Dimitri Lehner
· 10.03.2025
BIKE: Hast du dein Preisgeld schon bekommen?
Fischi: Welches Preisgeld? Für einen sechsten Platz gibt es nix. Ein sechster Platz interessiert niemanden. (Lacht!)
Doch, uns interessiert ein sechster Platz. Wir waren beeindruckt von deinem Lauf. Bist du nicht zufrieden mit deinem Run beim Red Bull Cerro Abajo Valparaíso?
Dafür wie ich mich gefühlt hatte, bin ich schon happy. Mein Problem war, dass ich von GasGas zu Raymon als Bike-Sponsor gewechselt bin. Das neue Enduro Rokua 170 von Raymon habe ich erst zwei Wochen vor Abreise bekommen. Ich wollte zwei Wochen testen und auf dem Bike trainieren, aber genau dann wurde ich krank und lag tatsächlich 10 Tage lang flach. Also wirklich flach im Bett. Deswegen habe ich nur zwei Fahrten geschafft bevor ich losgeflogen bin.
Ein Alptraum – und das vor einem der gefährlichsten Downhill-Rennen der Welt.
Ja, kein Vergleich zum Vorjahr. Da war ich top vorbereitet und bin super fit zum Rennen geflogen. Leider hatte ich letztes Jahr gleich am Anfang des Final-Laufs einen üblen Crash. Auf dem Rückflug hatte ich mir dann noch eine Lungenentzündung eingefangen und konnte gar nicht mehr zum nächsten Rennen nach Mexiko fliegen.
Dieses Mal hast du deinen Run ins Ziel gebracht und andere sind gestürzt – darunter viele Favoriten, – allen voran: die Kolumbianer.
Die Jungs haben alles gegeben. Wenn du das in Echt siehst, fällst du vom Glauben ab. Der Track ist viel krasser als er im Fernsehen rüber kommt. Und wenn du dann live erlebst, was die Kolumbianer da machen, drehst du durch. Denn die Konsequenzen beim kleinsten Fehler sind mörderisch. Beim ersten Trainingsrun ist Juanfer Velez gleich die Treppen “gedoubled” zwischen Telegrafenmast und Hauswand durch. Komplett krank. Normalerweise mache ich solche Sachen auch immer, wenn ich jemanden sehe, der springt. Doch da nicht. Das war mir dann doch zu gefährlich, denn du hast 45 km/h drauf. Ein kleiner Strauchler und du prallst gegen den Mast, donnerst in die Hauswand oder wickelst dich ums Geländer. Zu hohes Risiko – zumal der Sprung im Rennen dir gerade mal 0,3 Sekunden Vorteil verschafft hat.
Lag das auch an deiner fehlenden Trainingszeit?
Ganz klar. Für solche Stunts musst du dich sicher fühlen und voller Selbstvertrauen sein. Du musst dein Bike kennen und wissen wie es sich verhält in jeder Situation. Das hat mir gefehlt. Dazu kam, dass die neue Strecke extrem steil und extrem hart war. Zwei Teilnehmern sind die Bikes gebrochen. Mein Rayman Rokua ist ein sehr leichtes Enduro. Da musste ich erst mal Vertrauen aufbauen. Das ist mir jetzt gelungen mit diesem Race. Im Mexiko kann ich jetzt Vollgas geben.
Sieger Tomas Slavik meinte nach dem Race: „Es gibt Juanifer Velez und uns andere”. Ist Velez tatsächlich so überlegen?
Ich sage: Es gibt Juanifer Velez und Sebastian Holguin und uns andere. Sebastian ist der andere Kolumbianer, fast so gut wie Velez. Wenn ich die zwei im Training sehe, kann ich schlichtweg nicht glauben, was die machen. Die zwei haben so viel Selbstvertrauen und Skills, dass sie schier alles machen können. Allerdings muss man wissen, dass die zwei die Hälfte ihrer Trainingszeit im Jahr auf Treppen fahren. Superspezialisten! Vor Juanifer Velez habe ich den größten Respekt. Juanifer ist eines der größten Talente auf zwei Rädern, die ich je gesehen habe. Ich glaube, dass er auch im Worldcup ganz nach vorne fahren wird. Er wird ein Top-10-Fahrer, wenn er sein südamerikanisches Temperament etwas zügelt.
Versucht er während seines Runs auch noch stylish auszusehen oder ist das schnelles Fahren?
