Italy Divide 2016Von Rom zum BIKE-Festival

Walter Lauter

 · 09.05.2016

Italy Divide 2016: von Rom zum BIKE-FestivalFoto: Privatfoto
Italy Divide 2016: von Rom zum BIKE-Festival

Walter ist ein echter Mountainbike-Abenteurer und das Italy Divide genau sein Ding – ohne Verpflegung oder Gepäcktransport von Rom zum 840 km entfernten Gardasee. Einziges Hilfsmittel: ein GPS-Track.

Was für ein Name! Angelehnt an der Mutter aller Selfsupport-Bikepacking-Races, der Tour Divide in den USA, startete diese italienische Version am 23. April 2016 in Rom. Das Ziel war Torbole am nördlichen Gardasee. Dazwischen sollten 840 Kilometer und 16000 Höhenmeter liegen.

Der Untertitel "Unsupported Bike Adventure" bezeichnete den Event etwas konkreter, wie ich es unterwegs dann erleben und erfahren durfte. Letztes Jahr war ich auf dem Tuscany-Trail unterwegs, einem etwas kürzeren aber ähnlichen Event. Damals war die Strecke recht easy zu bewältigen, da recht viele Straßenpassagen integriert waren. Ich ging von einer ähnlichen Streckenführung aus, was sich aber als völlig falsch heraus stellen sollte!

  Walter (rechts) und Markus vor dem Kolosseum in Rom.Foto: Privatfoto
Walter (rechts) und Markus vor dem Kolosseum in Rom.

Präpariert war ich eigentlich perfekt: Ich hatte mein neues 27,5-Plus-Bike von Velotraum (Modell Finder) am Start, ausgestattet mit den nagelneuen Bikepacking-Bags von Ortlieb. Auch mein Trainingsstand war befriedigend. Ich hatte seit Januar schließlich schon gute 4000 Offroad-Kilometer in den Beinen. Und mit meinem Buddy Markus Boscher (Velorado/Nürnberg) hatte ich vereinbart, daß wir die Tour möglichst zusammen fahren würden.

Wie immer spielt natürlich vor dem Start eine gewisse Nervosität mit. Fragen wie "habe ich die richtige Ausrüstung dabei, hoffentlich treten keine größeren physischen oder technischen Probleme auf, spielt das Wetter mit etc.". Bezüglich Psyche und der richtigen Renntaktik machte ich mir keinen Kopf. Schließlich hatte ich in den letzten Jahren schon einige Events ähnlichen Kalibers absolviert.

Endlich ging es los. Der Start in Rom am Kolosseum war etwas hektisch. 91 Teilnehmer aus 7 Nationen starteten im geschlossen Verband, um zumindest die ersten Kilometer im chaotischen Straßenverkehr hinter uns zu bringen. Nach endlosen Ampelstopps gab Giacomo Bianchi, der Veranstalter, endlich das Rennen frei. Die Strecke verlief recht abwechslungsreich. Zuerst einige asphaltierten Radwege. Dann wurde es hügeliger und der Belag wechselte in Schotter und Wiesenwege über.

Bis hierhin spielte das Wetter auch gut mit. Sonne, recht warme Temperaturen und sogar etwas Rückenwind ließen uns gut vorankommen. Sobald es aber zu dämmern begann, war es mit der Gemütlichkeit vorbei. Es wurde merklich kühler und der einsetzende Regen trübte auch etwas die Stimmung. Markus und ich beschlossen, erstmal etwas zu essen. An einer Pizzeria lehnten zwei bepackte Räder. Zwei tschechische Freunde saßen schon bei Bier und Pizza im Lokal. Wir gesellten uns dazu und tauschten die Erlebnisse des ersten Tages aus.

  Internationales Vokabular, das jeder Ausdauer-Biker kennt.Foto: Privatfoto
Internationales Vokabular, das jeder Ausdauer-Biker kennt.

