Wenn sich die Mountainbike-Elite zum Weltcup in Leogang trifft, dann schlägt der Puls der Szene an diesem Biker-Hotspot noch höher als sonst. Je näher das Rennwochenende rückt, desto mehr Fans trudeln am Fuße des Asitz ein. Am Ende sind es 23.000 Mountainbike-Enthusiasten, die an diesen vier Tagen im Juni rund 1100 Athletinnen und Athleten anfeuern. 40 davon auf E-Bikes – zum ersten Mal bei einem Triple-Weltcup, der die Disziplinen Cross Country, Downhill und Enduro mit all ihren Rennformaten unter den Hut einer einzigen Veranstaltung bringt.
Grund dafür war die aufsehenerregende Entscheidung des Fahrrad-Weltverbands UCI, der kurz vor Weihnachten verkündete, die Enduro-World-Series in den Weltcup zu integrieren. Und damit auch die E-Version. „Ein Riesenschritt nach vorne“, sagt dazu Claus Fleischer, CEO von Bosch eBike Systems, der sich genau daran erinnert, wie er sich noch wenige Jahre zuvor gemeinsam mit den EWS-Initiatoren Enrico Guala, Chris Ball und Fred Glo nachdrücklich dafür eingesetzt hat, dass der Weltverband E-Bikes überhaupt als Fahrräder anerkennt.
An fünf Terminen werden die Enduro-Piloten dieses Jahr also um Weltcup-Punkte fahren – auf Bikes sowohl mit als auch ohne Motorunterstützung. „Es ist fantastisch, Teil der Weltcupszene zu sein“, sagt dazu ein gut gelaunter Fabien Barel am Start in Leogang. Eigentlich wollte der zweifache Downhill-Weltmeister nur bei der Weltcuppremiere in Finale Ligure zwei Wochen vorher antreten – und diese dazu nutzen, die Premiere seines nagelneuen Canyon Strive:On im Rennzirkus zu feiern. Aber dann lief es für Barel so gut, dass er nach seinem Sieg in Finale kurzerhand beschloss, auch in Leogang an den Start zu gehen. Und Barel ist nicht der einzige prominente Biker im Fahrerlager der E-Racer an diesem Wochenende. In der Starterliste finden sich zahlreiche weitere klanghafte Namen: zum Beispiel Ex-Downhill-Weltmeisterin Tracy Moseley, Flo Espiñeira, die letztes Jahr die EWS-E gewonnen hat, E-MTB-Weltmeister Gérôme Gilloux oder Motorrad-Enduro-Weltmeister Manuel Lettenbichler. Außerdem Ines Thoma und Johannes Fischbach aus der deutschen Gravity-Szene.
Die Voraussetzungen, dass endlich auch dem E-Rennsport etwas Aufmerksamkeit geschenkt wird, sind also gut, als die Rennteams in Leogang ihre riesigen Zelte aufbauen. Doch die erste Ernüchterung für die E-Racer gibt es schon beim Blick ins offizielle Worldcup-Programmheft: Der Start des E-Rennens wird dort nicht erwähnt! Kein Wunder deshalb, dass die E-Racer unter sich bleiben – und Ines Thoma am Ende ein eher ernüchterndes Fazit zieht: „Ehrlich gesagt, bis auf den Moment der Siegerehrung zusammen mit allen Enduro-Racern hat man vom E-Bike-Rennen nur wenig mitbekommen.“ Dabei hatte die Allgäuerin, die seit dieser Saison voll auf E-Bike-Rennen setzt, auf einem technisch fordernden Parcours eine Menge Spaß: „Der Renntag an sich war mega!“
Doch Fahrspaß allein macht noch kein gutes Race-Konzept. Eine Frage, die im E-Racing immer wieder aufkommt: Haben die E-Rennen im Worldcup das richtige Format? Nein, meint Ines Thoma. „Wir sind in Leogang 1800 Höhenmeter und über 6500 Tiefenmeter gefahren“, rechnet die Canyon-Pilotin vor. „Das geht grundsätzlich mit dem normalen Rad auch.“ Und in der Tat findet das E-Enduro-Rennen in Leogang auf dem nahezu identischen Kurs statt wie das normale Enduro-Rennen. Lediglich angereichert mit zwei Power-Stages. Diesen stehen acht Stages gegenüber, die quasi nur bergab gehen. Das heißt konkret: Bei der Zeitnahme spielen die Uphill-Skills mit gut zwei Minuten von rund 40 Minuten nur eine untergeordnete Rolle.
