Superstar im Exklusiv-InterviewTom Pidcock über Glück, Ziele & Fairness

Laurin Lehner

 · 20.05.2025

Superstar: Kaum ein anderer Profi ist so gefragt wie der junge Brite.
Foto: Red Bull
Tom Pidcock ist der vielleicht vielseitigste Radsportler auf diesem Planeten. Olympiasieger im Mountainbike, Cross-Weltmeister, Tour-de-France-Etappensieger. Wir haben den Superstar endlich an die Strippe bekommen. Tom über Wille, Bikepark-Besuche und die Fairness seiner Überholmanöver.

Ein Interview-Termin mit Tom Pidcock zu bekommen, ist ein langwieriges Unterfangen. Der Brite zählt zu den gefragtesten Radprofis überhaupt. Pidcock hat eine durchgetaktete Woche und muss, wenn er mal Luft hat, gut zahlende Sponsoren bespaßen oder – das wollen wir hier nicht verschweigen – mit auflagenstärkeren Medien sprechen. Nach rund einem Jahr des Nachhakens ist es so weit: Das Management hat uns einen 30-Minuten-Slot zugesagt.

Der Call wird verschoben – Tom sei gerade in den Bergen unterwegs. Sein Teammanager verweist auf seinen Insta-Post, auf dem ein Bergkamm und zwei Skier im tiefen Schnee zu sehen sind. Am nächsten Tag soll das Interview aber klappen, schreibt der Teammanager: “Same time, 6 pm.”

Ich wähle mich ein. Eine charmante Frauenstimme meldet sich auf Deutsch mit „Guten Abend“. Vermutlich Toms Agentin. Sie wechselt ins vornehme Upperclass-English und sagt, Tom habe sich erkältet, sei aber bereit – wir hätten 25 Minuten Zeit. Mir wurden 30 Minuten zugesagt. Die Agentin sagt, ich könne starten – Tom sei bereits in der Leitung.

Tom meldet sich, verschnupft, aber bemüht: “Hi.” Kurzer Smalltalk – er hatte ein paar Tage frei und war Skifahren, jetzt ist er krank. Ich will das Interview etwas anders starten, ihn überraschen und noch mit den klassischen Fragen warten, wie: “Was ist dein Ziel auf dem MTB?” oder “Wie ist Pogacar auf dem Rennrad zu bezwingen?”

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Tom Pidcock: Radsport-Superstar im Interview

BIKE: Tom, was ist Glück für dich?

Tom Pitcock: (kurze Pause) Das Ziel (lange Pause) … und der Weg dorthin. Auch wenn der Weg hart ist, erfüllt er mich. Der Sieg ist die Krönung, das Glück.

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Wie lange hält Glück bei dir nach einem Sieg an?

Nicht lange – leider. Ich glaube sogar, es hält kürzer an als noch vor einigen Jahren. Vielleicht in dem Moment, wenn ich über die Ziellinie fahre und kurz danach. Dann schweifen meine Gedanken schon wieder ab, und ich denke darüber nach, was ich esse oder wann es zurück zum Flughafen geht.

Was macht dich glücklich abseits der Rennen?

Glück ist ein großes Wort, doch es sind die kleinen Dinge, die mir in den Kopf kommen. Zum Beispiel mit meiner Freundin ins Café zu gehen, mit meinen Hunden spazieren oder eben Skifahren gehen.

(Tom gähnt, wirkt etwas gelangweilt von den Fragen. Ich wechsle zu den Radsport-Fragen.)

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Du darfst nur noch eine Kategorie für den Rest deines Lebens fahren. Was würdest du wählen? MTB, Straße oder Cyclocross?

Unter welchen Bedingungen? Wenn alle Umstände gleich wären, auch die Bezahlung?

Nein, wenn es genau so wäre wie jetzt.

Dann Straße.

Und wenn jede Kategorie gleich gut bezahlt werden würde?

Mountainbike.