Das ist das neue Level des Fahrens. Von einer neuen Generation von Fahrern. Ähnlich den New-School-Motocrossern, die auch ständig quer fliegen. Die fühlen sich so wohl in der Luft, dass sie ihre Kisten hin und her legen wie sie es gerade brauchen.
Du hast die ganze Serie Red Bull Cerro Abajo gewonnen. Das war 2016. Sind die Rennen noch vergleichbar – was hat sich verändert?
Dass sich die Südamerikaner sich voll auf genau dieses Rennformat spezialisiert haben. Das Level ist dadurch irre gestiegen.
Hast du da dann überhaupt noch eine Chance?
Podium ist definitiv drin, wenn ich einen guten Lauf habe. Ich kann um den Sieg mitfahren, wenn ein paar der Favoriten patzen. Diesmal war ich wirklich nicht auf dem höchsten Level. Ich war krank, kannte das Bike nicht und dennoch war ich nur 2,8 Sekunden vom Sieg weg.
Yoann Barelli war auch am Start. Yoann wurde mit seiner „Tour de Gnar“ bekannt, einem Event, wo es darum geht, möglichst kniffelige Steilabfahrten zu meistern. Die Cerro-Abajo-Rennen müssten ihm liegen, oder?
Yoann war früher ein Top-Enduro-Athlet. Er ist auch schon einige City-Rennen mitgefahren. Doch das Level hat so angezogen, dass es Typen wie Barelli meist nicht einmal die Quali schaffen. Schau, Bernard Kerr hat die Quali auch nicht geschafft.
Wie das? Er ist doch ins Finale gekommen.
Er durfte das Finale nur fahren, weil er „protected“ war. Der Erste der Gesamtwertung des Cerro Abajo ist geschützt, der Beste im UCI Worldcup Ranking – das ist Bernard – der letztjährige Sieger der Cerro Abajo Valpariso ist auch geschützt. Insgesamt vier Fahrer. Der vierte fällt mir nicht ein.
Gibt es mehr Patzer und Stürze beim Cerro Abajo als beim Worldcup-DH?
Schwer, das zu beurteilen. Doch die Mentalität der Südamerikaner ist anders. Die setzen alles. Velez hätte in einem halben Cruise-Modus gewinnen können, aber das weiß er ja nicht und deswegen gibt er alles und das ist bei den Südamerikanern dann zu viel. Und die Burschen sind ja auch sehr jung. Mir ist das früher auch so gegangen. Das müssen sie erst lernen.
Kommen die langen Pedalier-Sektionen dir und Tomas Slavik entgegen als sprintstarke Ex-Fourcrosser?
Slavik kommen die Abschnitte sehr entgegen. Mir nicht mehr. Mittlerweile verliere ich in den Passagen Zeit. Ich muss jetzt mit schönem Fahren ausgleichen, denn wegen meiner lädierten Knie kann ich nicht mehr so intensiv trainieren. Doch früher war ich neben Tomas Slavik der sprintstärkste Fahrer. Jetzt nicht mehr – leider!
Du hast nach dem Rennen angekündigt, dass du jetzt für Mexiko trainieren wirst. Wie?
Sprint, wo du zwei Minuten alles gibst. Und das immer und immer wieder. Ich will mich voll aufs Rennen-Fahren trimmen.
Wie kann ich mir das konkret vorstellen – raus aus der Haustüre und die Straße entlang sprinten?
Nicht vor der Haustüre, sondern im Wald. Da habe ich eine Asphaltstraße, wo ich etwas alleine bin. Sonst denken die Nachbarn: „Was ist denn das für ein Freak!“ (Lacht) Das kann man den Bauern hier in der Gegend schlecht erklären, warum man so was macht. Die halten einen sonst für total verrückt!
Hast du in Chile deine harten Spezialreifen benutzt?
Mittlerweile haben alle gecheckt, dass eine harte Gummi-Mischung so viel besser rollt. Du musst abwägen, wie viel gewinnst du durchs Rollen und wie viel verlierst du in den Kurven mit der harten Mischung. Der Slavik, der Freak, hat vorne und hinten hart gefahren. Und er hat ganz dünne Reifen benutzt. Im Training war er damit am absoluten Limit. Doch er hat sich auf die Roll-Passagen konzentriert und die Kurven eher vorsichtig angegangen. Wenn du das Replay anschaust, sieht man das. In Kurven scheint Slavik zu stehen im Vergleich mit Velez. Ich habe ein Zwischending versucht: hinten hart, vorne weich.
