Jan Timmermann
· 25.11.2024
Noch nie von E-Cycling gehört? Gemeint ist nicht etwa eine Disziplin, die auf E-Bikes ausgetragen wird - im Gegenteil! Beim Rolle-Fahren auf Top-Niveau treibt nicht etwa die Maschine den Menschen an, sondern umgekehrt. Spätestens seit der Corona-Pandemie ist die fortschreitende Professionalisierung dieser E-Sports-Disziplin nicht mehr aufzuhalten. Während die Sportler auf einem Rollentrainer schwitzen, treiben sie innerhalb einer App ihren Avatar voran. Täglich finden in virtuellen Welten hunderte Rennen statt. Das heißeste von ihnen: Die offizielle Weltmeisterschaft im E-Cycling. Wie es sich für den Profisport gehört, betreibt Deutschland eine eigene Nationalmannschaft in der aufstrebenden Sportart. Sebastian Wolf verantwortet als Sportlicher Leiter Digitaler Radsport beim Bund Deutscher Radfahrer die Leistungssport-Entwicklung. Er weiß, warum Rolle-Fahren so beliebt ist und warum Mountainbiker erfolgreiche E-Sportler werden können.
BIKE: Was macht ein offizieller Sportlicher Leiter für digitalen Radsport?
SEBASTIAN WOLF: Die Aufgaben sind ganz ähnlich, wie im Straßenradsport. Es gibt mit der WM beim E-Cycling nur einen einzigen Wettbewerb im Jahr, der mit der Nationalmannschaft ausgetragen wird, daneben betreue ich mit Beastmode p/b ROSE auch noch ein deutsches Elite Team dass an anderen Wettbewerben teilnimmt. In Abstimmung mit einem kleinen Team beim BDR nominiere ich dann für die WM Fahrerinnen und Fahrer. Bei den bisherigen Wettkämpfen auf Zwift saß ich dann sozusagen im virtuellen Team-Auto, beobachtete das Renne und gab taktische Hinweise. In der virtuellen Welt gibt es auch Windschatten sowie Berge und damit in gewisser Weise auch Raum für eine Team-Taktik. Ich sehe die Strecke in Real-Time und kann zum Beispiel den besten Moment für eine Attacke durchgeben. Im Vergleich zum analogen Radsport fehlt natürlich die Komponente der Fahrtechnik. In der App ist es zum Beispiel auch nicht so wichtig in welcher Position man in eine Engstelle fährt, sondern eher mit welcher Geschwindigkeit, da man einfacher durch das Feld fahren kann. Dieses Jahr wurde die WM auf der Plattform My Whoosh vor Ort in Abu Dhabi ausgetragen. Deshalb lief das Finale ohne meine Begleitung.
Wie lief denn die E-Cycling WM 2024 in Abu Dhabi aus deiner Sicht?
Natürlich hatte das bisherige, rein digitale Format auch Vorteile. Ohne Anreise konnte jeder mit seinem eigenen Equipment von zu Hause aus teilnehmen. Für den Sport insgesamt war es aber sicher gut, dass es dieses Jahr ein Live-Event gab. Rollentrainer wurden von den Herstellern ursprünglich als Trainingsgeräte und nicht mit der Intention des Wettkampfsports entwickelt. So können sich zum Beispiel aus Temperaturschwankungen gewisse Abweichungen ergeben. Im Spitzensport machen solche Kleinigkeiten einen großen Unterschied. Ähnlich dem Doping können fünf Prozent Vorteil bereits zwischen Gold oder dem fünften Platz entscheiden. Beim Live-Event stellten sich diese Fragen dank genormter und offiziell abgenommener Rollentrainer nicht – oder anders ausgedrückt: zumindest eine bewusste Manipulation ist ausgeschlossen. Wir hatten insgesamt 5 Athleten und Athletinnen am Start und konnten an die Erfolge der letzten Jahre anknüpfen. Mit dem deutschen Weltmeistertitel von Jason Osborne und dem sechsten Platz von Merle Brunée sind wir natürlich sehr glücklich.
In Welche Richtung wird sich E-Cycling als Sportart zukünftig entwickeln?
E-Cycling ist eine sehr junge, dynamische Sportart mit Herausforderungen und Chancen. Ähnlich, wie beim Mountainbiken vor 25 Jahren sind die Strukturen noch nicht fertig definiert. Es gibt durchaus eine Perspektive auf Olympische E-Sport Spiele. Das würde bedeuten, dass es dann auch olympische Medaillen zu gewinnen gäbe – was für die öffentliche Wahrnehmung sicher gut wäre. Zuletzt wurden die Olympischen Esport Games für die kommenden Jahre an Saudi-Arabien vergeben. Wie alle E-Sports, wird auch E-Cycling auf kommerziellen Plattformen ausgetragen. Unternehmen, wie Zwift oder My Whoosh werden deshalb auch ein Stück weit bestimmen, wo die Reise hingeht. So oder so wächst die Bedeutung der Sportart sehr schnell. Jason Osborne hat zum Beispiel seinen Abschied aus der World Tour verkündet und wird E-Sports-Voll-Profi. Weltweit können sich etwa zehn bis 20 Athletinnen und Athleten bereits nur durch W-Cycling finanzieren. Trotzdem gibt es noch eine große Diskrepanz zwischen der Leistung der Sportler und dem Support. Die Teams arbeiten ohne eigene Trainer, Physiotherapeuten, Ernährungsberater und haben meist nur einen Mitarbeiter.