Immer gut für spektakuläre Überhol-Manöver. Selbst Kritiker im Fahrerfeld sind sich einig: Tom ist eine Bereicherung im MTB Worldcup.Foto: Red BullImmer gut für spektakuläre Überhol-Manöver. Selbst Kritiker im Fahrerfeld sind sich einig: Tom ist eine Bereicherung im MTB Worldcup.

“Ich habe in der Vergangenheit Chancen liegen lassen”

Interessant. Du hast gesagt, dass du dir vorstellen könntest, bei den MTB-Weltmeisterschaften zu starten.

Stimmt, doch noch ist nicht klar, ob ich bei der La Vuelta starte, die ist in derselben Woche. Zwei Events, ein Termin. Das ist ein Problem, das ich häufiger habe. Dabei würde es mich reizen, denn ich habe das Gefühl, ich habe in der Vergangenheit Chancen liegen lassen.

Chancen liegen lassen? Du hast in Glasgow gewonnen und kurz darauf die Goldmedaille in Paris geholt.

Ja, aber das Jahr zuvor war ich krank, und nach Paris war ich leer von der Saison. Daher würde ich es gerne noch einmal bei der WM probieren.

Auf der Straße fährst du seit diesem Jahr Scott, auf dem Mountainbike weiterhin Pinarello. Warum hast du dir kein Team gesucht, bei dem du einen Rahmensponsor hast?

Zugegeben: Die Situation ist etwas komisch, doch ich habe eine enge Bindung zu Pinarello, die wollte ich nicht aufgeben. Daher fahre ich jetzt zweigleisig und bin mir sicher, dass ich damit richtig liege.

Du bist bekannt für deine Ellenbogen-Manöver, wie z. B. in Paris auf der finalen Runde des XCO-Finals. Es gibt einige Fahrer, die das monierten. Ist dir das egal?

Wer hat sich darüber beschwert?

Es gibt auch deutsche Cross-Country-Fahrer, die das zumindest grenzwertig fanden, auch andere Duelle im Worldcup.

Wer?

Ich nenne keine Namen.

Ich habe Victor Koretzki genug Chancen gegeben zu gewinnen, oder etwa nicht? (Pause) Das ist Racing.

Wo würdest du die Grenze zwischen “noch erlaubt” und unfaires Verhalten ziehen?

Ich vergleiche das gerne mit dem Motorsport. Die haben sehr verständliche Regeln, wenn es ums Racing geht. Wenn du in der Kurve vorne liegst, dann ist das deine Kurve. Ist dein Lenker vor dem des anderen, dann ist das faires Racing. Wenn du von hinten kommst und ihn abdrängst, sieht es anders aus. Das kannst du nicht machen.

Und das konntest du bei dem Speed einschätzen?

Es war die finale Runde. Solche Manöver sind natürlich riskant, und vermutlich wäre diese Attacke in der Mitte des Rennens etwas drüber gewesen, doch es war die finale Runde. Es war notwendig, richtig und fair. Wer sich das Manöver anschaut, wird mir zustimmen.

Rennen wie dieses haben gezeigt, wie spektakulär Cross-Country-Racing sein kann. Warum sind Straßenrennen eigentlich so viel populärer?

Das hat sicher nicht nur einen Grund. Tradition spielt die größte Rolle. Der Cross-Country-Rennsport war auf einem guten Weg. Ich glaube, seitdem Red Bull die Rennen nicht mehr kostenlos überträgt, nimmt die Sichtbarkeit wieder etwas ab. Um ehrlich zu sein, ich habe auch kein Abo. 30 Pfund im Monat, das ist lächerlich. Ich habe zwar keine Zahlen, doch mich würde es nicht wundern, wenn die Zuschauerzahlen seit dem Ende der kostenlosen Übertragung von Red Bull zurückgegangen sind.

Giro d’Italia: Tom Pidcock während der Stage 2. 10 Mai 2025.Foto: Red BullGiro d’Italia: Tom Pidcock während der Stage 2. 10 Mai 2025.

