Dimitri Lehner
· 09.05.2025
BIKE: Stefan, du bist Berufs-Abenteurer. Was zeichnet für dich ein echtes Abenteuer aus?
Stefan Glowacz: Kürzlich habe ich die Doku über Wiebke Lühmann gesehen. Sie ist vom Nordkap bis nach Kapstadt in Südafrika geradelt. Das hat mich beeindruckt. Und genau darin liegt das Abenteuer: Dass du die Unternehmung zwar bestens vorbereitest, dich aber dennoch jeden Tag auf neue Situationen einstellen musst, zum Teil bedrohliche Situationen. Denn ein Abenteuer lässt sich nicht durchplanen. Es kann immer etwas Unvorhersehbares passieren, das macht die Natur des Abenteuers aus.
Muss ein Abenteuer in den letzten Winkeln der Welt stattfinden?
Muss es nicht. Doch in der Zivilisation hast du natürlich immer einen Back-up. In den Alpen holt dich die Bergwacht heraus. Oder du hockst dich in den Zug, wenn’s dir zu zäh wird und fährst eine Etappe deiner Alpenüberquerung. Das klappt in den abgelegenen Gegenden der Welt nicht. Da musst du anders kalkulieren, darfst kein Risiko eingehen, denn das nächste Krankenhaus ist weit weg. Fremdhilfe gibt es nicht. Dieser Aspekt macht aus einer Unternehmung ein richtiges Abenteuer. Alles andere ist ein bisschen Wilder-Mann-Spielen mit Netz und doppeltem Boden, aber kein wirkliches Abenteuer.
Wie der Weltumsegler Boris Herrmann bei der Vendée Globe im Südatlantik. Da war er unerreichbar – er hätte er auch auf dem Mond sein können.
Ja, das ist noch mal eine andere Dimension von Abenteuer in meinen Augen. Doch Abenteuer soll jeder für sich selbst definieren. Für manche ist es schon ein Abenteuer, um den Starnberger See herum zu radeln. Und das ist auch gut so. Kleine Abenteuer können auch große Erlebnisse sein. Zum Beispiel draußen neben dem Bike im Schlafsack übernachten – für den einen ist das ein Abenteuer, für den anderen “Daily Business”.
Abenteuer light!
Ja, warum nicht? Für den einen ist das genau richtig, tagsüber in den Bergen herum zu radeln und abends wieder im 5-Sterne-Hotel einzuchecken, wenn ich will. Das ist doch absolut in Ordnung. Als Profi-Abenteurer geht das nicht, da muss man ehrlich darstellen, wie man das Abenteuer bestritten hat. Besonders wenn man seine Aktion als das letzte große Abenteuer verkauft – das nervt mich tierisch.
Was macht deiner Meinung nach jemanden zu einem wahren Abenteurer?
Für ein Abenteuer musst du die eigene Komfortzone verlassen. Raus aus der Komfortzone und sich auf etwas Neues, Unbekanntes einlassen – darum geht es. Wer das macht, ist ein Abenteurer.
In der heutigen Zeit gibt es viele Selbstdarsteller, die sich als Abenteurer präsentieren, aber mehr damit beschäftigt sind, ihre GoPros in Position zu bringen und Drohnen steigen zu lassen, als zu erleben. Wie stehst du dazu?
Das ist heute Teil des Spiels und schwierig zu unterscheiden, was für Instagram und TikTok inszeniert ist und was ehrlich durchgeführt ist. In heiklen Situationen stellt keiner mehr eine GoPro auf, denn da hat er genug mit sich und der Situation zu tun. Doch das ist wirklich schwierig auseinanderzuhalten: Was ist ein gut dokumentiertes Abenteuer und was ist Getue, um sich als Abenteurer darzustellen – und hinten steht der Mercedes Allrad Sprinter. Ich will meine Aktionen natürlich auch dokumentieren, doch mit dem geringstmöglichen Aufwand. Dann gibt es in kritischen Situationen eben eine wackelige Aufnahme mit dem Handy, weil es nicht anders gegangen ist.
