer*innen, die in gleichem Hotel Schutz vorm Regen suchten. Es ging weiter zu Checkpoint 4, wo wir ein weiteres Mal über die gigantischen Berge der Dolomiten staunen konnten. Wir ließen uns die italienische Küche abends schmecken und nahmen direkt noch eine Calzone fürs Frühstück mit.
Die letzte Nacht schliefen wir erneut im Bivy auf 1.700 Metern und trotz der Erschöpfung blieben wir noch etwas wach, um den schönsten Sternenhimmel mit Bergmassiv im Vordergrund zu bestaunen. Für diese Momente lohnten sich die vielen Stunden berghoch und wir waren sehr froh, dies miteinander teilen zu können.
Am letzten Tag standen nochmal zwei knackige Anstiege bevor. Doch die Mediacrew und Rapha, die immer gute Laune verbreiteten, haben für einen Motivationsschub gesorgt, sodass wir nachmittags im Ziel in Bozen einrollten. Einfach verrückt, was wir hier die letzten Tage erlebt haben. Trotz all der Strapazen überwogen im Ziel - und auch jetzt noch - die positiven Emotionen, welche die ganzen Anstrengungen langsam vergessen lassen.
Wir sind die gesamte Zeit als Team gefahren, wovon wir beide mit unseren unterschiedlichen Stärken profitierten. Für Lukas, der zwar ab und zu auf Laura warten musste, hat es sehr geholfen die Tagesstruktur und Resupply gemeinsam zu planen und Laura gab es vor allem im Bivvy sehr viel Sicherheit nicht allein zu nächtigen. Davon abgesehen war es einfach schön das wohl verrückteste Abenteuer, was wir bisher gemacht haben, zusammen zu erleben. Vorab sind wir bereits viele Kilometer zusammengefahren, sodass wir die Bedürfnisse des*r anderen kannten und darauf eingehen konnten. Bei diesem Event war alles dabei, sodass wir extreme Emotionen von hoch bis tief durchlebten. Wir haben unseren persönlichen Grenzen kennengerlernt und haben sie verschoben. Besonders bleiben zum einen die mächtigen Berge der Dolomiten in Erinnerung. Zum anderen war die schöne Stimmung unter den Fahrer*innen prägend, weil wir das Gefühl hatten diese Herausforderungen gemeinsam zu meistern. Es war kein kompetitives Rennen, sondern wir teilten den Abenteuermodus mit den anderen.