Du hattest einmal gesagt, du könntest dir vorstellen, bei einem Downhill-Rennen zu starten. Ist das noch auf deiner Bucket-Liste?

Puh, ich stecke da nicht mehr viel Energie rein, daran zu denken. Klar, es wäre eine schöne Erfahrung, doch je älter ich werde, desto mehr “zerdenke” ich so etwas. Die Risiken spielen da auch eine Rolle.

Hast du ein Big Bike in der Garage?

Nein, doch ich wollte Scott fragen, ob sie mir ein Gambler schicken. So ein Downhiller würde sich gut machen in meinem Fuhrpark. Mein MTB-Sponsor Pinarello hat ja kein Downhiller im Programm.

Bist du vertraglich limitiert, wenn es um Risiken geht? Darfst du einfach einen Tag im Park shredden?

In der Theorie gibt es Limitierungen. Ich werde bezahlt, um zu trainieren, mich nicht zu verletzen und Siege einzufahren. Doch die Idee mit dem Wechsel ins Team war auch, dass ich ich selbst sein kann. Daher würde ich das nicht ausschließen. Solange ich Risiken gut einschätzen kann, würde das wohl niemanden stören.

Bekannt für einen starken Willen - “Puh, bin ich das?”

Manche sagen, die Zeiten sind vorbei, in allen Disziplinen ganz oben zu stehen. Wie siehst du das?

Ich glaube, das ist durchaus möglich. Nicht einfach aus Zufall und nicht in drei unterschiedlichen Worldcup-Saisons. Doch wenn du dir große Schlüsselrennen als Ziel setzt, fokussiert darauf hinarbeitest, hinfährst, siegst und dann das Zeug dazu hast, blitzschnell umzuschalten und dich auf das nächste Ziel in der anderen Disziplin zu konzentrieren, dann geht das.

Du bist bekannt für einen starken Willen. Angeboren oder kann man den sich aneignen?

Puh, bin ich das?

Es scheint so.

(Lange Pause) Es geht darum, wie sehr du etwas erreichen willst. Ich habe sicher nicht immer einen starken Willen. Wenn ich während eines Rennens das Gefühl bekomme, dass ich es wohl nicht als Erster ins Ziel schaffe, neige ich dazu, zu früh aufzugeben. Das ärgert mich, und ich beiße mir für diese Gedanken in den Hintern. Wenn ich weiß, da ist eine Chance zu gewinnen, fällt es mir einfach, alles zu geben.

Hast du in anderen Lebenssituationen Probleme, dich aufzuraffen oder zu motivieren?

Nein.

(Die Dame aus dem Off meldet sich: Can I shortly interrupt? ... wie man hört, fühlt sich Tom nicht so gut. Ich frage, ob wir die letzten Fragen erledigen können. Tom muss sich ausruhen. Tom reagiert nicht auf das Gesagte der Agentin. Ich habe noch ein ganzes DIN-A4-Blatt voll mit Fragen und mache weiter.)

Du bist nun in einem kleinen Strassen-Rennteam und auf Wildcards angewiesen. Warum hast du dich nicht für ein Top-Team wie Redbull-Bora-Hansgrohe entschieden?

Weil das Team für mich die beste Lösung war. Mir gefällt die Herausforderung. Ich habe meine Ziele und kann sie hier eher auf meine Art verfolgen.

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Du hattest in der Netflix-Serie gesagt, dass der TDF-Sieg dein größtes Ziel sei. Das kannst du mit diesem Team gar nicht verfolgen – zumindest nicht dieses Jahr.

Genau, nicht dieses Jahr. Mein Ziel ist es, das Team 2027 an den Start zu bringen. Der Gedanke gefällt mir.

Lass uns noch einmal über die Entscheidung beim Teamwechsel sprechen. Bist du ein Kopf-Entscheider oder ein Bauch-Entscheider?

