Henri Lesewitz
· 16.06.2019
Der inoffizielle MTB-Höhenmeterrekord steht bei 18304 Höhenmetern in 24 Stunden. Nun startet Langstrecken-Ass Kai Saaler den Angriff auf die Bestmarke – ganz offiziell, samt Guinness-Buch-Eintrag.
Mehr als zwei Mal von Meereshöhe auf dem Mount Everest. 2016 stellte Slim Gamh-Drid den inoffiziellen Höhenmeterrekord auf dem Mountainbike auf: 18304 Höhenmeter in 24 Stunden. Am 19./20. Juni 2019 startet Langstrecken-Ass Kai Saaler den Angriff auf die Bestmarke – ganz offiziell, samt Guinness-Buch-Eintrag. Sein eigens dafür entwickeltes Uphill-Bike bringt irrsinnige 6,1 Kilo auf die Waage. Der Rekordversuch wird an der Werratalsperre über die Bühne gehen, für Zuschauer wird ein Grillfest mit Livemusik veranstaltet. Mit dem Event will Saaler zusätzlich auf die Nervenkrankheit Multiple Sklerose aufmerksam machen, deshalb werden alle Einnahmen an die AMSEL-Stiftung e.V. gespendet. Wir haben mit 24-h-Rennexperte Kai Saaler vor dem Rekordversuch am Gardasee gesprochen:
BIKE: Um einen neuen Rekord aufzustellen müsstest Du mindestens 18305 Höhenmeter in 24 Stunden fahren. Wie sicher bist Du Dir, dass das klappt?
Kai Saaler: Gar nicht! Ich habe mich aber mit dem aktuellen Rekordhalter im Mai am Gardasee bei einer Pizza getroffen, um mit ihm mögliche Verbesserungen durchzusprechen. In der Ultraszene ist das echt super, dass man sich überall gegenseitig hilft. Die Strecke hat eigentlich zu viele Kurven, die vor allem bergab keine maximale Höchstgeschwindigkeit erlauben. Ein weiterer Aspekt ist auch der Untergrund. Slim hatte bei seinem 24-h-Weltrekord einen Waldweg, der schon sehr gut ausgefahren war. Auf meiner Strecke sind noch größere Steine und etwas Schotter vorhanden. Alles keine perfekten Voraussetzungen. Anders als beim Weltrekord von Slim haben wir nun auch die Freigabe vom Guinnessbuch für den allerersten offizellen MTB-Weltrekord. Das stellt uns allerdings vor weitere große Aufgaben. Die Strecke muss auf den Zentimeter genau vom Vermessungsamt ausgemessen sein, es muss ein lückenloses Protokoll von verschiedenen Personen in mehreren Schichten erstellt werden und der Weltrekord muss lückenlos per Bild oder Video aufgezeichnet werden. Die Regularien sind da schon sehr strikt. Aber das Forstamt stellt uns hierfür Wildkameras mit Selbstauslösung und Nachtsichtfunktion zur Verfügung.
Was waren bisher die meisten Höhenmeter, die Du an einem Tag gefahren bist?
Naja, ich zeichne so etwas im Regelfall nicht auf. Ich arbeite eigentlich nur jetzt für den Weltrekordversuch mit Werten, wie Kilometer, Steigungsprozenten oder Watt. Teilweise ist es natürlich schon witzig zu sehen, dass ich zum Beispiel in den ersten Stunden bei einem 24-h-Rennen im Flachen immer über 300 Watt und an den Rampen 650 Watt getreten habe. Aber auf sowas schaue ich eigentlich nie. Ich bin auch nicht der Typ, der 'ne 200-Kilometer-Tour macht und nach 190 Kilometern noch zwei Mal um den Block fährt, nur dass der 200er voll ist. Ich trainiere da lieber für mich, fahr eine geile Tour und mach das nicht, um bei den Leuten anzugeben. Außerdem muss man sich dann meist komische Kommentare gefallen lassen und viele erwarten, dass man sich rechtfertigt. Wenn ich morgens mit nüchternem Magen in 4,5 Stunden mit dem Bike um den Gardasee fahre, danach Spagetti Carbonara esse und dann nochmal eine ordentliche 5,5-Stunden-Tour in den Bergen dranhänge, dann halten mich die meisten sowieso für verrückt. Die meisten Höhenmeter bin ich aber letztes Jahr bei meinem Sieg beim 24-h-Rennen in Finale Ligure gefahren, denke ich zumindest. Ich hab zwar bei einem Sturz meinen Garmin verloren, aber anhand der Runden und den Höhenmeterangaben waren das 14 000 Höhenmeter. Es haben nach dem Rennen viele zu mir gemeint, dass der Weltrekord für mich gut machbar ist, wenn man auf der sehr technischen Strecke in finale 14 000 Höhenmeter fährt. Aber 4305 Höhenmeter muss man erst mal mehr fahren. Das ist kein Zuckerschlecken. Immerhin ist der Weltrekord quasi das Rennen in Finale und zusätzlich noch auf den Montblanc. Man fährt eben nicht einfach mal an einem Tag zwei Mal auf den Mount Everest. Je länger ich darüber nachdenke, desto bekloppter klingt das Vorhaben.
