Christian Penning
· 19.07.2024
Es ist beinahe wie in den Weiten Sibiriens oder Kanadas. Schnurgerade zieht eine Straße von Rehau bei Hof in Oberfranken Richtung tschechische Grenze. Das Asphaltband durchschneidet dichte Wälder. Nur sporadisch kommt ein Fahrzeug entgegen. Ein paar Hundert Meter vor der Landesgrenze liegt ein Hof auf einer Anhöhe. Das durchdringende Knattern einer Motorsense zerreißt die idyllische Stille des Frühsommertages. Nach Trainingslagern und den ersten beiden Worldcup-Rennen der Saison ist Johannes Fischbach endlich mal wieder für ein paar Tage daheim. „Fischi“, wie ihn die Bike-Szene nennt, legt gerade den BMX- und Motocross-Parcours zwischen seinem Haus und dem Wald frei. Der ist mit Gras und Brennnesseln zugewuchert. Spontan erinnert das Anwesen an die Farm von Mountainbike-Ikone John Tomac. „Willkommen am Ende der Welt!“, grüßt Fischbach und schaltet den Motor der Sense aus. „Boah, manchmal laufe ich rum wie ein Bauer“, meint er halb verlegen, halb entschuldigend, mit Blick auf seine alte Jogginghose. „Aber so bin ich halt!“ Wer ihn ein wenig kennt, weiß das zu schätzen. „Fischi“ – ein netter Typ, geradeheraus, hilfsbereit, bodenständig.
EMTB: Ziemlich idyllisch hier …
Fischbach: Ich brauch nicht immer Gesellschaft. Wenn ich nach den Rennen heimkomme, bin ich gerne mal allein und habe Zeit für mich. Das hier ist meine Basis und mein Ruhepol für den Sommer. Im Winter bin ich die meiste Zeit auf Ibiza. Dort ist es einfach viel besser zum Trainieren. Ich habe meine Frau Nadja dort kennengelernt. Wir haben eine Wohnung auf der Insel.
Klingt nach Lebenskünstler.
Nein, so sehe ich mich nicht. Das klingt mir zu sehr nach Hippie. Das bin ich nicht. Ich steh mit beiden Beinen fest im Leben, weiß, was ich zu tun habe. Für alles, was ich erreicht habe, habe ich hart gearbeitet. Ich mach mir einen Plan, und darauf arbeite ich fokussiert und mit Spaß hin.
Fischi legt die Sense weg. Dabei sticht ein Tattoo ins Auge. Es bedeckt seinen kompletten rechten Unterarm.
Wer ist das Paar auf dem Tattoo?
Das ist ein Bild meiner Eltern bei der Hochzeit.
Du hast ein enges Verhältnis zu ihnen?
Ich würde es als normal bezeichnen. Ich bin nicht super eng mit ihnen, sie sind einfach gute Menschen. Ich mag dieses Bild einfach. Meine Eltern haben mich, soweit möglich, immer unterstützt, wenn es um Bike-Rennen ging. Doch große Sprünge waren nicht drin. Mein Vater arbeitete als Industriemechaniker, meine Mutter als Reinigungskraft. Jetzt sind sie im Ruhestand. Jedes Wochenende 1000 Kilometer abzuspulen, um bei internationalen Rennen an den Start zu gehen, war am Anfang meiner Karriere nicht drin. Deshalb hab ich erst mal eine Ausbildung gemacht, bevor ich Profi wurde.
Boah, manchmal laufe ich rum wie ein Bauer. - Johannes Fischbach über Bodenständigkeit und die Arbeit auf seinem Hof
Im Innenhof zwischen Scheune, Werkstatt und Wohnhaus kommt Fischis dreijähriger Sohn Mark mit dem Kids-Bike ums Eck gedüst. Fischi junior scheint vom Biken genauso angefixt wie sein Dad.
Bist du ein Familienmensch?
Mei … während der Saison bleibt einfach wenig Zeit für die Familie, auch wenn es nur sieben bis acht Worldcup-Rennen sind. Das meiste passiert drum herum: Trainingslager, Entwicklungsarbeit, Repräsentationstermine … Nadja und Mark fliegen nächsten Monat nach Ibiza, da habe ich vier Wochen lang keine Chance, die beiden zu sehen. Manchmal macht mich das ein wenig traurig. Aber das bringt der Profisport nun mal mit sich. Dabei willst du doch deinen Sohn bei dir haben, wenn er aufwächst. Zum Glück gleicht sich das im Winter wieder aus. Von Oktober bis Dezember haben wir viel Zeit füreinander.
