Update: Das nachfolgende Interview haben wir vor ein paar Wochen mit Andreas Tonelli geführt. Nun hat uns die Meldung schockiert uns, dass er beim Mountainbiken am Piz Duleda in den Grödner Dolomiten tödlich verunglückt ist. Er war offenbar allein zu einer Tour aufgebrochen, von der er nicht zurückgekehrt ist. Ein Freund machte sich abends noch auf die Suche nach ihm - die Bergrettung konnte ihn ausfindig machen und seinen Leichnam bergen. Wir wünschen seiner Partnerin und Freunden viel Kraft bei der Trauer.
Sein Freund und Expeditionspartner auf dem Cerro Mercedario, Giovanni Mattiello, schreibt dazu Folgendes auf Instagram:
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Um Andreas Tonelli zu würdigen wollen wir hier das Interview mit dennoch veröffentlichen.
Die Rider, Andreas Tonelli und Giovanni Mattiello, kommen beide aus Italien und kennen hohe Berge sehr gut. Ihr Abenteuer auf dem Cerro Mercedario (6770 m !) in den argentinischen Anden soll sie aber an ihre Grenzen bringen. Das zeigt der gut halbstündige Film, den die beiden Profi-Mountainbiker und Guides zusammen mit Luca Putzer gedreht haben. Das Video wird derzeit in verschiedenen Norrona-Filialen gezeigt - Andreas ist Norrona-Botschafter - und läuft demnächst auf Outdoorfilm-Festivals. Wir haben mit Andreas über die Abfahrt aus fast 7000 Metern Höhe gesprochen.
BIKE: Andreas, bei der Präsentation deines Filmes bei Norrona in München hast du erzählt, dass der Film mit sehr wenig Budget ausgekommen ist. War die Reise selbst eigentlich das Ziel - wie man so sagt?
Andreas Tonelli: Sagen wir so, der Film war eine Nebensache für uns. Also für Luca, Giovanni, für Julia und für mich ging es primär um ein intensives Abenteuer draußen. Sagen wir so: Wir haben das Abenteuer nicht an den Film, sondern den Film an das Abenteuer angepasst. Wir wollten eben an unsere eigenen Grenzen stoßen. Wir wollten etwas machen, was uns verbindet und eine intensive Zeit an einem abgelegenen Ort verbringen.
Ich glaube, dass man heutzutage große, intensive Abenteuer, die dich auch zu dir selbst führen, nur erleben kann, wenn man leidet und wenn man auf Sachen verzichten muss. Deswegen haben wir uns ein Ziel ausgesucht, das entlegen ist, das schwer zu erreichen ist, wo man von sehr weit unten starten muss. Wo man praktisch alles selbst hochtragen und Wasser schmelzen muss. Ja, und wo man auch höhenkrank werden kann.
Wen hattest du denn alles dabei? Man sieht im Film eigentlich nur Giovanni und dich.
Genau, Giovanni Mattiello ist ein guter Freund von mir. Er ist erst 28 Jahre alt, ich bin 47, er könnte mein Sohn sein. Wir teilen aber die gleiche Vision: Für uns ist das Biken primär Abenteuer. Das “Mountainbike” besteht ja aus 2 Begriffen, Berg und Rad. Bei uns liegt der Fokus 60 % auf Berg, Wildnis.
Dann war Luca Putzer mit dabei. Luca ist der Filmer, er ist erst 20 Jahre alt, also extrem jung. Hat in diesem Bereich aber schon ziemlich großen Erfolg. Er ist ein bekannter Drohnenpilot. Er reist durch die ganze Welt, war zum Beispiel schon zweimal im Irak, mehrmals in Pakistan und hat wunderschöne Aufnahmen gemacht. Luca war für die Expedition nicht nur beruflich extrem wichtig, sondern auch menschlich.