Mein Bauch tendierte immer zu diesem Team. Klar, der Kopf spielt da auch rein – und das ist auch gut so. Denn man muss abwägen können, überlegen, wen man beim Verfolgen seiner Ziele an seiner Seite haben will. Ich bin happy mit meiner Entscheidung.

Arbeitest du mit einem Mental-Trainer?

Nein, für mich ist das nichts. Vielleicht in der Zeit, als ich die Junioren-Weltmeisterschaften im Cross gewonnen habe, da hatte ich Gedanken, die meine Stimmung dämpften. Zudem fiel es mir schwer, mit manchen Problemen umzugehen. Heute ist das nicht mehr so.
Ich habe schon mit einigen gesprochen, es hat nie “Klick” gemacht, und ich hatte die Erkenntnis, dass das mich besser machen könnte.

Grund für Stürze: “Geld. Geld bringt Druck.”

Es gibt viele Stürze im Roadcycling. Was sind die Gründe für die Zunahme solcher Vorfälle?

Geld. Geld bringt Druck, Druck bringt Erwartungen, Verantwortung. Je mehr Geld im Spiel ist, desto wichtiger ist es, die Erwartungen zu erfüllen. Die Fahrer nehmen dafür viel Risiko in Kauf. Da wird bei einer Kurve erst im allerletzten Moment gebremst.

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Findest du, hier sollte etwas gemacht werden?

Sie versuchen es oder geben es vor. Mit Dingen wie, dass man nicht vor der Ziellinie feiern darf. Was soll das helfen? So ein Quatsch! Das Beste wären limitierte Gänge, was das Tempo etwas reduzieren würde. Das könnte noch am ehesten helfen.

(Die Stimme aus dem Off meldet sich: „Should we conclude it, please?“ Ich frage, ob ich noch eine letzte Frage stellen darf. „Alright, the very last question then.“)

Dein Bruder ist im gleichen Team. Worauf freust du dich am meisten in der Saison und was wird dir auf die Nerven gehen?

Äh, stell eine andere Frage.

(Die Frauenstimme lacht aus dem Off: „Eine andere, bitte.“ Ich lache aus Verlegenheit mit. „Hast du eine weitere?“ fragt die Frau. Ich sage, ich habe viele Fragen parat, doch jetzt will sie nicht mehr. „Lass uns das Interview beenden.“ Tom meldet sich: „Eine noch.“)

Hast du ein Verlangen nach einer anderen Sportart, abseits von zwei Rädern?

Ich will nach meiner Karriere in den Motorsport wechseln. Formel 1 wird es wohl nicht, Rallye reizt mich.

(Die Frauenstimme meldet sich erneut: „Warum nicht Dart?“ Beide lachen. „So, das war’s jetzt wirklich“, endet die Frau bemüht versöhnlich.)

Stimmen über Tom:

„Tom ist ein absolutes Multitalent. Er ist leicht, klein und hat einen starken Willen – in den Anstiegen ist Tom so nur sehr schwer zu schlagen. Kurzum: Der perfekte Radfahrer!“
Nino Schurter, XCO-GOAT (Team Scott)
„Tom hat bei der Short Track WM in Glasgow mit einer knallharten Linie dafür gesorgt, dass ich beim Kampf um den Titel zu Fall kam. Daraus mussten wir alle lernen. Im Fahrerfeld hat er durch seinen Rüpel-Fahrstil wenig Freunde. Trotzdem können wir von seiner Ellenbogen-Mentalität lernen und damit das Rennformat Shorttrack noch spannender machen. Fakt ist: Tom ist eine Bereicherung für unseren Sport, und ich freue mich jedes Mal, wenn er zu einem MTB-Worldcup oder zur MTB-WM anreist. Im Rennen begegne ich Tom dann jedoch ungern direkt. Man will es nicht glauben, doch abseits der Rennstrecke hatte ich tatsächlich schon nette Gespräche mit ihm.“
Luca Schwarzbauer, Deutscher XCO-Meister und Shortrack-Spezialist

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