Sissi Pärsch
· 26.12.2023
Als die Allgäuerin Ines Thoma 2011 vom Cross Country zum Enduro-Sport wechselte, steckte die Disziplin noch in den Kinderschuhen. Im Jahr darauf gründete sich die Enduro Mountain Bike Association und 2013 startete die Enduro World Series (EWS). Ines begleitete die Entwicklung über ein Jahrzehnt als Deutschlands konstanteste und erfolgreichste Enduro-Fahrerin. 2023 wurde aus der EWS der UCI World Cup EDR.
Der Enduro-Sport scheint in einer Findungsphase zu stecken. Die Zukunft? Ungewiss. Die Industrie und die Athleten? Verunsichert. Eine, die es dennoch versuchen will, ist die Deutsche U19-Vizemeisterin im Enduro und Downhill Leni Eller. Die 18-Jährige hat mit Karen Eller und Holger Meyer zwei Bike-Urgesteine als Eltern. Ihre Anlaufstation für Enduro-Tipps ist aber dennoch Ines Thoma …
BIKE: Leni, wieso hast du das Gespräch mit Ines gesucht, wenn du doch solche Eltern hast?
Leni Eller: Meine Mutter ist keine aktive Racerin mehr, und ich wollte mir auch von außen Denkanstöße holen. 2023 bin ich mein erstes Weltcup-Rennen gefahren und habe gemerkt, dass ich noch viel lernen muss. Ines wirkt immer extrem entspannt – genau das Gegenteil von mir. Ich würde schon gerne wissen, wie du dich auf ein Rennen vorbereitest, wie du dich sortierst, wie du im Kopf klar bleibst und dich konzentrierst.
Ines, bevor wir zu deinen Tipps kommen – würdest du Leni überhaupt dazu raten, in den Enduro-Sport einzusteigen?
Ines: Auf alle Fälle. Enduro ist und bleibt die beste Disziplin. Aber ehrlich? Wenn Leni gesagt hätte, sie will unbedingt jetzt Profi werden und als Weltcup-Neuling sofort ein Team finden, sehe ich die Chancen momentan bei null. Es ist nicht die einfachste Zeit. Es ist vage, wie sich die Disziplin weiterentwickeln wird. Es halten sich hartnäckige Gerüchte, dass es 2025 keinen Enduro-Weltcup mehr geben wird, und das beeinflusst schon heute die Sponsoren. Dazu kommt, dass die Industrie derzeit auf wackeligen Beinen steht. Ich kenne einige Top-Fahrer, die derzeit keine Sponsoren finden. Wahrscheinlich wäre es leichter, im E-Racing ein Profi-Team zu finden. Ich denke auch, dass ein paar switchen werden.
Leni: Ich finde E-MTB schon cool, und es haben auch tatsächlich Leute gemeint, ich hätte gute Chancen. Aber es reizt mich noch nicht so. Ich will mich nach dem Abi voll auf die EDR-Rennen konzentrieren, aber perspektivisch werde ich wahrscheinlich in Innsbruck studieren. Natürlich wäre es cool, in einem Profi-Team zu fahren, aber ich habe Angst, dass ich mir dann zu großen Druck mache, Resultate einzufahren.
Ines: Obwohl deine Eltern auch vorleben, dass man nicht nur mit Top-Rennergebnissen vom Bike-Sport leben kann. Wäre ihr Konzept nicht auch was für dich?
Leni: Es ist natürlich cool und inspirierend. Aber ich möchte lieber selbst schauen, was kommt. Und ich habe jetzt schon gemerkt, dass ich ehrgeizig bin.
Wie blickst du als junge Athletin auf die Entwicklung des Sports, Leni?
Leni: Das beschäftigt mich natürlich schon, und es wäre schade, wenn es keinen Weltcup mehr geben würde. Aber ich kann es mir ehrlich gesagt nicht vorstellen. Es gibt immer mehr Fahrer, weil die Leute checken, was für ein geiler Sport es ist. Ich glaube daher schon, dass es noch Rennen auf Weltebene geben wird. Die Industrie sieht ja, wie der Enduro-Sport wächst und immer wichtiger wird.
Ines, 2021 kam deine Tochter Romy zur Welt, und dein Partner Max Schumann ist ebenfalls Bike-Profi. Waren für euch Lenis Eltern Vorbilder, dahingehend, dass eine „Bike-Familie“ funktionieren kann?