Trail Magic: Wenn unvorhergesehen Möglichkeiten auftauchen

Mittlerweile war es dunkel, 130 km und gut 2000 Höhenmeter lagen schon hinter uns. Wir beschlossen also, uns ein Nachtlager zu suchen. Nicht unweit sahen wir plötzlich 5-6 weitere Teilnehmer. Auf die Frage, wo sie übernachten wollten, forderten sie uns in einem Mischmasch aus italienisch und englisch auf, ihnen zu folgen. Wir waren nicht wenig erstaunt, als wir zwei Häuserecken weiter in einem unbewohnten Haus ohne Strom unser Nachtlager aufschlagen durften. Klar, wir hatten außer unseren Schlafsäcken und Isomatten auch kleine Einmannzelte dabei. Aber bei dieser Witterung an einem trockenen Platz zu übernachten war einfach zu verlockend. Solche unvorhersehbaren Möglichkeiten während eines Selfsupport-Events nennt man Trail Magic. Welch eine bequeme Nacht :-)

Der zweite Tag begann frühmorgen um 6:00 Uhr mit Regen. Tolle Aussichten! Unterwegs lehmiger Matsch ohne Ende. Der Dreck klebte so stark am Bike, daß sich die Laufräder teilweise nicht mehr drehten. Schieben in der Ebene ist schon sehr frustrierend. Fast der ganze Tag war verregnet. Den ersten Hügel mit einer Höhe von 1000 Metern über dem Meeresspiegel passierten Markus und ich bei schlechtestem Wetter. Gegen 18:30 Uhr sahen wir – ziemlich durchweicht und hungrig – ein Restaurant am Streckenrand und beschlossen, erstmal die Speicher zu füllen.

Drei italienische Teilnehmer machten hier auch gerade einen Stopp. Auf unsere Frage, wo sie heute Abend nächtigen würden kam die Antwort: "Wir fahren 15 km zurück und gehen in ein Hotel." Zurückfahren kam für uns nicht in Frage. Mit dreckigen und nassen Klamotten draußen zu schlafen nach Möglichkeit aber auch nicht. Frei nach dem Motto "fragen kostet nichts" überzeugten wir die Restaurantbesitzer, uns in ihrem Keller schlafen zu lassen. Ein wenig aufgewärmt und mit trockenen Klamotten genossen wir ein vorzügliches Abendessen. Prost!

Am nächsten Tag waren wir bestens ausgeruht und fühlten uns fit. Das war auch bitter nötig, da heute 3000 Höhenmeter auf uns warteten. Das Wetter hatte sich mittlerweile gebessert. Zwar regnete es noch zeitweise, doch sonnige Abschnitte und akzeptable Temperaturen glichen das wieder aus. Wir waren inzwischen in der Toskana und folgten stückweise den weißen Schotterstraßen des ausgeschilderten Vintage-Rad-Rennens L´Eroica, bei dem auf historischen Rennrädern im Stil der 50er-Jahre geradelt wird.

  Verpflegungsstation beim Self-Support-Rennen: Steht jedenfalls nicht dran, dass es kein Trinkwasser ist.Foto: Privatfoto
Verpflegungsstation beim Self-Support-Rennen: Steht jedenfalls nicht dran, dass es kein Trinkwasser ist.

Biwak unterm Vordach und das Problem mit dem Reifen

Da wir durch das schlechte Wetter im Zeitverzug waren, beschlossen wir, ab jetzt auch nachts zu fahren. Um 22:30 Uhr durchquerten wir Siena, eine wunderschöne mittelalterliche Stadt. Gegen 23:30 Uhr erreichten wir eine kleine Ortschaft. In einer kleinen Bar brannte noch Licht – also schnell noch ein Bierchen getrunken und eine Tüte Chips gegessen. Ein paar Meter weiter sahen wir einen überdachten Vorsprung an einem Sportplatz. Für uns der perfekte Biwakplatz für eine geruhsame Nacht. Besonders toll haben wir allerdings nicht geschlafen, da wir mit unseren leichten Sommerschlafsäcken bei Temperaturen knapp über null Grad doch etwas froren.

Das Wetter besserte sich zusehends. Trocken von oben aber recht viele Schlammpassagen bedingt durch die starken Regenfälle der letzten Tage. Auch heute waren kaum Asphaltpassagen auf unserem GPS-Track, fast nur Feld-, Wiesenwege und Singletrails. In einer kleinen Ortschaft plötzlich "Pffft" an meinem Hinterbau. "Mist, Plattfuß", dachte ich. Dem war auch so, aber das Problem war nach erstem Augenschein größer als befürchtet.

  Der Schlamm sollte dem dünnwandigen Plus-Reifen stärker zusetzen als gedacht. Der Hinterreifen scheuerte durch.Foto: Privatfoto
Der Schlamm sollte dem dünnwandigen Plus-Reifen stärker zusetzen als gedacht. Der Hinterreifen scheuerte durch.