Über mehr spannende Uphill-Stages könnte das E-Racing also sein Profil schärfen. Denn im Downhill gibt es erstaunlich wenig Zeitunterschiede zwischen der normalen und der E-Enduro-Disziplin. „Das ist Wahnsinn, wie schnell hier gefahren wird“, sagt deshalb auch Johannes Fischbach zu seinen ersten Erfahrungen im E-Enduro-Weltcup. „Fischi“, der bis letztes Jahr noch im Downhill-Weltcup die deutschen Fahnen hochhielt, bezeichnet seine erste E-Enduro-Saison als „Lehrjahr“. Dass er vom Downhill-Spektakel ins E-Racing gewechselt ist, hat unterschiedliche Gründe: Allein wegen der wirtschaftlichen Bedeutung des E-Mountainbikens für die Fahrradindustrie kann man davon ausgehen, dass auch der E-Rennsport über kurz oder lang an Bedeutung gewinnen wird. Zumindest die Professionalisierung der Rennteams ist in Leogang bereits zu erkennen.
Bestes Beispiel: Fischis Sponsor Gasgas ist mit den Co-Sponsoren Sram und Motorex gleich mit zwei Rennteams im Weltcup vertreten. Nicht nur, um die Entwicklung von Bikes voranzutreiben, sondern auch, um das Image von E-Mountainbikes zu pflegen. Team-Managerin Marlene Metzler sagt dazu: „Wir wollen die Rennszene pushen, um zu zeigen, was mit einem E-Enduro alles möglich ist.“
Und Claus Fleischer, Chef der E-Bike-Sparte bei Bosch, sieht die Entwicklung positiv, dass E-Mountainbikes ein mehr und mehr sportliches Image bekommen. „E-Biken ist der einzige uns bekannte Trend, der von alt nach jung geht“, sagt er. Und für diese Entwicklung sei die Strahlkraft einer spannenden Rennserie elementar wichtig. Erst recht, wenn sie unter dem Dach der UCI ausgetragen werde.
„Der Markt ist riesig, und die Industrie hat richtig Bock auf solche Rennformate“, diese Erfahrung hat auch Ines Thoma gemacht. Und die Allgäuerin ist davon überzeugt, dass eine konsequente Weiterentwicklung des Rennformats immer mehr Top-Fahrerinnen und -Fahrer locken werde. „Dass hier Leute wie Fabien Barel mitfahren, sagt ja eigentlich schon alles.“ Und auch bei den Frauen sei das Leistungsniveau top: „Die Fahrerinnen, die im E-Enduro-Rennen auf dem Treppchen stehen, würden auch in der normalen Enduro-Disziplin ganz vorne landen.“
Trotz aller kritischer Gedanken hat Ines Thoma nach einem zehn Stunden langen Renntag ein glückliches Strahlen im Gesicht. Und dazu hat sie allen Grund: Mit Platz zwei steht sie auf dem Podium, und eine Menge Spaß hatte sie obendrein. So wie unübersehbar alle im Leoganger Fahrerfeld. Manuel Lettenbichler, der Motorradpilot, Flo Espiñeira mit ihrem Sieg in der Damenkonkurrenz. Und natürlich Rennfahrerikone Fabien Barel, der nach dem Worldcup in Finale Ligure auch das Rennen in Leogang gewinnt.