Slavik sagte auch, dass er in seine Zeb-Gabel 140 psi und 4 Tokens gemacht hat und 330 psi in den Dämpfer. Da federt dann nichts mehr. Und du?
Ich hatte vorne 125 psi und hinten 285 psi. Das ist für mein Körpergewicht unglaublich hart. Du denkst du fährt mit einem Hardtail, doch du musst so hart fahren. Deswegen tun die Schläge auch so weh. Nach den Treppen war ich komplett fertig, weil ich mit aller Kraft gegenhalten musste. Nach dem ersten Training – und wir sind nur drei Mal die Treppen runter – hatte ich Muskelkater in den Waden, weil ich Schläge abhalten musste, die mein Körper nicht gewohnt war. Ich bin keine Treppen gefahren seit Genua letzten Oktober. Slavik dagegen fährt nach Prag und trainiert auf Treppen.
Und dann waren Quali und Finale auch noch am selben Tag.
City-Downhills sind immer Ein-Tages-Events. Denn die Städte lassen sich länger gar nicht absperren.
Bei deinen POV-Runs hörte man dich schwer atmen. Wie hoch schnellt da dein Puls bei der Abfahrt?
Das habe ich nicht gemessen, doch ich vermute maxed out. Da komm ich schon auf Puls 185.
Im Training ist dir auf dem Wallrider das Heck weggerutscht, aber auch die Treppen sahen gruselig aus – welches Feature im Run hat doch am meisten geschreckt?
Die obere Sektion. Nachdem du aus dem Haus rausgesprungen bist, wo du in eine ultra steile Passage kommst. Hier trittst du auch noch maximal an, um dann in die Treppen reinzufahren. Dort bist du so schnell und es ist so eng, dass der kleinste Fehler eine Horrorsturz zur Folge hätte. Ich glaube, in einem gewissen Alter wird dir viel klarer, was passiert wenn du an einer solchen Stelle einen Abflug machst. Diese Treppensektion war hart.
Und eng! Hattest du deinen Lenker gestutzt?
Im Training fuhr ich noch 760 mm, doch ich kürzte dann noch mehr: etwas unter 740 mm. Denn ich wollte alles, nur nicht in den Zaun einhaken bei der Treppenfahrt.
Tomas Slavik meinte im Hotseat zu dir: „You were killing it in the MotoGP, but fucked up in the Square“. Was sagst du dazu?
Da hat er Recht. In der MotoGP-Sektion habe ich Zeit aufgeholt, eine halbe Sekunde. Meine untere Sektion wäre super geworden, wäre ich nicht zu weit in den kleinen Platz gesprungen. Da habe ich die Landung nicht mehr erwischt, da bin ich fast explodiert und mein ganzes Tempo war weg für die letzte Gerade. Der Fehler hat richtig Zeit gekostet. Den Fehler hat er gesehen.
Die Zuschauer jubeln an der gesamten Strecke. Kriegst du davon etwas mit?
Die schreien von oben bis unten. Das spornt dich nochmal an, die Bremsen auf zu lassen. Wenn die Leute ausflippen, willst du ihnen eine Show bieten – und lässt laufen!
Ich bin etwas irritiert, was jetzt zur Rennserie Red Bull Cerro Abajo 2025 zählt. Erst hieß es Genua im Oktober sei das Finale. Jetzt dagegen scheint Genua vom letzten Jahr noch zu zählen. Weißt du mehr?
Mir ist das auch nicht ganz klar. Denn es soll einen Event in Indien geben dieses Jahr. Ob der dann in die Wertung kommt? Ich weiß es nicht, doch wenn nicht, wäre es auch seltsam. Vielleicht weiß Red Bull das selbst noch nicht genau.
Tomas Slavik war in Amman, im Jemen, um die Stadt zu checken wie zuvor Genua. Könnte es bald ein Cerro Abajo Amman geben?
Wenn Slavik dort war, ist das ein gutes Zeichen, dass dort ein Event stattfinden soll. Letztes Jahr war er auch schon in Indien.
Red Bull änderte den Fahrplan seiner Cerro Abajo Serie 2025. Vor kurzem wurde der Oktober-Event in Genua als Finale aufgelistet, jetzt soll der Genua-Event 2024 in die 2025er-Serie zählen, was in unseren Augen etwas irritierend ist. Es wird auch gemunkelt, dass ein weiteres Events in Indien dieses Jahr noch abgehalten werden soll – das auch noch zur Serie 2025 zählt. Was felsenfest steht: Das nächste Urban-Race findet am 29. März in Guanajuato (Mexico) statt.