Laurin Lehner
· 27.09.2023
Marcus Klausmann ist 15facher deutscher Downhill-Meister und sagt, was er denkt. Er ist ganz nah dran am Renngeschehen. Der Ex-Racer berät seinen Sponsor Propain in der Produktentwicklung, ist MTB-Coach und betreibt den Fahrwerks-Tuning-Service Klausmann Suspension.
Für uns ist Klausmann der ideale Gesprächspartner, um eine Bilanz des ersten UCI-Worldcups unter dem neuen Vermarkter Warner Brothers zu ziehen. Marcus Klausmann im FREERIDE-Interview über zu schnelle Strecken, fehlende Sturzräume und die Verlierer der Saison 2023.
FREERIDE: Marcus, ein Jahr Worldcup unter dem neuen Vermarkter Warner Brothers ist vorbei. Wie sieht Dein Resümee aus, Marcus?
MARCUS KLAUSMANN: Durch die Übertragung im Free-TV wird eine breitere Zielgruppe angesprochen. Viele, die bisher wenig mit dem Mountainbiken zu tun hatten, könnten jetzt Feuer gefangen haben. Das ist eine gute Nachricht. Kurzum: Medial war die Saison ein Erfolg. Klar, einige verzichten jetzt auch, weil sie es nicht mehr umsonst auf Redbull.tv sehen können. Ich als Race-Nerd habe mir ein GCN-Abo gegönnt.
Deine positive Bilanz gilt für alle Kategorien?
Nein, der Enduro-Worldcup ist der Verlierer der Saison. Egal, ob mit oder ohne Motor. Es wurde viel versprochen, z. B. spannende Zusammenfassungen. Das passierte zu Beginn der Saison, nach den ersten zwei Worldcups war es sehr ruhig.
Zuvor war es nicht besser.
Stimmt, der Enduro-Worldcup ist und bleibt eine mediale Herausforderung. Aber die Berichterstattung der ersten beiden Worldcups hat gezeigt, dass es möglich ist. Eine Live-Übertragung wird hingegen nie machbar sein.
Welche Unterschiede sind Dir sonst noch aufgefallen?
Optisch ist einiges professioneller geworden. Zum Beispiel die Videowall, oder auch, dass auf das Flatterband verzichtet wurde und jetzt Absteckfähnchen die Strecken markieren. Übrigens auch ein wichtiger Sicherheitsfaktor.
Das musst Du erklären.
Das ist kein Geheimnis: Das Flatterband lässt die Fahrer schneller stürzen. Ich habe schon Fahrer gesehen, die von der Strecke abgekommen sind und sich mit dem Flatterband halb erdrosselt haben. Die Markierungen sind die bessere Lösung – eine gute Änderung.
Du bist nah dran am Fahrerlager. Was kriegst Du noch mit?
Absteck-Markierungen hin oder her, der Worldcup ist zu gefährlich. Da sind sich alle einig: So, wie es ist, ist es zu brutal. Auf die Fahrer wird viel zu wenig gehört.
Woran machst Du das fest?
Die Strecken sind zu schnell. Hast Du Les Gets gesehen? Da brettern die mit Highspeed in den Wald mit Wurzeln, Felskanten und Off-Camper-Passagen. Das ist ein Ritt auf der Rasierklinge. Die Fahrer wissen aber auch, wenn sie etwas reißen wollen, müssen sie alles riskieren. Zu meiner Zeit hat man sich auf das Rennen gefreut, ich glaube, das würde ich heute nicht mehr machen. So mancher Fahrer wird mit einem flauen Gefühl im Magen in das Starthäuschen rollen – da bin ich mir sicher.
Wie könnte man den Worldcup sicherer gestalten?
Es braucht Sturzräume. Amaury Pierron hat sich letzte Saison einen Halswirbel gebrochen und zu Recht bemängelt, dass es keinen Sturzraum gab. Das war damals leider nicht anders, auch wenn die Strecken nicht so schnell waren. Ich erinnere mich an Cédric Gracia in Val di Sole. Er strauchelte, fuhr ins Flatterband, verlor dadurch die Kontrolle und stürzte dann ein paar Meter weiter, wo irgendein Zeug herumlag – dort brach er sich auch die Hüfte. Was ich damit sagen will: An manchen Stellen ist es vorhersehbar, dass Fahrer die Kontrolle verlieren können. Da darf nichts liegen. Hier muss Platz sein, um zu stürzen.
