Vintage Bike Masters KlostersInterview Marcus Klausmann: “Logisch – Vollgas!”

Dimitri Lehner

 · 18.01.2024

Downhill-Racer seit 1993: Marcus Klausmann, 15-facher deutscher Downhill-Meister und Race-Legende.
Foto: Laurin Lehner
Marcus Klausmann (46) ist einer der dienstältesten Downhill-Racer Deutschlands. Marcus gewann schon Worldcups Ende der 1990er Jahre und wurde 15 Mal Deutscher Downhill-Meister (1997-2013). Sein größter Erfolg war Platz 2 im Gesamtranking des Downhill-Worldcups 1996. Anlässlich des Vintage Bike Masters Race in Klosters 2023 sprachen wir mit dem Südbadener über die frühen Rennen, obskure Bikes, seltsame Innovationen und den Charme von Retro-Rennen.

FREERIDE: Du hast den ganzen Downhillsport mitgemacht. Kannst du dich noch an die frühen Rennen erinnern wie zum Beispiel das Race in Klosters 1993, zu dessen Ehren das Vintage Bike Masters letztes Jahr stattfand?

Marcus Klausmann: Natürlich. Ich war 1993 in Klosters sogar am Start. Dort fanden die Europameisterschaften statt. Ich wurde damals Vierter bei den Junioren. Zwei Wochen später startete ich bei den Weltmeisterschaften in Métabief, da wurde ich Zweiter.

Wann bist du dein erstes Downhill-Rennen gefahren?
Tatsächlich 1993. Das war mein erstes Jahr im Downhill.

Mit welchem Bike bist du damals in Klosters gestartet?
Mit einem Hardtail von Hooger Booger. Das war ursprünglich eine Snowboard-Marke, die unter dem Namen aber auch Mountainbikes verkauften. Hooger Booger gehörte zu Scott. Ich hatte Glück und wechselte kurz drauf ins Scott Team.

Natürlich ist es Blödsinn, dass früherr alles besser gewesen sein soll. Die Bikes von damals sind der beste Beweis! Doch, wenn es um größe Gefühle geht, hat Vintage die Nase vorne. Die größten Heldengeschichten waren immer früher. – Alex Beeler, Organisator der Vintage Bike Masters in Klosters

Wann kam die Vollfederung?
1993 sind schon viele mit Fullys gestartet. Von Kona und Sunn gab es gute Räder, Ancillotti und Scott baute ernstzunehmende Fullys. Das Mountain Cycle San Andreas war ein Bike, das seiner Zeit voraus war. Nur ich hatte eben keines.

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Benchmark Vollfederung 1993: Mountain Cycle San AndreasFoto: Henri LesewitzBenchmark Vollfederung 1993: Mountain Cycle San Andreas

Hatten die Fullys den Namen auch verdient?
Nicht alle, doch einige vollgefederten Bikes waren schon richtig gut, Sunn zum Beispiel oder Scott. Die Fullys von GT waren extrem gut.

Wie konntest du dann mit deinem Hardtail auf den 4. Platz fahren?
Das weiß ich auch nicht so genau. (Lacht). Eigentlich war ich 1993 noch U17-Fahrer. Ich hatte aber eine Sondergenehmigung, dass ich starten durfte. Eigentlich war ich zu jung. Die ganze Saison über lag ich viel im Dreck, weil ich es übertrieben habe. In Klosters schaffte ich es zum ersten Mal, den Run gut runter zu bringen.

Die fehlende Vollfederung hattest du mit Risiko und Vollgas wettgemacht.
Logisch – Vollgas! (Lacht) In Klosters ging das, doch wir fuhren damals auch auf Strecken – die waren mit einem Hardtail nicht zu bewältigen. Zum Beispiel in Cap d’Ail. Da bin ich meinen ersten Worldcup-Downhill gefahren. Auch mit einem Hardtail, doch das war unmöglich – nicht fahrbar! Da hatte ich einen Platten nach dem anderen und war fix und fertig.

Die Dh-Strecke von Klosters 1993 hatte wenig mit einem modernen Dh-Track zu tun, richtig?
Wenig. Klar, offene Wiesenkurven gab es damals schon und sie gibt es auch heute noch in DH-Tracks. Doch die Steilheit und Brutalität heutiger Strecken ist eine ganz andere Hausnummer als damals. Sonst wäre ich nie lebend mit meinem Hardtail da runtergekommen. Die Strecken kann man nicht miteinander vergleichen. Doch für die damalige Zeit war der Track in Klosters eine schnelle Strecke – aber auch extrem tretlastig. Da bist du bis in den Ort reingefahren.