„Magst ’nen Kaffee?“, fragt Fischi. – „Gerne!“ Fischi wirft die Siebträgermaschine in der offenen, lichtdurchfluteten Wohnküche an und erzählt:
Auch nach 15 Jahren als Bike-Profi fliegt mir all das hier nicht zu. Das Haus zu renovieren, war ein Riesenprojekt. Da steckt eine Menge Arbeit drin. Mit meinem Vater und ein paar Kumpels haben wir das meiste selbst gemacht – von den Mauern bis zum Dach. Wirklich fertig bist du nie. Ruhig auf der Couch zu hocken, so was kenn ich nicht. Entweder ich trainiere, mach was am Haus oder ich kümmere mich um Mark. Abends vielleicht mal ein Bier, dann falle ich todmüde ins Bett. Wenn Nadja und Mark nächste Woche weg sind, gibt es nur noch eines: Training, Rennen, fokussiert bleiben.
Es gibt keine Bike-Disziplin, die Johannes Fischbach noch nicht mit Erfolg ausprobiert hätte. Als Schüler war er Deutscher Vizemeister im Cross-Country. Weil internationale Rennen finanziell nicht drin waren, beendete er mit 15 sein Gastspiel in der Ausdauerdisziplin. Doch schon bald sorgte er im MTB-Four-Cross mit Podestplätzen international für Furore. Als die UCI das Rennformat einstellte, wechselte Fischbach ins Downhill-Lager und wurde mehrfacher Deutscher Meister. Mit einem 6. Platz beim E-Enduro-Worldcup in Leogang ist er auch mit dem E-MTB in der Weltspitze angekommen.
Wie bist du dazu gekommen, E-Enduro-Rennen zu fahren?
2021 fuhr ich für die Marke R Raymon Downhill-Rennen. Die Marke gehörte damals noch zum Pierer-Konzern, genauso wie der spanische Motorradhersteller Gasgas. Gasgas beschloss, ins E-Bike-Business einzusteigen und ein Worldcup-Team aufzubauen. Als ich das Angebot bekam, musste ich nicht lange überlegen. Schließlich hatte ich schon zuvor regelmäßig E-Mountainbikes fürs Training genutzt.
Wie war dein Einstieg?
Ehrlich gesagt habe ich als Downhiller die Enduro-Fahrer lange Zeit belächelt. Downhill ist die Formel 1 im Mountainbike-Sport. Doch mein erstes E-Enduro-Rennen hat mir die Augen geöffnet, wie hart E-Enduro-Rennen sind. Nach sechs Stunden und 3000 Höhenmetern hatte ich Krämpfe ohne Ende. Ich war körperlich und mental völlig erschöpft.
Was musst du als Fahrer für Top-Platzierungen mitbringen?
Alles. Du brauchst die Fahrtechnik-Skills eines Downhillers, viel Spritzigkeit, aber auf Zwischenanstiegen auch die Ausdauer eines XC-Fahrers. Du benötigst eine enorme Grundlagenausdauer, um nicht während der langen Renndauer in ein Loch abzusacken.
Was ist für dich dabei die härteste Nuss?
Über die komplette Dauer von sechs Stunden konstant auf hohem Niveau zu fahren. Zwei gute Stages nützen dir wenig, wenn du auf den nächsten die Konzentration verlierst und stürzt. Auf den Transfers kannst du nicht einfach im Turbo-Modus hochbrettern, weil sonst der Akku nicht reicht. Du musst im Eco-Modus fahren und voll reintreten. Die Zwischenetappen sind keine Erholung. Da hämmert der Puls dauernd über 160. Wer sich beim Akku-Management vertut, steht mit leerer Batterie da und schafft die Startzeiten nicht. Eine weitere Challenge sind die Power-Stages. Die führen zu 90 Prozent bergauf. Sie sind oft krass steil, dazu enge Kurven, in denen du bergauf das Hinterrad versetzen musst. Auch die Abfahrten sind richtig lang. In Finale Ligure dauerte eine der Downhill-Stages 14 Minuten.