BIKE: Bei E-Sports denken sicher viele Biker an Computerspiele. Wie passt das mit Radsport zusammen?
SEBASTIAN WOLF: Man spricht auch von den vier Säulen des E-Sports. Eine Säule, die das Internationale Olympische Komitee nicht angehen will, ist alles, was in den Bereich der sogenannten „Ballerspiele“ zählt. Den bekanntesten Bereich der E-Sports bilden Spiele, wie etwa League of Legends. Dann gibt es die Sportsimulationen. E-Cycling gehört dann zur letzten Säule, welche dem klassischen olympischen Sport am nächsten ist – sprich den Bereich, in dem richtiger körperlicher Sport betrieben werden muss, der dann auf dem Bildschirm ankommt.
Es ist offensichtlich, dass viele der besten E-Cycling-Athleten vom Straßenradsport kommen. Gibt es auch Sportler mit Mountainbike-Hintergrund?
Absolut. In den deutschen Top-Teams gibt es zum Beispiel Fahrer aus dem Mountainbike-Marathon-Bereich. Die meisten Sportler, die viel Volumen trainieren stoßen irgendwann aufs Rollentraining, um im Winter und mit geringer Verletzungsgefahr fit zu bleiben. So finden auch Eisschnellläufer oder Ruderer ihren Weg zum E-Cycling. Bike-Beherrschung ist ja nicht unbedingt von Nöten. Gesucht wird aber ein Fahrertyp, der bei kurzen Efforts und insbesondere in Rennen bis 60 Minuten eine starke Leistung bringen kann. Wir sprechen hier von einem Fünf-Minuten-Wert in der Größenordnung um sieben Watt pro Kilo Körpergewicht. Es braucht einen hohen VO2max-Wert und einen guten Laktatstoffwechsel in diesem Bereich. Anders als beim Straßenradsport ist weniger die Grundlage und Effizienz gefragt, um nach fünf Stunden Belastung noch eine Attacke zu fahren.
Wie eng ist der Bezug von E-Cycling und Mountainbike-Sport?
Von der Struktur her ist Mountainbiken wahrscheinlich sogar näher am E-Cycling dran als Rennradfahren. Gerade bei MTB-Rennen geht es ja öfter um kurze Efforts. Im Gelände fahren die Sportler ja auch nicht erst mal stundenlang durch die Gegend, bis es wirklich losgeht. Es geht um kurze Attacken, Erholung und Wiederholbarkeit. Schnelle Starts bis hin zu Sprints sind auch bei beiden üblich E-Cycling kann genau das fördern.
BIKE: Ist E-Cycling auch etwas für Hobby-Fahrer?
SEBASTIAN WOLF: Rollentraining an sich hat sich ja bereits etabliert. Die neuen technischen Möglichkeiten können dafür sorgen, dass Wintertraining einfacher fällt. Im großen Angebot der kostenlosen oder kostenpflichtigen Software findet sicher jeder etwas, das ihn anspricht – seien das Training und Intervalle, die Simulation des Fahrens im Freien oder die virtuellen Welten. Mir selbst als Radsportfan macht Racing viel Spaß. Die Wettkämpfe fühlen sich wirklich an, wie ein Radrennen. Sicher ist das Nichts für jeden Tag aber eine super Ergänzung zu lockerem Volumen. Unterscheiden muss man zwischen motivierendem Training und Profi-Rennen. Bei Letzteren wird großer Aufwand betrieben, um Manipulation auszuschließen. Sportler müssen ihr Gewicht in Videos dokumentieren und nachweisen, dass sie draußen ähnliche Leistung bringen können, wie in der App. Teilweise findet über Smarttrainer und Powermeter ein Dual-Controlling statt. Auch Labortests und so weiter gibt es. Hobby-Fahrer müssen aber leider damit leben, dass in der virtuellen Welt auch Sportler rumfahren, die 80 Kilo wiegen aber nur 60 Kilo angeben, weil die kommerziellen Plattformen nicht jeden kontrollieren können oder wollen. Doping ohne gesundheitliche Risiken quasi. Das kann aber auch unabsichtlich passieren, wenn zum Beispiel jemand einen schlechten Rollentrainer kauft oder ihn unbewusst falsch kalibriert.
Kannst du daraus Empfehlungen für Nicht-Profis ableiten?
Auf Amateur-Level kann Rollentraining vor allem als Training dienen. Der Spaß sollte im Vordergrund stehen. Es kann deutlich motivierender sein ein E-Cycling-Rennen einzubauen, als einfach nur VO2max-Intervalle zu fahren. Ein großer Vorteil liegt in der niedrigen Eintrittsbarriere. Für die Rennen muss man in der Regel keine Eintrittsprämie zahlen und erst irgendwo hinfahren. Es sieht auch niemand, wenn ein Fahrer nach drei Kilometern abgehängt wird. Da ist weniger Raum für Scham. E-Cycling kann deshalb auch für Radfahrer interessant sein, die in der analogen Welt gar keine Renn-Ambitionen haben. Am besten sucht man sich in den Communities Gleichgesinnte. So ist man bei Training und Rennen nicht allein. Im Winter liegt das nächste sportliche Ziel meist weit in der Ferne. Durch die virtuellen Events kann sich zusätzliche Trainings-Motivation ergeben.