Klausmann: “Die Bikes von 2008 waren schon verdammt schnell”

Stimmt es, dass man damals mit ausgezogener Sattelstütze gefahren ist?
Nicht voll ausgefahren wie du normalerweise fahren würdest, sondern 3 bis 4 Zentimeter eingefahren. Das war ein Kompromiss, um etwas mehr Bewegungsfreiheit zu haben und dennoch genug Druck aufs Pedal zu kriegen während der langen Tretpassagen. Die waren nicht wie heute 30 Meter lang, da bist du eine halbe Minute pedaliert bist es wieder runter ging. Da hast du dich in den Sattel gesetzt, um schneller voran zu kommen.

Ab welchem Zeitpunkt war ein Downhiller mit einem heutigen Downhill-Bike vergleichbar?
Mmmh... 2008 würde ich sagen. Gut, das waren noch immer 26-Zoll-Bikes. Doch mit den Bikes bist du schon sehr schnell gefahren, auch wenn die heutigen Mullet-Bikes große Vorteile haben. Zu der Zeit war viel in San Remo zum Trainieren – und in San Remo bin ich auch mit modernen Downhillern gefahren, daher habe ich einen guten Vergleich. Ich weiß: Die Bikes von 2008 waren schon verdammt schnell.

“Wenn ich mir die Bikes von damals so ansehe, dann geht mir vor allem eins durch den Kopf: Wir können heil froh sein, dass wir lebend aus der Zeit herausgekommen sind!”, sagt Mike Kluge, Worldcuplegende, Racer 1993 und Teilnehmer beim Vintage Bike Masters in Klosters.

Manche behaupten, sie wären Downhill-Weltmeister von 1990 bis 2004 geworden – mit einem heutigen Enduro. Siehst du das auch so?
Das glaube ich auch. Ich hätte all die Weltmeistertitel eingeheimst mit einem Enduro von 2024. Vielleicht nicht bis 2004, obwohl, vielleicht schon.

Hätte auch ein Hobby-Freerider die Downhill-WM von 1995 gewonnen mit einem heutigen Enduro?
Das wiederum glaube ich nicht. 1995 war die WM in Kirchzarten. Da gab es zwei harte Tretstücke. Um da schnell zu sein, musstest du richtig was auf der Kette haben. Zudem gab es fiese Wurzelpassagen und Kurven. All die Skills hättest du also auch haben müssen und den Punch, um vier Minuten schnell zu fahren. Das hätte einen Hobby-Freerider überfordert. Die versenkbare Stütze und das bessere Fahrwerk hätten dir zwar geholfen, doch treten hättest du eben dennoch müssen.

Werden wir in 30 Jahren auf die Downhill-WM 2023 blicken wie wir das jetzt tun mit der Downhill-EM 1993 in Klosters?
Vermutlich ja. Diese Frage habe ich mir auch schon gestellt und habe das Szenario in Gedanken durchgespielt. Wo stehen wir jetzt und was passiert da noch? Auf den ersten Blick wirken unsere heutigen Bikes, die Geometrien und Fahrwerke ausgefeilt. So als würde sich da nicht mehr viel verbessern lassen.

Vintage Bike Masters in Klosters: Die Bikes mussten nicht alle von 1993 sein. Denn dieses Cannondale kam erst später zu Ruhm und Ehre. Dennoch ein gern gesehener Klassiker.Foto: Hitsch PhotographyVintage Bike Masters in Klosters: Die Bikes mussten nicht alle von 1993 sein. Denn dieses Cannondale kam erst später zu Ruhm und Ehre. Dennoch ein gern gesehener Klassiker.

Klausmann: Der größte Game-Changer war die versenkbare Sattelstütze

Schaut man sich die Bikes von Klosters 1993 an, war das ein abenteuerliches Geröhr. Ein Wunder, dass die Fahrer es damit lebend ins Tal geschafft haben.
Stimmt. Und die Technik-Sprünge werden nicht mehr so groß sein wie bisher. Damals ging es bei Null los. Doch schau dir den Motorsport an. Der war 1990 schon viel viel weiter, vergleichbar mit dem Downhill-Sport heute. Und doch: Vergleichst du die Autos von 1990 und die Autos von heute, dann hat sich die Technik enorm weiterentwickelt. Kurzum: Es kann durchaus sein, dass wir in 30 Jahren auf die Bikes von heute schauen und schmunzeln wie heute über einen Audi Quattro von 1990.