Auf einigen Stages hast du im Worldcup schon Top-3-Resultate erreicht. Woran musst du arbeiten, um solche Leistungen ins Ziel zu bringen?
Ich trainiere jetzt immer komplette Abfahrten, keine Sektionen mehr. Das ist wichtig, damit ich auch in erschöpftem Zustand keine Fehler mache. Der Speed passt. Ich weiß, ich kann mit den Top 3 der Welt mithalten. Mit hohen Umfängen feile ich jetzt noch an der Konstanz.
Manchmal krieg ich die letzte Stage im Kopf kaum noch zusammen. Das ist die komplette körperliche und geistige Erschöpfung. - Johannes Fischbach über die Länge von Worldcup-Enduro-Rennen
Hast du deinen eigenen Trainer?
Ich bin seit zehn Jahren mein eigener Trainer. Im Laufe meiner Rennkarriere hatte ich viele Trainer in allen Disziplinen. Dabei habe ich mein Training immer selbst hinterfragt und analysiert. Ich habe mittlerweile verstanden, wie sich unterschiedliche Trainingsmaßnahmen auswirken. E-Enduro ist noch eine sehr junge Disziplin. Da gibt es noch keine spezialisierten Trainer. Deshalb probiere ich vieles selbst aus.
Kannst du einen kleinen Einblick in deine Trainingspläne geben?
Als Vorbereitung während der Off-Season mache ich viel Grundlagenausdauer und Krafttraining. Zusätzlich baue ich zweimal pro Woche Techniktraining ein. Richtung Saisonstart geht’s dann mehr in Richtung Explosivität, Schnelligkeit, Zeitläufe und Sprints.
Trainierst du mit deinen Teamkollegen?
Nein, ich sehe meine Kollegen Alex Marin (Spanien) und Alexandre Fayolle (Frankreich) nur bei den Rennen oder in Trainingslagern. Das Grundlagentraining mache ich gerne mit Freunden, aber wenn es spezifisch und hart wird, bin ich meist allein. Da hat kein normaler Biker Bock drauf. Das ist höllisch schmerzhaft. Da bist du hinterher komplett durch.
In Fischis Werkstatt türmen sich Kartons voller Pannenschutz-Inlays für Bike-Reifen. Fischbach hat den Pannenschutz Tyre Trooper selbst entwickelt und arbeitet auch in der Entwicklung der E-Bikes seines Sponsors Gasgas und in der Laufrad- und Komponenten-Entwicklung bei Syntace aktiv mit.
Wie bist du auf die Idee für Tire Trooper gekommen?
Ich war schon immer ein Tüftler. Im Downhill-Sport gehört das dazu. Da wird alles gemacht, um eine Zehntelsekunde aus dem Rad herauszukitzeln. Mir macht das extrem Spaß. Mit dem Tire Trooper habe ich aus der Not eine Tugend gemacht. Ich war genervt, weil mir wegen Platten immer wieder Top-Platzierungen im Worldcup und bei der WM durch die Finger glitten. Also fing ich an zu grübeln. Mittlerweile habe ich das Anti-Platten-Inlay für die Reifen weiterentwickelt, das Material verbessert und starte demnächst mit einem neuen Launch durch. Ich fahre seit einem Jahr damit und hatte seitdem keinen Platten, keine Durchschläge und keine Felgenschäden.
Wie bringst du dein Know-how als Athlet bei Gasgas ein? Lange Zeit waren die Sportler eher Marketing-Gehilfen für die Hersteller. Entwickelt wurden die Bikes am Computer.
Das hat sich zum Glück geändert. Die Ingenieure und Computer spielen beim Design natürlich weiterhin eine entscheidende Rolle. Aber die Hersteller hören uns Fahrern mittlerweile aufmerksamer zu. Das ist eine vertrauensvolle Zusammenarbeit auf Augenhöhe. Allein am Computer ein wirklich gutes Rad zu konzipieren, funktioniert meiner Meinung nach nicht. Du brauchst vom Fahrer Feedback zu den kinematischen Variablen. Manchmal machen die Praxiserfahrungen im Vergleich zu den Computersimulationen scheinbar keinen Sinn. Dennoch funktionieren entsprechende Änderungen häufig.