Ines: Ja, absolut. Die Frage kam immer wieder auf, ob man so einen unsteten Job ausüben kann, einen Job, der so viel Flexibilität erfordert. Es gibt ein paar Beispiele, wo ein Elternteil weiterhin vom Biken lebt, aber der andere zu Hause alles zusammenhält. Deshalb waren Karen und Holger auf jeden Fall ein Vorbild für uns. Aber Leni, mich würde interessieren, ob deine Eltern immer ein Racing-Vorbild für dich waren.
Leni: Ich muss sagen, dass mich Rennen gar nicht so gejuckt haben. Ich wollte immer nur zum Spaß fahren. Mein Bruder Lois meinte irgendwann zu mir, ich sei doch gar nicht so langsam und solle es mal probieren. 2021 bin ich das Enduro-One-Rennen in Innsbruck gefahren und bin in der Women-Kategorie trotz Sturz Dritte geworden. Das hat mich total überrascht. Aber eben auch angefixt.
Ines: Ich kann mir schon vorstellen, dass dein Grund-Speed hoch war, ohne dass du es wusstest. Einfach, weil ihr so eine unnormale Familie seid. Bei anderen Eltern wäre sicher aufgefallen, dass du superschnell bist.
Leni, du bist auch erfolgreich Downhill-Rennen gefahren. Warum jetzt die Entscheidung für den Enduro-Sport?
Leni: CC ist mir zu viel hoch, zu wenig runter. Ich liebe runterfahren, das ist mein Element. Aber ich bin schon auch ein kleiner Schisser und denke zu viel nach – das sollte man beim DH nicht. Enduro ist vielschichtiger, und ich finde die Community auch entspannter als beim Downhill.
Ines: Für mich ist es noch immer das beste Format – superabwechslungsreich, super Leute. In meinen Augen ist es die kompletteste Disziplin.
Aber du meintest auch, es ist eine Disziplin, die sich aktuell verändert …
Ines: Ja, abgesehen von dem Schritt von der EWS zur EDR, habe ich das Gefühl, dass der Enduro-Sport extremer wird. Wer an der Spitze mitfahren will, muss mittlerweile jede Kurve einen Ticken übers Limit fahren – und das fühlt sich nicht immer so toll an … Ich glaube, das muss man sich bewusst machen und sich auch überlegen, ob man das will. Überpacen braucht es nicht unbedingt für das gute Mittelfeld. Ich bin nach Romys Geburt auch noch Siebte geworden und bin in meiner Komfortzone geblieben. Aber um ganz oben zu stehen, muss man wohl am Limit fahren.
Leni: Ich merke das schon auch. Bei meinem ersten Weltcup-Rennen in Chatel wurde mir klar, wie fordernd es auf internationaler Top-Ebene wird, was kleinste Fehler ausmachen und wo es bei mir noch fehlt. Daran will ich gezielt arbeiten, viel mit meinem Bruder fahren, der extrem gut bergab ist und mein Selbstbewusstsein aufbauen – und eben mit jemandem wie Ines sprechen. Mein Problem ist, dass ich mir zu viel Gedanken mache. Ines wirkt immer wie die Lässigkeit in Person …
Ines: Ich bin nur dann entspannt, wenn ich weiß, dass alles passt. In der Start-Area ist die Vorbereitung abgeschlossen, aber vorab kann ich Perfektionistin sein, da kannst du die Leute um mich herum mal fragen … Ich muss am Vortag alles herrichten: von den Sicherheitsnadeln bis zum Frühstück oder der Verpflegung am Pitstop. Da bin ich penibel. Das Radfahren selbst entspannt mich eigentlich.
Leni: Und zwischen den Stages?
Ines: Hast du schon einmal versucht, Notizen zu machen? Ich merke mir nicht jede Kurve, sondern das, was eher aus dem Rahmen fällt und wo ich von meiner Linie abweiche. Das schreibe ich auf Karteikarten – „vor dem Drop hoch links“ oder ähnlich – und gehe das dann noch mal durch. Das hilft zu fokussieren und die oft langen Wartezeiten vor den Stages zu verkürzen.
Leni: Das muss ich unbedingt ausprobieren.
Auf was kommt es beim Training besonders an?