Wie hast Du Dich vorbereitet?
Zunächst denke ich, dass ich für solche Ultradistanzen ein gewisses Talent habe. Ich hatte schon als Kind und Jugendlicher richtig Spaß an solchen Sachen und bin mit 14 Jahren meine erste 300-Kilometer-Tour in zwei Tagen über die Alpen gefahren. Das Wichtigste ist, dass man sich bei dem, was man macht, wohlfühlt. Mir macht es auch jede Menge Spaß meine eigenen Grenzen auszuloten und im Laufe des Trainings die Fortschritte am eigenen Körper zu erleben. Immer nach der Rennsaison nehme ich mir eine Auszeit von einem Monat, wo ich quasi nicht trainiere. Dann fängt man quasi wieder fast von vorne an.
Meist rund um Weihnachten habe ich mein Maximalgewicht, was teilweise 10-13 Kilogramm höher ist als im Sommer. Für mich funktioniert das recht gut. Laufen ist meine zweite, große Leidenschaft und das ist eigentlich auch mein Wintertraining. Ich fange im November mit kürzeren Laufeinheiten an und steigere diese innerhalb von einigen Monaten. Ich bin voll berufstätig und muss das Training eben in den Alltag integrieren. Ab Januar sind dann die Laufeinheiten etwa vier Stunden lang. Ab da Trainiere ich dann meist auch schon zwei Mal am Tag. Ab Februar laufe ich zwei Mal in der Woche morgens 20 Kilometer zur Arbeit und abends wieder heim. Ab März absolviere ich dann meist die ersten Radeinheiten. Dann aber immer nur auf dem Rennrad, locker und im Flachen. Mein Training ist aber immer super abwechslungsreich. Laufen, Radfahren, Kraft, Stabiübungen, Treppentraining: Ich wechsle lange Ausdauereinheiten mit intensiven immer ab. Dazu gehören natürlich auch Intervalle um die VO2max zu erhöhen. Innerhalb der letzten Jahre habe ich mir da ein Konzept erarbeitet, dass für mich passt und auf die Anforderungen von 24-h-Rennen zugeschnitten ist. Ich fahre jährlich eigentlich nur etwa 10000 Kilometer. Das ist im Vergleich zu den Topfahrern der Szene wirklich nicht viel. Einige Fahrer der Ultraszene fahren im März schon 400 Kilometer lange Touren, während ich da noch zu Fuß unterwegs bin. Aber ich versuche eben immer neue Akzente zu setzen.
Für den Weltrekordversuch habe ich dieses Jahr mehr VO2max-Training gemacht und mir nun auch ein Wattmesssystem zugelegt, um auch auf dem Bike bessere Einheiten fahren zu können. Ob die Trainingsumstellung für den Weltrekordversuch funktioniert, wird sich dann zeigen.
Wie kamst Du auf die Idee mit dem Rekordversuch?
Seit mehr als zwei Jahren engagiere ich mich für die Nervenkrankheit Multiple Sklerose. Bei mehreren Spendenaktionen an denen ich telgenommen habe, wurden zwar Spenden gesammelt, in der Öffentlichkeit geht das Thema aber eigentlich immer unter. Ich habe mich bei einer Veranstaltung mit einem befreundeten MS-Erkrankten darüber unterhalten. Er saß früher selbst im Rollstuhl, hat durch gezieltes Training wieder laufen gelernt und das Radfahren hat ihm wieder zu einem fast normalen Leben verholfen. Radfahren ist für Leute mit MS eigentlich die beste Sportart, da die Belastung auf die Gelenke nicht zu hoch ist und die moderate Bewegung zur Bewältigung der Symptome helfen kann. Mein Freund Andreas Schmelzer hatte dann im Netz einen Rennbericht von einem meiner Rennen in Finale gelesen und sich in den Kopf gesetzt, selbst ein 24-h-Rennen zu fahren. Mittlerweile ist er einer der größten Bike-Freaks, die ich kenne. Gemeinsam haben wir letztes Jahr beratschlagt, wie wir das Thema MS und Radfahren in die Öffentlichkeit bringen könnten. Wir wollten zeigen, dass Radfahren bei MS helfen kann.
Andreas hatte dann die Idee, dass ich einfach einen 24-h-Weltrekord aufstellen könnte. Er hat dann den Höhenmeter-Weltrekord von Slim Gam Drid herausgesucht und war der Meinung, dass ich die 18305 Höhenmeter in 24 Stunden auch schaffen kann. Weil ich ihn nicht enttäuschen wollte, habe ich natürlich gleich zugesagt. Ich hielt die Sache einige Tage später allerdings eher für eine Schnapsidee, aber Andreas ließ einfach nicht locker. Mit Slim bin ich schon 24-h-Rennen gefahren und habe mich dann letztes Jahr zu einer Tour bei ihm zuhause aufgemacht. Ich habe ihm den Sachverhalt erklärt und was ich mit der Aktion vorhabe. Er war ebenfalls Feuer und Flamme für das Projekt.
Weitere Infos zum Höhenmeter-Rekordversuch von Kai Saaler gibt's hier beim Facebook-Event.