Dimitri Lehner
· 27.04.2025
BIKE: Elias, gerade ist die 9. Auflage des Darkfests zu Ende gegangen. Schon wieder daheim?
Elias Ruso: Ja, gestern in Wien gelandet, und ich habe jetzt schon den Darkfest-Blues, obwohl ich gar nicht gefahren bin. Die Good Vibes vermisse ich jetzt schon.
Du hattest dir bei der Freeride-Fiesta in Mexiko das Kreuzband im Knie gerissen, bist aber dennoch hingefahren. Warum?
Die Stimmung dort ist einfach der Hammer. Das wollte ich nicht verpassen. Das Darkfest ist der MTB-Event mit den besten Vibes. Das wird dir jeder bestätigen, der dort mitmacht. Dieses Highlight will sich niemand entgehen lassen, auch ich nicht.
Dein Bruder stand als Fahrer auf der Riderliste. Ich hatte ihn in den Web-Edits gar nicht gesehen.
Er war da, doch nur für drei Tage. Er hat sich leider beim „Masters of Dirt“ die Schulter verletzt, unmittelbar vorm Darkfest. Er hat sich voll auf Physio gestürzt, damit er jetzt die Shows „Masters of Dirt“ wieder mitfahren kann. Doch fürs Darkfest war er leider noch nicht fit.
Dieses Jahr wurde der Darkfest-Kurs weiter ausgebaut. Was war neu?
Neu und spektakulär war die Quarterpipe, direkt links neben dem Step-Up, und die folgende Transfer-Line. Du musstest also nach der Quarter mit einem Sharkfin-Sprung über die andere Line drüber springen. Die Bau-Crew hatte mit schlechtem Wetter zu kämpfen. Eigentlich sollte noch mehr neu gebaut werden. Nächstes Jahr dann, für die 10. Ausgabe, gibt es sicher mehr Neuheiten. Das Jubiläum soll crazy werden.
Die neue Quarter sah spannend aus. Doch dem 110-Fuß-Monstersprung konnte nichts die Show stehlen. Das wurde bei Matt Jones deutlich. Wenn einer der besten Freerider sagt: "Eigentlich könnte ich hier Spaß haben, doch ich kann’s nicht, weil da der 110er steht. Ich will ihn nicht springen, aber ich muss ihn springen. Das schnürt mir die Kehle zu."
Ja, Matt Jones wollte den 110er schon letztes Jahr knacken. Doch als er es versuchen wollte, war es zu windig. Und auch dieses Jahr ging seine 110er-Jagd weiter. Der Arme litt unter dem Druck, den er sich selbst machte.
Ist der 110er nach wie vor der größte Sprung der Welt im MTB-Sport?
Der 110er ist nach wie vor der größte Sprung der Welt. Matt Jones sprang sogar etwas zu weit – 35 Meter weit. Für ein Mountainbike ist das riesig. Das ist der Sprung, der die meisten Nerven kostet. Ich habe das hautnah mitbekommen. Jeder, der den 110er dieses Jahr gesprungen ist, hat das erleben dürfen, ja müssen: Erst maximale Anspannung und danach maximales Glück. So war es bei mir auch letztes Jahr.
Ich habe auch schon gehört, dass das LooseFest von Nico Vink für sich beansprucht, den größten Sprung der Welt zu haben. Was sagst du dazu?
Die Doubles in Belgien sind auf alle Fälle kleiner, sie haben zwischen 25 und 28 Meter. Und der 110er beim Darkfest misst 34 Meter – das ist schon ein deutlicher Unterschied. Doch der Step-Down beim LooseFest ist riesig und kommt auf zwei, drei Meter an den 110er ran. Aber vom Feeling her ist das was ganz anderes, wenn du nach unten fällst wie beim Drop und nicht in die Weite wie beim Double.
Wie ist das Gefühl in der Luft bei so einem XXL-Airtime-Jump?
Du fliegst ewig. Wir haben die Geschwindigkeit gemessen mit einer Radarpistole. Es sind tatsächlich 75 km/h bei der Anfahrt auf den Absprung – und das auf einem Fahrrad! Das ist ziemlich brutal. Du wirst wie auf einer Kanonenkugel rausgeschossen. Krasse Nummer, doch die Belohnung ist dafür umso größer.
Das hat man mitbekommen: Jeder schreit sich danach vor Jubel die Seele aus dem Leib.
Ja, die Anspannung löst sich, und du bist einfach nur happy und freust dich. (Lacht)
Letztes Jahr sind nur drei Fahrer gesprungen: Tom Isted, Bienvenido Alba und du. Und dieses Jahr?
Matt Jones, Matt McDuff, Theo Erlangsen, Tomas Lemoine, Clemens Kaudela, Allesio Tonoli – und alle haben sich ziemlich in die Hose gemacht vor dem Sprung. Doch danach – und da waren sich alle einig – gab’s den fettesten Adrenalin-Rush, den sie je hatten. Bei allen waren die Nerven durch – außer vielleicht bei Bienvenido, der schon im dritten Jahr in Folge gesprungen ist.