Ines: Enduro ist so vielseitig und dadurch unglaublich komplex und schwierig zu trainieren. Es gibt viele Komponenten und deshalb viele Fahrertypen und unterschiedliche Wege, schnell zu sein. Das Offensichtlichste ist immer, dass man an seinen Schwächen arbeitet. Bei mir also große Sprünge, richtiges Risiko, Kopf ausschalten. Ich habe aber gelernt, dass man seine Stärken nicht vergessen darf. Vielleicht sollte man nicht überall eine 3 haben. Stattdessen: Sprünge 6, Ausdauer 1.
Leni: Ich habe noch nicht strukturiert trainiert und dann im Weltcup gemerkt, dass es nicht reicht. Es war extrem schwer, bis zur letzten Stage Kraft und Konzentration zu halten. Jetzt bin ich motiviert und werde mit einem Trainingsplan arbeiten.
Ein paar letzte Tipps, Ines?
Ines: Das ist eine persönliche Sache, aber für mich war wichtig, dass ich recht breit aufgestellt und nicht nur aufs Racing fokussiert war. Klar sagen manche, man kann nur erfolgreich werden, wenn man sich voll auf den Rennsport konzentriert. Aber mir hat es den Druck genommen, immer top performen zu müssen. Ich mag die Vielfalt: Rennen, Reisen, Buch und Reportagen schreiben, Social Media, Podcast. So habe ich auch das Vertrauen meiner Sponsoren und jetzt die Freiheiten mit Romy. Und ich denke mir heute: Stell dir mal vor, du wärst in all den Ländern nur Rennen gefahren – Tasmanien, Kolumbien. Ich bin immer länger geblieben und habe die Länder bereist. Das sind die Erlebnisse, die im Kopf bleiben. Nicht die Resultate.
Ines Thoma (34) stammt aus dem Allgäu und wechselte 2011 vom Cross Country zum Enduro-Sport. Sie wurde direkt Deutschlands erste Enduro-Meisterin, stand bei der EWS regelmäßig auf dem Podium und gewann vier Megavalanche-Rennen. Nach der Geburt ihrer Tochter Romy 2021 fährt sie sowohl Enduro- als auch E-MTB-Rennen – 2023 wurde sie Gesamt-dritte der E-EDR. Ines hat Grundschullehramt studiert, schreibt Bike-Reiseführer und spricht in ihrem Podcast „MTB Pasta Party“ über die Bike-Szene.
Leni Eller (18) hat zweimal den DH Rookies Cup gewonnen und ist sowohl im Downhill als auch im Enduro Deutsche U19-Vizemeisterin. So erhielt sie auch eine Golden Card für ihr erstes EDR-Rennen 2023. Ihre Eltern, Die Rasenmäher Karen Eller und Holger Meyer, haben die Entwicklung des Mountainbike-Sports in Europa entscheidend mitgeprägt – als einer der ersten Anbieter für Bike-Reisen und -Schulen und Erfinder von Kult-Events. Lenis Bruder Lois (14) hat den Downhill-Weltcup fix als Ziel vor Augen.
Wenn du tatsächlich den Profi-Weg einschlagen möchtest, brauchst du eine Lizenz – und die kann dein Radsportverein für dich beim Bund Deutscher Radfahrer (BDR) beantragen.
Am besten mit Breitensportveranstaltungen wie den Serien Enduro One, Enduro Tirol oder Swiss Enduro. Für sie benötigt man keine Lizenz, wenn man nicht in der Elite-Kategorie starten möchte. Für die EDR sammelt man beim Open-Rennen am Vortag oder bei Qualifier-Rennen und nationalen Meisterschaften (an denen jeder lizensierte Fahrer teilnehmen kann) Punkte, die auf der UCI-Lizenz gespeichert werden. Nur wer genug Punkte hat, darf bei der EDR starten.
Die Startgebühren liegen je nach Rennen zwischen etwa 70 bis 100 Euro, bei der EDR bis 200 Euro. Ist man nicht Teil eines Pro-Teams, kann das Reisebudget hoch ausfallen …
Für den Tagessieg bei der Enduro One gibt es 100 Euro, das Preisgeld für einen Sieg bei der EDR liegt bei 1500 Euro (der Siebtplatzierte erhält 75 Euro). Für den Gesamt-Weltcup bekommt der Gewinner 10000 Euro, Rang 5 noch 1000 Euro. Ohne Sponsoren kann man vom Enduro-Dasein also nicht leben.