Und da war Julia: Sie ist meine Freundin und kommt im Film sehr wenig vor, weil sie eher schüchtern ist. Sie wollte eigentlich nicht vor die Kamera. Aber sie hat für den Erfolg der Expedition eine sehr wichtige Rolle gespielt. Sie hat uns unterstützt, sie hat sich um die ganze Logistik gekümmert, um die Sicherheit am Berg. Und ja, ich sag es nicht, weil sie meine Freundin ist, aber sie ist ein wunderbarer Mensch und es war schön, dass sie mit dabei war.
Und das war euer komplettes Team, also es gab keine andere Logistik oder irgendwas drumherum?
Das einzige an Logistik war ein Bauer, ein sogenannter Arriero. Das sind die Maultiertreiber, die dir am Berg mit ihren Mulis zur Seite stehen, indem sie einen Teil des Gepäcks hoch transportieren. In unserem Fall bis zum Basecamp, also von 29 bis auf 4200 Meter.
Wir sind natürlich nicht in einem Tag hochgewandert, weil wir uns akklimatisieren mussten. Das heißt, wir sind am dritten Tag angekommen und haben zwei Nächte dazwischen irgendwo verbracht.
Und ab da ging es dann für euch mit dem gesamten Gepäck nur auf euren Schultern los?
Wir konnten nicht Bikes und das ganze Gepäck auf einmal fortschaffen, also zu den nächsten Camps.
Wir sind immer von einem Camp mit den Bikes hoch zum nächsten Camp und haben dort die Bikes sicher deponiert. Das war zum Teil sehr, sehr windig und wir mussten sie mit Steinen beschweren.
Dann zurück zum unteren Camp und am nächsten Tag stiegen wir mit dem Rucksack, mit dem ganzen Gewicht, wieder hinauf zu den Bikes und haben dort die Nacht verbracht. Und so weiter bis oben. Das war einerseits bedingt durch das Gewicht, aber auch die Strategie, um den Körper langsam an die Höhe zu gewöhnen.
War die Höhe denn die größte Herausforderung oder gab es noch andere technische oder organisatorische Hürden?
Es waren mehrere Faktoren, allen voran sicher die Höhe. Auf 6000 Meter ist die Sauerstoffdichte in der Luft halb so groß wie auf Meereshöhe. Das macht es wirklich sehr, sehr anstrengend. Und man muss ständig aufpassen, sich nicht zu überanstrengen, denn meistens folgt dann die Höhenkrankheit. In dem Fall muss man zu 90 % die Expedition abbrechen.
Zweitens das Wetter. Wir sind in einer extrem abgelegenen Gegend, bekannt für die starken Winde und starke Gewitter - und auch die sehr niedrigen Temperaturen. Die Sicherheit spielt eine extrem wichtige Rolle. Da gibt es keinen Hubschrauber, keine Bergrettung, - also nichts - und man muss wirklich aufpassen.
Wie war das mit deinem Bike. Ich stelle mir in der Gegend dann auch Defekte am Bike schwierig vor. Du hast ein Last Cinto. Wie hast du das ausgestattet und vorbereitet auf die Expedition?
Ich wusste, dass es weniger um Geschwindigkeit geht auf dieser Höhe. Insofern habe ich eben ein All-Mountain-Bike bevorzugt, und wir haben das so zusammengebaut, dass es möglichst leicht ist, ohne auf etwas verzichten zu müssen. Das Rad wiegt 13 Kilo.
Ich fahre zum Beispiel die neue Trickstuff Piccola. Für mich war das extrem wichtig, die Titan-Bremshebel zu haben, denen ich vertrauen kann. Carbon-Hebel wären nicht in Frage gekommen, weil das Risiko, dass man stürzt und ein Bremshebel bricht, ist einfach sehr, sehr groß. Giovanni ist in dieser letzten Abfahrt bei diesem Sturz der Bremshebel gebrochen.