Bedingt durch den ganzen Schlamm der letzten Tage zwischen Kettenstrebe und den voluminösen B+-Reifen, war mein Mantel seitlich auf dem ganzen Umfang aufgescheuert und die Karkasse durchweg zu sehen – und an einer Stelle ein 4 mm großes Loch! Gut, Mantelflicken von innen verklebt, Schlauch rein und weiter ging es mit dem Gefühl, daß dieser Reifen die restlichen 400-450 km nicht durchhalten würde.

Ein paar Stunden später durchquerten wir Florenz. Smartphone raus, nach einem Radhändler gegoogelt und auch gleich einen gefunden. Leider hatte dieser keine Reifen im Plusformat 27,5+. Er wusste aber Rat und schickte uns zu einem weiteren Händler, der diese Reifen vorrätig habe. "Diese Richtung 3 km, dann seid ihr da. Schöne Grüße von mir", meinte er. Nun, der Händler hatte tatsächlich die richtige Reifengröße. Wir montierten schnell um und fuhren wieder zurück dorthin, wo wir den GPS-Track verlassen hatten. (Anmerkung: Bei Selfsupport-Races darf zwar die Strecke verlassen werden, man muss aber zum Ausgangspunkt zurückkehren.) Mittlerweile weiß ich auch, daß 3 italienische Kilometer nach deutschem Maßstab etwa 8 km sind. Wir waren also 16 km durchs verkehrsreiche Florenz geradelt und haben sicherlich 3 Stunden Zeit dabei verloren. Um 22:30 Uhr haben wir dann mit gutem Gewissen bezüglich der gelungenen Reparatur den Tag beendet.

Dann der schlimmste Tag der Tour

Der folgende Tag sollte der schlimmste der ganzen Tour werden. Wir wussten, daß heute der Gebirgszug Apennin durchquert wird. Das ging recht easy los. Der erste Hügel hatte 750 Höhenmeter, die recht gut fahrbar waren. Mir machten allerdings meine Hydraulikscheibenbremsen seit einigen Tagen Sorge. Des Öfteren hatte ich Druckverlust an den Bremshebeln, daß aber durch mehrmaliges Pumpen behebbar war. Jetzt aber in der Abfahrt wurde es dramatisch. Vorne hatte ich null Bremspower, hinten vielleicht noch 30 Prozent! Die Bremsleistung war so dermaßen schwach, dass ich teilweise bergab schieben musste, um nicht einem Skispringer gleich immer schneller zu werden.
Diverse Reparaturversuche scheiterten, und mir blieb nichts anderes übrig, als wieder eine Werkstatt zu suchen. In San Piero a Sieve bekam ich den Tipp, im benachbarten Borgo san Lorenzo einen Bike-Shop zu finden. Dieser Tipp war goldrichtig, der Mechaniker sehr kompetent. Er entlüftete beide Bremssysteme. Soweit alles wieder gut. Allerdings hat uns auch diese Aktion wieder 3 Stunden Zeit gekostet.

Der Streß dieses Tages sollte aber noch nicht vorüber sein. Schließlich wartete noch der höchste Punkt (1250 m ü. NN) der Tour auf uns. Der Anstieg von cirka 800 Höhenmetern war dermaßen steil, verschlammt und verblockt, dass wir den größten Teil der Strecke schieben mussten. Diesen Teil der Strecke sollte der Veranstalter definitiv bei der nächsten Italy Divide herausnehmen, da dies mehr einer Bergwanderung glich! Gut, irgendwann ist jeder Hügel überquert. Um 23:00 fanden wir schließlich eine Herberge und ließen es uns wieder mal gut gehen :-)

  Trotz Minimal-Bepackung: Schiebepassagen sind nicht schön.Foto: Privatfoto
Trotz Minimal-Bepackung: Schiebepassagen sind nicht schön.

Da wir wussten, daß ab jetzt die weitere Strecke sehr flach werden würde, war am nächsten Tag die Stimmung perfekt. Auch das Wetter meinte es immer besser mit uns. Viel Sonne, angenehme Temperaturen und kein Regen in Sicht! Markus und ich hatten jetzt nur noch ein paar Hügel vom Apennin zu meistern. Ab dann ging es in die flache Po-Ebene.