Gibt es so etwas wie einen "Abenteuer-Codex"? Welche Regeln oder Prinzipien hältst du bei deinen Expeditionen stets ein, wie z.B. keine Träger, keine Helikopter-Nutzung, keine Inszenierung?
Mein Abenteuer-Codex besagt, dass man das dokumentiert, was tatsächlich stattfindet. Nichts dazu dichten, nichts weglassen. Und wenn es nicht klappt, dann sagen, warum. Das kann sogar spannender sein als wenn alles rund läuft. Ich will wissen, welche Fehler gemacht wurden, was schiefgelaufen ist. Zu einem Abenteuer gehört, dass die Möglichkeit des Scheiterns mindestens genauso hoch ist wie die des Erfolgs.
Drama bringt Spannung. Ich erinnere mich an den Konflikt zwischen Arved Fuchs und Reinhold Messner beim Weg zum Südpol.
Das ist, was die Leute bei dem Unternehmen fasziniert hat. Denn das macht die Protagonisten auch erst menschlich. In Grenzsituationen passieren Konflikte viel eher und brutaler als im Alltag, wo man das kaschieren kann und sich aus dem Weg gehen. Wer weiß, ob es zwischen Arved und Reinhold überhaupt so krassen Knatsch gegeben hat. Vielleicht hat Reinhold Messner das heftiger dargestellt, als es in Wirklichkeit war – weil er Profi ist und genau weiß, was die Leute hören wollen.
Ah ha, also auch etwas zugespitzt möglicherweise. Du hast in einer analogen Zeit angefangen, wo man noch richtig weit weg war, wenn man weg war. Wie hat Social Media und Hightech die Abenteuer verändert?
Fluch und Segen. Segen, weil du z. B. Mini-Drohnen hast, die tolle Perspektiven liefern. Die Technik ist so easy, dass du keinen Kamera-Mann mehr brauchst, um deine Abenteuer zu dokumentieren. Das ist eine ganz große Hilfe. Und Fluch, weil durch Instagram, TikTok usw. die Versuchung der Selbstinszenierung steigt. Aber auch dass Grenzen verschwimmen. Die jungen Leute sehen ständig Hardcore-Aktionen und glauben, noch eins draufsetzen zu müssen. Doch wie viele Mountainbiker, Gleitschirmflieger usw. abstürzen und zerschellen – das siehst du auf Instagram nicht. Die Superlativen animieren die jungen Leute dazu, ihr Leben zu riskieren für einen spektakulären Clip.
Ist der Druck und der Leistungskatalog der Sponsoren jetzt dicker geworden als früher?
Ich nehme an, dass du auf Red Bull abzielst. Aber Red Bull hat mir nie vorgeschrieben, was ich zu tun habe.
Nein, nicht Red Bull speziell, allgemein, dass Sponsoren jetzt Blogs und Vlogs und Tracking fordern und wollen, dass du ständig Clips und Edits postest während der Unternehmung.
Das kann schon sein. Das kommt natürlich auf die Firmen an und die Marketing-Leute. Wenn die wenig Ahnung haben, wie das Leben in der Wildnis funktioniert, dann kommen unrealistische Forderungen zustande. Dann sollst du während der Grönland-Durchquerung jeden Tag einen Blog machen und ein Live-Interview. Da sage ich: Freunde, wenn ich da oben die Kamera auspacke, ist nach ein paar Minuten der Akku platt. Es gibt Regionen, da funktioniert die Technik nicht. Gerade junge Abenteurer, die zum ersten Mal von Sponsoren unterstützt werden, können sich da zu Aktionen hinreißen lassen, die sie gar nicht bewerkstelligen können.
Wenn du an all deine Abenteuer denkst. Welches sticht heraus?
Am meisten habe ich bei einer Bergbesteigung im Inlandeis von Patagonien gekämpft. Es hat drei Jahre gedauert, bis es uns gelungen ist, die Wand hinaufzuklettern. Das war das härteste, was ich bis zu diesem Zeitpunkt gemacht habe, mit Schneestürmen, Ausharren in Eishöhlen – die Wand ist riesig, 1000 Meter hoch und wir waren völlig isoliert auf dem Inlandeis. Da rettet dich niemand. Was ich damals mit Robert Jasper erlebt habe, war das körperlich und mental Anspruchsvollste, was ich je gemacht habe.