Bei Clemens Kaudela sah der 110er ziemlich souverän aus, nicht nach Nervenflattern. Er hatte auch die Nerven für eine Style-Einlage. Ist Clemens wieder voll da nach seinen Rampage-Dramas und Verletzungen?
Ja, Clemens hat eine Zeit gebraucht, die Rampage-Stürze wegzustecken. Das hat mental sicher eine Narbe hinterlassen. Mich freut, dass er wieder zu seiner alten Form zurückgefunden hat.
Wie exklusiv ist der 110er-Club, wer ist da noch drin außer den genannten Namen?
(Lacht). Wir sind maximal 12 Leute im 110er-Club, glaube ich. Mir fallen noch Sam Hodgson und Sam Reynolds ein.
Was ist mit Ridern wie Brendan Fairclough oder Talus Turk – die müssten den 110er doch auch draufhaben, oder?
Vom Skill-Level sicherlich. Ich vermute, sie hatten andere Ziele für die Woche. Talus wollte unbedingt unverletzt bleiben, denn er hatte sich beim Flatspin über den 90-Footer im letzten Jahr das Schlüsselbein zerschmettert. Und Brendog genießt beim Darkfest einfach die Zeit, will sich nicht stressen und hat andere Prios mit seiner Familie und den Dingen, die er am Laufen hat. Doch genau weiß ich es nicht, das ist meine Vermutung.
Tom Isted ist letztes Jahr im Backflip über den 110er gewirbelt – unglaublich.
Ja, beeindruckend. Doch er ist nicht alleine im 110er-Flipper-Club. Mit ihm dabei: Bienvenido Alba und Sam Hodgson. Dieses Jahr hat den 110er nur Bienve geflippt.
Das ist der einzige 110er-Trick: der Backflip?
Bisher. Denn die Konsequenzen sind zu heftig. Wenn nur ein bisschen Wind weht, wird’s höllisch gefährlich. Der Sprung braucht allen Speed, den du irgendwie nur zusammenkratzen kannst. Das musste auch Tomas Lemoine feststellen.
Warum?
Er ist nicht Vollgas gefahren und dann hätte es ihm um ein Haar „beide Beine abgerissen beim Casen“, um ihn zu zitieren. Denn Tomas sprang zu kurz. Er ist immer der Schnellste und dachte sich, dass er nicht mit Vmax reinracen muss. Falsch gedacht.
Dann hat er es sein lassen?
Nein, beim zweiten Mal ist er dann wie wir alle Vollgas gefahren. Beim 110er macht sogar die Luftdichte einen Unterschied. Morgens ist die Luft dichter. Geht schon, dachten sich Tom Isted und Carson Storch letztes Jahr und flogen zu kurz; sie mussten beide in der Luft abspringen. Der Luftwiderstand war zu hoch und deswegen fehlten fünf Meter Weite. Carson hat sich beim Sturz leider verletzt. Clemens Kaudela, Sam Reynolds und ich sind uns daher einig – denn ich quatschte mit den Burschen: Der 110er ist ein Sprung, den du nur abends wagen kannst.
Du bist letztes Jahr „King of Darkness“ geworden, der begehrteste Titel beim Darkfest. Dieses Jahr hat Matt MacDuff die Auszeichnung bekommen. Warum?
Spannende Frage. Ich war auch etwas überrascht, weil ich Kaiden Ingersoll als King of Darkness gesehen hätte. Doch vielleicht lag es daran, dass Matt den 110er gesprungen ist und Kaiden nicht. Matt hat einen krassen Cork 720, wenn nicht sogar einen 360 Flip am Step-Up, gemeistert, ist die ganze Woche souverän gefahren und hat gezeigt, dass er Big Air lebt und liebt. Doch meine persönliche Wahl wär Kaiden gewesen.
Was weißt du über Kaiden Ingersoll?
Ganz junger Bursche, gerade mal 19 Jahre alt. Er ist als Akrobat aufgewachsen, saß mit drei Jahren schon auf dem BMX, verbringt acht Stunden am Tag auf dem Bike, ist der Protegé von Nicholi Rogatkin. Kaiden hat ein massives Trainingsprogramm. Das ist die neue Generation von Mountainbikern. Er kam mit einem solchen Selbstvertrauen zum Darkfest, dass sich alle nur gewundert haben. Er hat vor keinem Sprung gezögert, auch wenn er den 110er nicht gemacht hat. Er wird in kommenden Slopestyle- und Freeride-Events ganz vorne mit dabei sein. Der Typ hat große Ziele.
Welcher Fahrer hat dich sonst noch geflasht?
Alessio Tonoli, auch Cornflakes genannt – das ist der Schweizer BMX-Gott, der seit einigen Jahren Mountainbike fährt. Der Typ ist eine absolut kranke Maschine. Er fährt seit 20 Jahren Fahrrad, und das siehst du. Er hat den „Best Whip“ abgestaubt, denn er schiebt das Bike um 180 Grad, das ist irre. Er fährt ohne Knieschoner, nur mit Helm, ist komplett loose unterwegs und hat einen unfassbar schönen Stil. Im Best Style ist der Typ schier unschlagbar, finde ich. Finley Kirschenmann, 19 Jahre alt, aus Salt Lake City oder irgendwo in Utah, war auch richtig beeindruckend. Krasse Freeride-Maschine, hat fast keine Sponsoren, macht die größten Cork-720er, Superman Seatgrabs, Flatspins über jeden Jump – komplett geisteskrank. Gemeinsam mit Kaiden und Alesio hat Finley Kirschenmann am meisten herausgestochen dieses Jahr.