Ich hatte auch zum Beispiel mit der Bremse in der Höhe keinerlei Probleme. Ich war zuletzt schon in der Höhe, also mit Sram-Bremsen und mit Shimano und ich hatte immer Probleme, durch die Höhe muss man Pumpen, um den Druckpunkt wieder aufzubauen.
Wie sieht das dann beim Fahrwerk aus? Das ist ja auch abhängig vom Luftdruck.
Da muss man ständig voll Luft rauslassen in der Höhe, weil die Gabel und der Dämpfer in der Höhe ganz anders funktioniert. Und das Gleiche passiert mit den Reifen. Ich bin wahrscheinlich unten mit 1,5 bar los und am Gipfel war es so Richtung 3 bar, schätze ich.
Wie ist es überhaupt, von fast 7000 Meter runterzufahren? Du sagst ja, die Höhe alleine macht einem schon zu schaffen.
Im Film kommt das vielleicht nicht so richtig rüber, aber das Anstrengendste von der ganzen Expedition, wo unser Körper wirklich an die eigenen Grenzen gestoßen ist und teilweise drüber hinaus, war die Abfahrt. Beim Aufstieg kann man immer stehen bleiben und auf den Puls achten. Aber beim Runterfahren kann man ja nicht einfach mitten in einer steilen Abfahrt sagen: So, jetzt steige ich ab, weil mein Puls auf 190 ist.
Nein, wir sind da runtergefahren, und ich kann mich erinnern, als ich dann beim höchsten Camp angekommen bin, wo meine Freundin und Luca auf uns gewartet haben, da bin ich wirklich einfach umgefallen. Ich war total fertig und mein Puls auf 190. Der Körper arbeitet da wirklich im Grenzbereich.
Im Film sieht man jetzt eigentlich nur ein oder zwei Stürze im Schnee, aber ihr habt euch da gleich wieder aufgerappelt. Gab es gar keine größeren Crashs oder technische Ausfälle?
Die größeren Crashs waren zum Glück oben auf dem Schnee, und der Schnee war zum Glück weich.
Dann war da noch der Crash von Giovanni am Ende des Filmes in dieser Rinne, aber das war wirklich die allerletzte Abfahrt unserer ganzen Reise. Das war schon total irre: Wir sind da einfach auf diesen Berg hoch, und dort gibt es diese bekannte Abfahrt, die El Morajon heißt, übersetzt die Wand, weil sie sehr, sehr steil ist. In der letzten Aufnahme von mir fahre ich da auch runter. Giovanni war nicht mehr dabei, weil seine Vorderradbremse gebrochen war, und er zu Fuß runtergehen musste.
Ich persönlich finde, das macht gerade euren Film aus, weil es nicht so auf spektakuläre Stürze und Drama aus ist, sondern viel mehr die Expedition und das Zusammensein im Vordergrund steht. Ganz im Gegensatz zu vielen anderen Mountainbike-Filmen, die oft auf dieses “Werden sie es wohl überleben?”-Moment setzen.
Ja, der Film sollte eine Schilderung sein von dem, was wir erlebt haben, nicht nur landschaftlich, sondern auch in uns. Und wir haben versucht, das auf eine authentische Art und Weise darzustellen, ohne dabei anzugeben, ohne sich zur Schau zu stellen.
Das ist eine Sache, die ich unterstreichen möchte: Wir sind da gar nicht hochgegangen, um einen Rekord aufzustellen, sondern - wie ich am Anfang des Films sage - um ein Abenteuer zu erleben. Ich glaube, in einer heutigen Welt sind solche Abenteuer - also zumindest für mich - von extremer Wichtigkeit. Denn sie geben mir die Möglichkeit, in mich hineinzublicken.
Wir haben unsere Chancen auf weniger als 50 % geschätzt, dass wir da überhaupt hochkommen. Wir haben gesagt, egal wie diese Expedition ausgeht, wir werden etwas Einmaliges erleben. Und ich, also wir alle hätten auch kein Problem damit gehabt, wenn wir nicht bis zum Gipfel gekommen wären.