Interview Doping-FreispruchXCO-Racer Flückiger: “Ich hatte Angst, es nicht beweisen zu können.”

Laurin Lehner

 · 07.11.2024

Mathias Flueckiger hat wieder Grund zur Freude. Hier während des UCI Cross Country Worldcups im September in  Pal Arinsal, Andorra.
Foto: picture alliance/KEYSTONE/MAXIME SCHMID
Im Sommer 2022 wird bei Cross-Country-Racer Mathias Flückiger (36) das verbotene anabole Mittel Zeranol im Urin nachgewiesen. Was darauf folgt, hat das Zeug für einen TV-Thriller. Im Oktober wurde Flückiger nun endgültig freigesprochen. Wir haben ihn im Interview.

BIKE: Mathias, wie froh bist du, dass du es nun schwarz auf weiß hast: Freispruch!

MATHIAS FLÜCKIGER: Das kannst du dir sicher vorstellen. Die letzten zwei Jahre waren die härtesten meiner Karriere. Jetzt will ich endlich da weitermachen, wo ich 2022 aufgehört habe. Mich auf meine Karriere konzentrieren, ohne dieses Gespenst im Kopf.

Wie hast du vom Freispruch erfahren?

Das war kein Moment oder ein unerwarteter Anruf. Es hat sich schleichend entwickelt. Ich wusste schon länger, dass Verfahrensfehler gemacht wurden und wir meine Unschuld beweisen können. Es war eher eine Frage der Zeit, bis wir es offiziell bestätigt bekommen. (Anm. d. Red.: Mit „wir“ meint Mathias das Team, das seine Unschuld bewies.)

Da verurteilen dich selbst ernannte Experten und erzählen Blödsinn. Ich sag dir, das macht was mit dir. Egal wie sicher du deiner Unschuld bist. - Mathias Flückiger


Lass uns zurückspulen: 18. August, 2022: European Championships in München. Du wirst informiert, dass in der Urinprobe vom 5. Juni 2022 Zeranol gefunden wurde.

Es war am Tag vor dem Rennen. Es war nach dem Training. Ich saß im Teambus von Swiss Cycling und quatschte mit ein paar Leuten vom Verband, die ich sonst eher selten sehe. Auf einmal kam eine Gruppe Männer ins hintere Abteil des Busses, darunter auch der Geschäftsführer von Swiss Cycling. Sein Gesichtsausdruck war seltsam ernst, ja sogar finster. Ich dachte, sie wollten eine Besprechung abhalten und ich würde stören. Also bin ich aufgesprungen und wollte Platz machen, aber sie haben mich gebeten zu bleiben. Gleichzeitig wurde die Bustür geschlossen. Ich habe mich gefragt, was jetzt los ist.

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Das klingt wie in einer Szene aus einem Thriller.

Es war die harte Realität. Der Geschäftsführer teilte mir mit, dass ich positiv auf Anabolika getestet wurde. Diesen Moment werde ich nie vergessen.

Mathias Flückiger beim UCI XCO World Cup in LenzerheideFoto: Bartek Wolinski / Red Bull Content PoolMathias Flückiger beim UCI XCO World Cup in Lenzerheide

Und dann?

Ich war wie gelähmt. Meine Welt, meine Werte, alles, was ich aufgebaut hatte, wurden in diesem Augenblick zerstört. Mit dem Bus brachten sie mich in die Schweiz zurück. Ich konnte nicht einmal mein Gepäck aus dem Zimmer holen. Das erledigten andere für mich.

Warum das denn?

Wahrscheinlich wollte man vermeiden, dass ich jemandem über den Weg laufe. Die nächsten Wochen habe ich mich komplett abgeschottet. Mental war das hart. Ich wusste, dass ich nichts falsch gemacht hatte, aber ich hatte Angst, es nie beweisen zu können.

Es gab keine positive A-Probe, wie fälschlicherweise behauptet wurde. In der A-Probe wurden lediglich 0,3 Nanogramm Zeranol pro Milliliter gemessen, ein Wert nahe der Nachweisgrenze und weit unter dem WADA-Grenzwert von 5 Nanogramm pro Milliliter. Man spricht hier von einem „Atypical Finding“.