Alle loben die perfekt geshapten Sprünge beim Darkfest. Welcher Sprung im Darkfest-Parcours hat den höchsten Funfaktor?
Der Step-Up. Weil hier die meisten Sessions passieren, spielt der Wind auch keine so große Rolle, er verzeiht sehr viel. Da haben alle den meisten Spaß. Doch von der Belohnung her, stoken die dicken Sprünge am meisten wie der 110er. Wenn du den gemacht hast, läufst du mit einem Dauergrinsen durch die Gegend.
Letztes Jahr hast du gemeinsam mit deinem Bruder im „Train“, also in dichter Folge, einen Double-Flip mit dem Bigbike versucht. Wo haut es dir den Puls mehr hoch – bei dem Stunt oder dem 110er?
Viel mehr beim 110er. Viel mehr! Der Double-Flip ist dagegen fast eine sichere Sache. Ich hätte ihn vielleicht sogar ausfahren können, doch Daniel hatte etwas zu wenig Speed, dann sind wir beide gecrasht. Wir wollten den Stunt eigentlich noch mal machen, doch mussten früher abreisen wegen des Starts der „Masters of Dirt“-Tour. Jetzt haben Verletzungen einen Strich durch die Rechnung gemacht, doch nächstes Jahr wollen wir den Double-Flip-Train landen. Der Trick steht dick auf unserer Bucketliste. Doch vom Angstgefühl her war der 110er viel intensiver. Da dachte ich „Oh Fuck!“. Oder Angst ist das falsche Wort, denn da denkt man eher an Panik und Kontrollverlust. Es ist eher eine brutale Anspannung.
Ein Double-Flip mit dem Bigbike erscheint mir auch heftig. Wer kann das außer euch?
In der großen Double-Flip-Liga sind z. B. Tom Isted, Adolf Silva, Bienve Alba, Tom van Steenbergen, der Argentinier Ian Batinio ...
Da gibt es also doch so einige, die einen Double-Flip mit dem Downhill-Bike hinkriegen.
8-10 Dudes kriegen das schon hin.
Was waren die Themen beim Darkfest? Will Clemens Kaudela wieder zur Red Bull Rampage? Worüber habt ihr gesprochen?
Genau darüber. Ich weiß gar nicht, ob Clemens noch mal zur Rampage will, denn er hat viele andere Projekte. Doch ich wünsche ihm, dass er wieder eingeladen wird. Kann aber gut sein, dass nicht. Du kennst die Rampage-Organisatoren. Die Plätze sind knapp und im Rampage-Zirkus geht’s ja auch darum, immer wieder neue Rider reinzubringen. Ich sprach auch mit Brendog (Brendan Fairclough) über die Rampage. Nach der Kontroverse um seinen Finalrun und der “schlechten” Platzierung scheint er die Lust etwas verloren zu haben. Mir hat sein ganz anderer, kreativer Ansatz sehr gefallen, in meinen Augen eine Bereicherung für die Rampage und ein erfrischender Gegenpol zum Big-Trick-Trend. Brendog klang nicht danach, dass er dieses Jahr wieder starten will, er sagt, er habe genug von dem Affentheater. Schade! Wir haben auch darüber gesprochen, wie wichtig es ist, für die Rampage ein neues Gelände zu finden. Alles andere wäre eine Katastrophe. Denn dann können die Rider nur noch mit noch fetteren Tricks reagieren und dann wird es irgendwann zu gefährlich. Das sah man schon letztes Jahr bei Tom van Steenbergen, der sich sagte: Ich mache einen Supertrick. Wenn ich den lande, kann sein, dass ich gewinne. Wenn ich ihn nicht lande, kann sein, dass ich sterbe. Er ging das Risiko ein und wurde am Ende Vierter – eine Mega-Enttäuschung für ihn.
Was sticht raus, wenn du auf den Freeride-Kalender 2025 schaust?
Logisch: Rampage natürlich. Zum ersten Mal gab es dieses Jahr die „Natural Selection“ in Neuseeland. Das Format hat mir sehr gut gefallen. Es ist eine Weiterentwicklung der ehemaligen Proving Grounds-Events. Die „Backyard Battles“ sind eine coole Nummer. Dieses Jahr veranstalten wir zwei eigene Events. Einen auf unserem Compound in Wien und einen in Innsbruck, wo wir Teile des Crankworx-Slopestyle nutzen und mit Clemens Kaudela umbauen.
+ Die Freeride-Brüder aus Wien Daniel und Elias Ruso im Interview
+ Was alles schief gehen kann am Körperbeispiel Elias Ruso
+ Wo du selber rocken kannst: z.B. in Leogang