Worauf liegt der Fokus bei der aktuellen Antriebsentwicklung von E-MTBs?
Die meisten Entwicklungsmaßnahmen zielen darauf ab, das Zusammenspiel von Mensch und Maschine weiter zu optimieren. Fahrer und Antrieb funktionieren immer mehr als harmonische Einheit – so wie beim Sram Eagle Powertrain mit Autoshift-Schaltautomatik. Daneben sind die Möglichkeiten der Bike-Geometrie und -Kinematik immer noch nicht ausgereizt. Jeder Zentimeter, den der Akku tiefer und näher am Bike-Schwerpunkt sitzt, macht einen riesigen Unterschied.
Wie oft an diesem Tag platzt Fischis Sohn Mark ins Interview. Mit seinem Elektro-Laufrad umrundet er den Gartentisch. Wer möchte dem Kleinen böse sein? Also los, zu einer Familienrunde im Wald vor der Haustür. Mark prescht auf dem zugewucherten Trail neben Fischi durchs Gras, reißt an kleinen Bodenwellen den Lenker hoch. Nadja verfolgt das als Mutter mit Stolz. Gleichzeitig hofft sie, der Sohnemann möge sich irgendwann doch für einen weniger verletzungsträchtigen Sport entscheiden: „Ich glaub, sonst krieg ich einen Herzinfarkt … reicht doch schon ein verrücktes Kid in der Familie“, sagt sie augenzwinkernd mit Blick auf Fischi.
Fischi, als Gravity-Racer haben dich immer wieder Verletzungen aus der geradlinigen Karrierespur geworfen. Zuletzt beim City-Downhill in Valparaíso in Chile. Statt auf dem Siegerpodest bist du im Krankenhaus gelandet.
Ich habe mich überschlagen, bin frontal mit dem Kopf auf den Boden geknallt. Beim Einschlag spürte ich ein Bitzeln der Nerven in den Beinen. Nach dem Check im Krankenhaus gab es zum Glück Entwarnung. Fakt ist nun mal: Wenn du ernsthaft vorne mitmischen willst, ist es keine Frage, ob was passiert, sondern wann und wie schlimm. Wer glaubt, eine Enduro- oder Downhill-Karriere ohne Verletzungen durchstehen zu können, der irrt sich.
Du legst es bisweilen darauf an. Zum Beispiel 2019 bei deinem Weltrekordversuch im Bike-Weitsprung auf der Skisprungschanze in Klingenthal.
Mich reizt es, Sachen zu machen, die sich andere nicht trauen. Meine Angst und Zweifel zu überwinden – das ist ein richtig gutes Gefühl. Ich tu das nicht fürs Ego. Es ist einfach der Kick.
Ist es das wert?
Ich bin durch den Sport viel herumgekommen. Ich habe eine Welt kennengelernt, die mir sonst vielleicht verschlossen geblieben wäre.
Was hat „Bauer Fischi“ in der großen weiten Welt erfahren?
Der Bauer hat viel dazugelernt, seinen Horizont erweitert. Ich achte darauf, in fremden Ländern auch ins echte Leben einzutauchen. Ich will nicht nur in schönen Hotels absteigen. So erfahre ich immer wieder, wie hilfsbereit die Menschen auf der Welt sind. Das versuche ich selbst weiterzugeben. Vielen geht es schlechter als uns in Deutschland. Wir sollten weniger jammern.
Wo auf diesem Planeten siehst du dich in 10, 20 oder 30 Jahren?
Sicher nicht mehr auf dem Race-Bike, aber hoffentlich noch eine Weile in der Bike-Branche. Und irgendwann wird mein Lebensmittelpunkt wohl nicht mehr hier in Rehau sein. Ich wollte immer einen Bauernhof in Alleinlage, aber ich bin nicht lokal gebunden. Ich weiß, dass es viele Orte mit mehr Lebensqualität gibt. Langfristig führt mich mein Lebenskompass nach Südwesten.
Ich habe eine Welt kennengelernt, die mir sonst vielleicht verschlossen geblieben wäre. - Johannes Fischbach übers Reisen im Rennsport
Ehrliche Haut; bin keiner, der sich verstellt; hilfsbereit; netter Typ; stelle mich nicht gerne zur Schau; bin gerne auch mal allein; Spaß ist mir wichtig
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