Wie waren die Reaktionen von deinen Profi-Kollegen?

Ich glaube, es war für alle ein Schock. Ich kann von keinem negativen Erlebnis berichten, wenn es das ist, was du wissen willst. Was hinter meinem Rücken getuschelt wurde, weiß ich natürlich nicht. Aber man muss wissen, dass schon wenige Tage nach der Schlagzeile die ersten Zweifel an der Probe aufkamen.

Wie hast du die Schlagzeilen in den Medien erlebt?

Das Problem war, dass Swiss Cycling Falschinformationen an die Medien kommuniziert hat. So war es sehr frustrierend, verurteilt zu werden aufgrund einer „positiven Probe“, die es ja gar nicht gab. Es wurden Schlagzeilen formuliert und der Fall vereinfacht in ein paar Absätzen beschrieben. Doch die Sache ist komplex, zu komplex für die Textlängen der meisten Boulevard-Medien. Das zu lesen war hart. Da verurteilen dich selbst ernannte Experten und erzählen Blödsinn. Ich sag dir, das macht was mit dir. Egal wie sicher du deiner Unschuld bist.


In der Öffentlichkeit schwingt beim Thema Doping immer eine gewisse Sportlerschuld mit. Vielleicht auch wegen der prominenten Fälle von Sportlern, die ewig geleugnet haben, bis sie dann doch überführt wurden und es zugaben. Stichwort Zabel, Ulrich oder die Kokain-Affäre von Christoph Daum.

Stimmt, das mag sicher ein Grund für den Umgang mit der Thematik sein. Dann werden provokante Schlagzeilen formuliert und für bare Münze genommen. Viele lesen erst gar nicht den Artikel und trotzdem laufen die Leute herum und sagen: „Hast du das mit dem Flückiger gehört?“ Wenn ich ehrlich bin, habe ich bis zu diesem Tag im Sommer 2022 genauso gedacht. Wenn ich jetzt so eine Schlagzeile lesen würde, würde ich die Anschuldigung mindestens genauso hinterfragen wie den Sportler.

Mathias Flückiger (2. v. l.) mit seinem Team, das seine Unschuld beweisen sollte. Dazu gehörte auch der ehemalige Schweizer Antidoping-Chef Matthias Kamber (li.).Foto: picture alliance/KEYSTONE/ANTHONY ANEXMathias Flückiger (2. v. l.) mit seinem Team, das seine Unschuld beweisen sollte. Dazu gehörte auch der ehemalige Schweizer Antidoping-Chef Matthias Kamber (li.).

Wie meinst du das?

Die Schweizer Antidopingbehörde Swiss Sport Integrity (SSI) hat viele Fehler gemacht. Nicht nur einzelne Personen, sondern es wurde durchweg schlampig gearbeitet. Und so wie die von dir erwähnten Athleten es lange nicht zugeben wollten, können sie es jetzt auch nicht zugeben, dass sie Fehler gemacht haben. Das ärgert mich.

Würdest du dir eine Entschuldigung wünschen?

Wenn man eingesteht, dass man Fehler gemacht hat, ist eine Entschuldigung die Schlussfolgerung, oder? Aber nein, es geht nicht um eine Entschuldigung, sondern um Einsicht und den Willen, etwas zu ändern, damit so etwas in Zukunft nicht mehr passiert.

Dadurch, dass Swiss Sport Integrity (SSI) Flückigers Urinprobe vom 5. Juni 2022 als positiv interpretierte, folgte eine provisorische Sperre und Flückiger wurde als möglicher Doper bezeichnet. Flückiger kritisiert SSI dafür, dass im gesamten Verfahren auf mehreren Ebenen Fehler gemacht wurden. „SSI setzte sich über klare WADA-Richtlinien im Falle eines Atypical Findings hinweg. Das ist absolut unhaltbar“, sagt Flückiger.

Wo wurde in deinen Augen schlampig gearbeitet?