Giacomo, der Organisator, hatte hier eine schön zu fahrende Strecke ausgesucht. Wir waren vorwiegend auf Dämmen unterwegs, der Untergrund war meist geschottert oder wiesenbedeckt. So kamen wir perfekt voran und durften noch das wunderschöne Bologna mit seinem mittelalterlichen Kern durchqueren – die letzte größere Stadt der Tour. Trotzdem waren wir immer wieder froh, dem chaotischen Stadtverkehr entkommen zu sein.

Auch heute sind wir bis 23:00 Uhr geradelt und haben den einzigen Checkpoint der ganzen Tour erreicht. Ein cooler Biker hat hier eine kleine, wunderschöne Pension gemietet. Mit der Tagesleistung von 185 km und 1140 Höhenmeter waren wir auch recht zufrieden. Jetzt noch ein kleines Bier und wieder mal in Betten geschlafen.

Am nächsten Morgen brachen wir um sechs Uhr zur letzten Etappe auf. Normalerweise stünde heute noch der Monte Altissimo auf dem Programm. Aber der Veranstalter hatte uns schon vor Tagen per Facebook darauf hingewiesen, daß wir ab Bardolino der Straße entlang des Gardasees folgen müssen, da auf dem Altissimo sehr viel Schnee liege und sogar Lawinengefahr herrsche.

Nur 3 Teilnehmer, allen voran Jay Petervary (der spätere Sieger der Italy Divide), "durften" sich auf dem Berg im Schnee austoben. Ganz ehrlich: Als vor Tagen die Meldung reinkam, den Altissimo zu meiden, war ich etwas enttäuscht. Aber heute, doch schon etwas angezählt, bin ich froh darüber, flach dem Ziel entgegenzusteuern. Der Verkehr von Bardolino nach Torbole war weniger chaotisch als befürchtet. So sind Markus und ich wohlbehalten am 29.4. um 16:00 Uhr am Ziel angekommen.

Endlich das Ziel: BIKE-Festival in Riva

Resümee: Wir haben die 850 km und die 13000 Höhenmeter in 6 Tagen und 6 Stunden gemeistert. Die Defekte an meinem Bike haben uns sicherlich 6-7 Stunden gekostet. Eigentlich war das im Nachhinein nicht weiter schlimm. Viel wichtiger war, daß wir wohlbehalten angekommen sind und unseren Spaß hatten :-) Der Ankunftstermin war perfekt geplant. Schließlich begann heute das BIKE-Festival in Riva del Garda/Torbole. Wir sind mit unseren Bikes auf einen Campingplatz gezogen, haben die nächsten Tage viele Freunde auf dem Festival getroffen und ließen es uns gut gehen :-)

  Walter mit den "ersten Finishern": Ultrabike-Stars Rebecca Rusch (links) und Jay Petervary.Foto: Privatfoto
Walter mit den "ersten Finishern": Ultrabike-Stars Rebecca Rusch (links) und Jay Petervary.

Welche Gedanken bleiben nach solch einem Event zurück? Es war mal wieder ein tolles Abenteuer mit Freunden. Mit diversen Höhen und Tiefen. Das Wetter hätte besser sein können, die Defekte hätten ausbleiben können und die Laufpassagen im Apennin hat eigentlich auch niemand gebraucht. Aber mal ehrlich: Wäre alles optimal gewesen, würde es auch nicht so im Gedächtnis bleiben.

Wie definiert Wikipedia so schön den Begriff Abenteuer: "Als Abenteuer wird eine risikoreiche Unternehmung oder auch ein Erlebnis bezeichnet, das sich stark vom Alltag unterscheidet. Es geht um das Verlassen des gewohnten Umfeldes, um etwas Wagnishaltiges zu unternehmen, das interessant, faszinierend oder auch gefährlich zu sein verspricht und bei dem der Ausgang ungewiss ist."

Ride on, Walter Lauter

  Das Starterfeld des Italy Divide.Foto: Privatfoto
Das Starterfeld des Italy Divide.
  Beim Italy Divide ist neben dem Teilnehmerschild einzig ein GPS-Track im Starterpaket. Um alles andere kümmert man sich selbst.Foto: Privatfoto
Beim Italy Divide ist neben dem Teilnehmerschild einzig ein GPS-Track im Starterpaket. Um alles andere kümmert man sich selbst.