Hat sich deine Motivation und deine Kriterien für Abenteuer im Laufe der Jahre verändert?
Logisch. Am Anfang stand die sportliche Höchstleistung im Mittelpunkt. Ich wollte neue Sportarten lernen wie Snowkiting, Seekajak fahren oder Wildwasser-Paddeln, um an die Felswände zu kommen. Im Mittelpunkt stand immer die sportliche Herausforderung. Doch jetzt stehen andere Dinge im Mittelpunkt. Ich hatte da ein Schlüsselerlebnis. Wir sind zum Klettern nach Kenia gereist und haben einen Monat mit einem Eingeborenen-Stamm am Fuß der Wand gelebt. Da haben wir erlebt, was es bedeutet, in diesem Land zu überleben. Da ist jeder Tag ein Überlebenskampf. Wir hatten einen Arzt dabei, was sich herumgesprochen hat. Dann kamen Frauen zu Fuß aus 100 Kilometern Entfernung, in der Hoffnung, dass der Arzt ihren Kindern helfen kann. Während am Himmel die Flieger vorbei ziehen und du weißt: In drei Wochen sitze ich auch wieder gemütlich in dem Jet auf dem Flug nach Hause mit einem Drink in der Hand. Seitdem habe ich angefangen, meine Unternehmungen anders anzugehen.
Wie?
Ich will mehr über die Menschen und die Kulturen erfahren, statt mich nur auf die sportliche Herausforderung zu konzentrieren.
Welcher Abenteurer hat dich in letzter Zeit beeindruckt und warum?
Da fällt mir spontan der Segler Boris Herrmann ein. Das ist irre, was die Segler der Vendée Globe leisten. Das Mindset, die Skills – alleine in einem völlig unkomfortablen Boot. Vendée Globe – das ist eins der größten Abenteuer, das man machen kann. Ich bin selbst schon gesegelt – nach Grönland und in die Antarktis und weiß, was es bedeutet. Beim Bergsteigen ist es schwierig, denn fast alles ist schon gemacht worden. Jetzt noch schneller auf den Everest zu steigen oder alle 14 Achttausender in einer Saison abzuhaken mit Heli-Support – das begeistert mich überhaupt nicht. Da beeindruckt mich viel mehr, wenn Wiebke Lühmann alleine nach Kapstadt radelt durch ganz Afrika. Das erfordert Mut und Drive, all die Herausforderungen zu meistern, mal von der sportlichen Leistung abgesehen.
Was steht noch auf deiner Bucketliste, der viel beschworenen Bucketliste?
(Lacht). Ich habe ein Langzeitprojekt. Ich will in Indonesien in einem Insel-Archipel ein Klettergebiet einrichten. Das sollen die Einheimischen dann führen und daran teilhaben. Und die Besucher sollen sich verpflichten, einen Tag von ihrem Kletterurlaub zu opfern, um die Strände vom Plastikmüll zu befreien.
Steht da auf deiner Bucketliste auch etwas ganz Hedonistisches wie: Ich will Wingsuiten lernen?
(Lacht) Nein, das sind Sportarten, von denen ich genau weiß, dass man sie nicht lange überlebt. Da bin ich von der Altersweisheit gesegnet. Aber ich bin dabei, ein Projekt in Grönland zusammenzustellen mit Thomas Ulrich und Patrick von Känel. Thomas ist Abenteurer mit enormer Erfahrung in eisigen Regionen und Patrick ein Gleitschirmflieger aus dem Red Bull Team. Das wird ein Abenteuer aus verschiedenen Disziplinen. Ich glaube, das wird eine ziemlich coole Nummer.
Der Red-Bull-Athlet Stefan Glowacz (60) ist ein weltweit bekannter deutscher Kletterer und Abenteurer.
Geburtsdatum: 22. März 1965 in Tittmoning, Bayern, aufgewachsen in Oberau bei Garmisch-Partenkirchen
Du musst von dem, was du tust, besessen sein, nur so kannst du wirklich Grenzen verschieben.