Blickst du zurück, welche Innovationen waren Murks, welche Glücksbringer?
Damals sind wir noch mit Dreifach-Kettenblättern gestartet und selbst ertüftelten Kettenführungen. Erst um 2000 gab es die ersten Standards, dennoch: gepasst hat nie was. Also musste man immer wieder zur Feile greifen. Da ist man heute schon richtig weit, damit die Kette drauf bleibt. Der größte Game-Changer war die versenkbare Sattelstütze – für den gesamten MTB-Sport. Für den Downhill war die Stütze nicht mehr wichtig, denn die Strecken wurden steil und schnell, die Tretpassagen der ersten Jahre fielen weg.

Breite Lenker und dicke Reifen?
Dicke Reifen gab es schon damals. Michelin baute mit dem C16 einen guten Reifen, der 2.1 oder 2.2 Zoll breit war. Doch es gab auch 2,5er-Reifen. Breite Lenker habe ich schon damals gemocht. Die gab es nicht zu kaufen, daher baute ich mir selbst an der Drehbank Verlängerungen, so dass mein Lenker schon auf 720 Millimeter kam. Protaper bot als erster Hersteller wirklich breite Lenker an. So breit, dass ich sie schon wieder kürzen musste. Ich erinnere mich an ein kurioses Reglement des BDR, dass Lenker nicht zu breit sein durften. Dafür bauten sie eine Schleuße in den Track ein. Nur die durften starten, die da durch passten. Das war lächerlich, und der BDR unterließ das schnell wieder, als sich die Proteste häuften.

Checkt den Federweg! Vorne ein Witz, hinten nix. So sind viele bei den Europameisterschaften im Downhill 1993 gestartet.Foto: Hitsch PhotographyCheckt den Federweg! Vorne ein Witz, hinten nix. So sind viele bei den Europameisterschaften im Downhill 1993 gestartet.

Vintage Rennen finde ich super - findet Markus Klausmann

Hast du die Bikes aus den Anfangstagen noch?
Leider nein. Ich habe noch den Bike-Rahmen, mit dem ich den Worldcup gewonnen habe 1996 in Kaprun. Und ich habe von B1 noch einen Spezialrahmen. An dem konnte ich alles verstellen: Kettenstreben, Lenkwinkel, Reach usw. Mein Vater hatte ihn gebaut – damit sollte ich herausfinden, was mir am meisten liegt. Erst dann habe ich meine Bestellung abgegeben für die Maßrahmen. Schließlich konnte ich schlecht im Vorfeld sagen: hier länger, dort kürzer – denn mit den gelieferten Maßrahmen musste ich dann die ganze Saison bestreiten.

Komplettbikes hast du demnach keine mehr?
Nein. Doch vor kurzem bekam ich eine Email von jemanden, der damals mein Intense M1 gekauft hatte. Das war noch immer im Originalzustand mit Rond-Gabel, Sechskolbenbremse, Gripshift und andere Kuriositäten. Selbst die Tioga-Reifen waren noch drauf. Ich hab ihm das Angebot gemacht, es zurück zu kaufen, doch leider hatte er es vor nicht allzu langer Zeit weiterverkauft. So schade – das Bike hätte ich gerne wieder gehabt. Es wäre das ideale Bike, um damit bei Retro-Rennen wie dem Vintage Bike Masters zu starten.

Warum hast du letztes Jahr nicht mitgemacht? Sind Retro-Rennen nicht nach deinem Geschmack?
Das Vintage Rennen finde ich super. Ich war sogar eingeladen nach Klosters, doch mein Sohn Levin hatte zur gleichen Zeit seine Europameisterschaft im Downhill, da wollte der Papa natürlich unterstützen.

Wie hat Levin abgeschnitten?
Bei der EM hatte er zwei Mal Defekte. Les Menuires ist eine Highspeed-Strecke. Einmal brach ihm die Felge beim Sprung in ein Steinfeld, einmal fuhr er einen Platten. Doch Levin ist verdammt schnell und hat das Zeug in meine Fußstapfen zu steigen. Das freut mich als Papa.

Downhill-Racer seit 1993: Marcus Klausmann, 15-facher deutscher Downhill-Meister und Race-Legende.Foto: Laurin LehnerDownhill-Racer seit 1993: Marcus Klausmann, 15-facher deutscher Downhill-Meister und Race-Legende.

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