Du sagst, die Kurse sind zu schnell gesteckt.
Definitiv! Die Fahrer erreichen bis zu 60 km/h. Und das im Gelände. Das ist gewollt, denn so liegen die Zeiten noch enger beieinander. Gut für die Zuschauer und den Veranstalter, gefährlich für die Fahrer.
Doch die Strecken sind nicht erst unter Warner Brothers so schnell.
Nein, der Trend war schon mit Red Bull da, aber jetzt wird er forciert. Sicher, Downhill war schon vor 20 Jahren gefährlich und wird es auch bleiben. Aber jetzt nimmt es eine neue Form an. Man muss den Fahrern mehr Gehör schenken.
Beschweren sich die Fahrer denn?
Hinter vorgehaltener Hand. Ich weiß, dass intern viel diskutiert wird. Aber es stimmt, öffentlich sagt kaum jemand etwas. Ich erinnere mich, dass Loic Bruni einmal vor laufender Kamera Probleme angesprochen hat. Danach hat man nichts mehr gehört. Die Rolle des Jammerers will vermutlich keiner.
Es gibt einen Fahrerrat, der die Interessen der Starter vertreten soll.
Das ist gut so. Der Fahrerrat kann sich melden und Wünsche äußern. Ich habe die Vermutung, dass wenig auf ihn gehört wird.
Die größte Änderungen im Downhill sind die Semi-Finals. Eine gute Idee, und willst Du es kurz erklären?
Die Semi-Finals sind eine gute Sache. Sie finden am selben Tag statt und werden kostenlos auf YouTube übertragen. Auch hier muss man sich qualifizieren, denn nur 60 Fahrer können starten. 30 Fahrer qualifizieren sich dann für das Finale, das im Free-TV übertragen wird. Bei den Frauen qualifizieren sich nur zehn Frauen für das Finale. Auch gut: Die Junioren werden jetzt auch übertragen (GCN), meistens am Vortag der Herren-Elite. Sie bekommen jetzt viel mehr Aufmerksamkeit.
Es gibt auch Protected-Fahrer, die direkt im Finale starten.
Stimmt, wer geschützt ist, verstehe ich immer noch nicht. Ich fände es gut, wenn sich jeder Fahrer qualifizieren müsste. Auch ein Loic Bruni. Warum Geschenke verteilen?
Die wollen nicht auf Stars verzichten, die im Halbfinale patzen.
Warum nicht? Das ist im Tennis doch auch so. Dann ist ein Alex Zverev mal nicht dabei. Das ist schade, mehr aber auch nicht.
Sogenannte Privateer-Fahrer wie Stefan Garlicki, die kein Team im Rücken haben, klagen über extrem gestiegene Startgelder.
Verständlich. Die Start- und Standgebühren werden weiter steigen, um die Privateers rauszudrängen. Das kann die UCI nicht offensichtlich machen, sondern versucht das durch die Gebühren. Das war bei den Motocross-Rennen vor einigen Jahren auch so.
Keine guten Aussichten. Manche Fahrer beklagen durch die Semi-Finals auch doppeltes Risiko.
Wenn dir das zu viel ist, musst du mehr trainieren. Skifahrer kommen auch mit zwei Rennen pro Tag klar. Das ist eine mentale Eingewöhnungsphase, bald ist es für die Fahrer ganz normal. Doppelt so viele Rennen bedeuten auch doppelt so viel Aufmerksamkeit. Und das ist nichts Schlechtes.
Privateers haben kein Team mit Mechaniker etc. hinter sich, sie kommen ins Schwitzen, weil sie nach den Semi-Finals gleich wieder zum Start müssen.
Wenn du im Halbfinale einen Defekt hast, der repariert werden muss, hast du das Halbfinale sowieso verpatzt und bist nicht qualifiziert. Außerdem gibt es sowieso nur wenige Privateer-Fahrer.