Das fing schon bei den Örtlichkeiten und Abläufen der Probenentnahme an. Diese entsprachen in vielerlei Hinsicht nicht den Anforderungen und Richtlinien. Danach ging es weiter mit dem Transport und der Aufbewahrung der Probe. Die A-Probe lag stundenlang in einem privaten Kühlschrank, bevor sie im Labor untersucht wurde. Außerdem war die Art und Weise der Kommunikation schlichtweg falsch. SSI hätte nie von einer „positiven Probe“ sprechen dürfen. Und damit wäre auch ein Gang an die Öffentlichkeit nicht passiert.

Wie erklärst du dir diese Verkettung von Fehlern?

Ich glaube, die Verantwortlichen wollten die Fehler ihrer Arbeit nicht sehen, weil sie zu sehr darauf fixiert waren, jemanden gefunden zu haben. Wie ein Polizist, der noch nie jemanden aus dem Verkehr gezogen hat und das jetzt ändern will. Alleine, um seiner Funktion nachzukommen und sein Dasein zu rechtfertigen. Verstehst du?

Ich verstehe, trotzdem eine harte Anklage.

Ich habe keine andere Erklärung dafür. Ich denke, es gibt einige strukturelle Fehler in der Dopingbekämpfung; alles ist nicht verkehrt. Aber wenn bewährte Vorgaben aus Nachlässigkeit nicht angewandt werden, nützen die besten Strukturen nichts. Die SSI schloss die Kontamination aus. Also blieb nur die willentliche Einnahme.

Wie kann man so etwas einfach ausschließen?

Das unabhängige Labor in Lausanne hatte sogar geschrieben, dass es sich wahrscheinlich um eine Kontamination handelt. SSI hat diesen Hinweis jedoch ignoriert.

Wie ist das Zeranol in deinen Urin gelangt?

Es gibt drei Möglichkeiten, welche realistisch sind: eine Verunreinigung über Fleisch aus Brasilien, Gifte von Schimmelpilzen bei der Einnahme von Getreide oder die massiven Fehler bei der Probenentnahme, dem Transport und der anschließenden Lagerung.

Mathias Flückiger auf dem Podium beim Cross Country Men Elite, XCO, bei der UCI Mountain Bike World SeriesFoto: picture alliance/KEYSTONE/MAXIME SCHMIDMathias Flückiger auf dem Podium beim Cross Country Men Elite, XCO, bei der UCI Mountain Bike World Series


Profisportler meiden genau aus diesem Grund Fleisch aus Südamerika, denn hier wird Zeranol oft in der Tierhaltung verwendet. Es sorgt für Wachstum und Gewichtszunahme bei Nutztieren.

Stimmt, ich esse wenig Fleisch und wenn, dann nur ausgewählt. Zum Beispiel Trockenfleisch aus einer Metzgerei aus Livigno. Du kannst dir vorstellen, dass wir jedem Mini-Verdacht nachgingen. Also war auch dort jemand aus meinem Team. Nachdem er dem Inhaber klargemacht hatte, worum es geht, rückte der mit der Sprache raus und gab zu, dass das Trockenfleisch aus Brasilien stammte, obwohl es anders gelabelt wurde.

Wissentlich zu dopen ist das Allerletzte. Ich kann mir als Sportler nicht vorstellen, wie man so etwas machen kann. - Mathias Flückiger


Glaubst du also, dass Zeranol durch das Trockenfleisch in deinen Urin gelangte?

Es ist müßig zu diskutieren, welches Szenario am realistischsten ist. Denn wir wissen es nicht. Und es gibt keine wissenschaftlichen Studien zur Substanz Zeranol. Fakt ist, es gab im Sommer 2022 eine Häufung dieser Vorfälle.

Wer stellte diese Häufung fest?

Alleine im Labor in Lausanne gab es 63 Fälle von Zeranol-Auffälligkeiten, 62 Fälle wurden aufgrund der geringen Menge fallen gelassen. Nur meine nicht. Hier war SSI hartnäckig, nicht das Labor, das von weiteren Ermittlungen abriet.

