Björn Scheele
· 03.02.2008
Seit 15 Jahren steuern die Schmidts bergab. Vater Harald, Mutter Claudia und die Söhne Sören und Norman organisieren das älteste MTB-Downhill Rennen in Europa – die Abfahrt im thüringischen Tabarz.
Das Frühstück fiel der Grippe zum Opfer. Erst verbrannte der Kaffee seine Speiseröhre, danach rutschte das Aspirin auf dem schwarzen Film hinunter. Es war wieder so weit: Einmal im Jahr hebelt das Downhill-Rennen in Tabarz Sören Schmidts Immunsystem aus – oder besser, der Stress. Dieses Jahr hämmerte wieder der Kopf und seine fiebernassen Hände glitschten über die Tastatur im Organisationsbüro. Seit sieben Jahren gibt er seinen Körper diesem Wahnsinn hin, verachtet seine Gesundheit mehr als die Hasardeure, die den Berg hinunterkarriolen. Zu verdanken hat er das seinen Eltern, die ihm diese Bürde auferlegten, noch bevor er „Downhill“ überhaupt schreiben konnte.
Die D-Mark klingelte nur ein halbes Jahr in Harald Schmidts Portemonnaie. Danach setzte ihn die Marktwirtschaft auf die Straße. Das war 1991. Arbeitslos in den neuen Bundesländern – den Rest kennt man aus den Nachrichten. Doch Vater Schmidt hatte vorgesorgt. Ein halbes Jahr vorher hatte er einen Radladen eröffnet, der jetzt ganztags für den Unterhalt sorgte. Nebenbei wurde Sören auf ein Bike geschnallt und Mutter Schmidt sortierte die Schrauben im Shop. Vollkommen unbewusst streute Vater Schmidt damit aber auch die Saat für das älteste Downhill-Rennen in Europa.
Der Keim spross 1991. Beim Downhill-Weltcup in Kaprun, in dem Jahr, als Mike Kluge nach durchzechter Nacht dem Sieg entgegenschlingerte. Familie Schmidt bestaunte „Mike the Bike“ und beschloss, etwas Ähnliches auch in Tabarz zu machen – zusammen mit dem Fahrradhändler Michael Beckert aus Gotha. Zunächst organisierten die beiden Fahrradhändler nebst ihren Frauen das Rennen. Bis es 1993 so weit war: Anfang Juli polterten die ersten Abfahrer beim Downhill-Rennen den Inselsberg in Tabarz bergab. Wenige Jahre später verabschiedete sich Beckert aus dem Bergab-Geschäft und überließ 1998 dem Schmidt-Clan das Ruder.
Die Wende kam 2000, als Mutter Claudia sich zurückzog. Seitdem steht Sören Schmidt an der Spitze des ältesten Downhills in Europa. Bis dahin hatte er noch Schonfrist und wurde angelernt. Dennoch, ganz alleine arbeitet er nicht: Sein Vater schmeißt den Radladen, Bruder Norman dirigiert seit zwei Jahren als Rennleiter das Geschehen. Im Hintergrund schlichtet die Mama die aufgeheizten Gemüter: sei es mit etwas Zuspruch für den Shuttle-Fahrer, der am Wochenende 800 Kilometer Teer unter die Reifen nimmt. Oder sie flickt dem Sohnemann die Nerven zusammen, wenn eine Bombendrohung ins Haus flattert – so wie dieses Jahr.
Den Kult ihres Rennens verstehen die Schmidts selber nicht so genau. Sie vermuten, dass das an den kurzen Wegen liegt. Selbst die betrunkensten Biker torkeln noch vom nahe gelegenen Campingplatz zum Start oder ins Rennbüro. Bürokratie klammern die Schmidts aus, was nicht zuletzt an der spärlichen Hilfe der Gemeinde liegt. Geld hat die Veranstaltung noch keines abgeworfen, egal ob in D-Mark oder Euro. Da half auch kein Grundig Cup, VW-Multivan Cup oder die Bundesliga, die der Downhill in Tabarz allesamt überlebte.
Seit 15 Jahren stürzen sich Party-Tiere und Profis gleichermaßen den Inselsberg hinunter. Egal, ob es regnet, die Tierzuchtgenossenschaft ihre Wiese sperrt oder die engagierten Stripperinnen unauffindbar sind. Jedes Jahr lernen die Schmidts ein wenig mehr dazu, um den ältesten Downhill Europas aufs Neue erstrahlen zu lassen.
Eines wird sich jedoch nie ändern: Mitte Juli plündert Sören Schmidt wieder den Medizinschrank. Damit seine Gesundheit zusammen mit dem Downhiller den Berg hinunterrauscht.