Du weinst den Privateer-Fahrern also nicht hinterher.
Sie haben ihre Berechtigung. Für sie wird es jedoch schwierig. Ohne Unterstützung geht nichts mehr. Alles wird elitärer, so will es die UCI und der neue Vermarkter Warner Brothers. Privateer-Fahrern könnte man es übrigens schon mit kleinen Maßnahmen leichter machen. Zum Beispiel, wenn jeder Fahrer seinen eigenen Waschplatz hätte, da geht oft die meiste Zeit verloren. Wie bei den Motocrossern, da funktioniert das auch.
Du führst oft Motocrosser an, sollten wir uns an ihnen orientieren?
Es ist nie schlecht, sich an erfolgreichen Formaten zu orientieren.
Noch mal: Weinst Du Privateer-Fahrern hinterher?
Ich bin für die Professionalisierung, aber ich weiß auch, dass das für viele Talente das Todesurteil ist. Denn wenn man in jungen Jahren nicht in ein Nachwuchsteam aufgenommen wird, hat man später keine Chance mehr. Ja, ich weine ihnen hinterher, doch vielleicht ist es ein notwendiges Übel. Extrem schade ist es allemal.
Seit Kurzem steht GCN (Global Network Cycling) zum Verkauf. Die Plattform ist für die Übertragung zuständig. Wird jetzt doch alles ganz anders?
Das kann ich jetzt wirklich nicht beantworten. Doch ich bin Optimist.
Es wird versucht, alles professioneller aufzuziehen. Das gelingt zum Teil, vieles läuft aber noch schief. Die Kommunikation, wann was im Free-TV läuft zum Beispiel, da blickt keiner durch. Die Idee der Semi-Finals fand ich zu Beginn gut, doch sie bringen viel Hektik in den Tag. Für uns und vor allem für die Mechaniker. Die erhöhten Startgebühren wirken sich leider nicht auf die Preisgelder aus. Schade! – Nina Hoffmann, Santa Cruz Syndicate
Ein Wechsel des Vermarkters ist immer spannend. Vieles kann schief gehen, aber auch vieles kann besser werden. Einige Änderungen gefallen mir nicht. So bin ich kein Fan von den Semi-Finals – das dauert alles zu lange und bringt keinen wirklichen Mehrwert. Mich betrifft es nicht wirklich, denn ich bin dieses Jahr ein “Protected Rider”, warum verstehe ich selbst immer noch nicht. – Brook MacDonald, Worldcup-Racer
Ich freu’ mich drüber, dass wir Junioren nun auch eine Live-Übertragung haben, wenn auch hinter der GCN-Paywall. – Henri Kiefer, Downhill-Weltmeister (Junioren)
Zur Übertragung kann ich nix sagen, denn ich bin immer vor Ort. Ich weiß, dass das Fahrerfeld in Sachen Semi-Finals gespalten ist. Bei der Organisation klappt noch nicht alles, doch daran werden sie für 2024 arbeiten. Top: Das fehlende Flatterband – so gelingen mir schönere Fotos. – Boris Beyer, Worldcup-Fotograf
Die Strecken werden immer schneller und ja, das macht sie gefährlicher. Ich glaube, keiner sagt öffentlich etwas, weil keiner die Rolle des Jammerlappens haben möchte. Zudem gibt es ein paar wenige einflussreiche Fahrer, die solche Highspeed-Strecken feiern. – Andreas Kolb, Vize-Weltmeister DH
Ja, die Strecken sind gefährlicher geworden. Natürlich wird das Rennen dadurch spannender, weil die Zeiten enger beieinander liegen. Die Fahrer gehen ein hohes Risiko ein. Guck dir Lenzerheide an, da sind mindestens ein Dutzend Fahrer/innen gestürzt, zwei oder drei davon haben sich schwer verletzt. Das kann nicht sein. Der Downhill-Worldcup ist nicht mehr das, was er einmal war. Versteht mich nicht falsch. Ich fahre gerne schnell, aber es fehlen die technischen Passagen. Die Strecken sollten steil, rau und selektiv sein – das ist Downhill! – Brook MacDonald, Worldcup-Racer