Auf Kurs: Mathias Flückiger auf dem Racetrack in Val di Sole, 2021.Foto: Red Bull Content PoolAuf Kurs: Mathias Flückiger auf dem Racetrack in Val di Sole, 2021.

Jolanda Neff hatte dir beigepflichtet, dass bei der Doping-Bekämpfung sauber gearbeitet werden muss. Hat dich das gefreut?

Natürlich, und ich würde mir wünschen, dass sich noch mehr dazu äußern. Denn es betrifft alle Athletinnen und Athleten in der Schweiz - in allen Sportarten. So habe ich das Gefühl, die anderen denken: Gut, dass mir das nicht passiert ist. Einmischen oder gar aussprechen will sich bisher aber fast keiner.

Wie kann man als Sportler verhindern, dass so etwas passiert?

Man muss sehr diszipliniert sein. Wenn du krank bist, darfst du nicht einfach was aus der Apotheke holen. Nahrungsergänzungsmittel aus dem Ausland sind tabu. Auch Fleisch, dessen Herkunft nicht klar ist. Und Pech darfst du keins haben, denn ich machte keine der genannten Fehler.

Hast du Sponsoren in der Zeit verloren?

Meine Partner waren loyal, das freut mich. Aber lukrative Sponsorenverträge, die gerade abgeschlossen wurden, sind geplatzt. Mein Gehalt wurde für mehrere Monate ausgesetzt. Und es wurde nicht nachgezahlt. Gleichzeitig hatte ich immer wieder Post von meinem Anwalt im Briefkasten mit Rechnungen über mehrere Zehntausend Franken.

Was geht dir durch den Kopf, wenn du jetzt von Doping-Verdächtigungen liest?

Puh, ich lese so etwas definitiv aufmerksamer. Ich frage mich, machen das wirklich so viele Athletinnen und Athleten oder sind sie Opfer solcher Irrtumsketten? Fakt ist: Wissentlich zu dopen ist das Allerletzte. Ich kann mir als Sportler nicht vorstellen, wie man so etwas machen kann. Deshalb glaube ich auch, dass es weniger Fälle von bewusstem Doping gibt, als wir denken. Kurzum: Wenn ich heute so etwas lese, gehe ich erst einmal vom Guten aus. Solange es Profisport gibt, wird es immer Doping geben. Vermutlich. Aber du musst dafür eine gewisse Gesinnung haben. Denn wenn du gedopt auf dem Podium stehst, dann kann das doch gar nicht befriedigend sein.

Konkurrenten: Nino Schurter (li) und Landsmann Mathias Flückiger in Lenzerheide 2021. Zu der Zeit gilt Flückiger als heißer Verfolger bis er im Sommer des nächsten Jahres von der Schreckens-Nachricht erfährt.Foto: Red Bull Content PoolKonkurrenten: Nino Schurter (li) und Landsmann Mathias Flückiger in Lenzerheide 2021. Zu der Zeit gilt Flückiger als heißer Verfolger bis er im Sommer des nächsten Jahres von der Schreckens-Nachricht erfährt.

Zur Person

Der Schweizer Cross-Country- Racer beginnt seine Profi- Karriere mit einem Knall. Er wird im selben Jahr U23- Weltmeister, Schweizer Meister (U23) und Europameister (U23). Seit 2018 fährt Flückiger im Thömus maxon Team. Zu seinen größten Erfolgen zählen Olympia-Silber, etliche WM-Medaillen und Worldcup-Siege, Schweizer-Meister-Titel in der Elite-Klasse und der Gesamtweltcup-Sieg 2021.

Mathias Flückiger: “Jetzt will ich endlich da weitermachen, wo ich 2022 aufgehört habe. Mich auf meine Karriere konzentrieren, ohne dieses Gespenst im Kopf.”Foto: Red Bull Content PoolMathias Flückiger: “Jetzt will ich endlich da weitermachen, wo ich 2022 aufgehört habe. Mich auf meine Karriere konzentrieren, ohne dieses Gespenst im Kopf.”

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