Wenn es stimmt, dass ein Zuhause das Wesen des Bewohners verrät, dann ist dieses Haus die reinste Plaudertasche. Es ist kein Eigenheim der üblichen Sorte. Das machen schon die gigantischen Außenmaße klar. Das Eisengrau der flachen, streng geometrischen Fassade wirkt wie ein Tarnanstrich. Trotzdem würde man einen Bau wie diesen eher an der Côte d’Azur vermuten statt hier – inmitten dieser ländlichen Eigenheimsiedlung. Das Spektakuläre aber ist das Innere. Viel Raum, wenig Möbel. Überall roher Stahl und Sichtbeton. Elefantöser Minimalismus. Zumindest auf den ersten Blick. Denn da hat man noch nicht den Wellnessbereich und die XXL-Garage gesehen. Das ganze Haus ist eine riesige, durchgestylte Wohnerlebniswelt. Ein Monument der Lebenslust. Und des Erfolgs.
Es ist kurz nach neun Uhr, ein neblig-kalter Morgen. Markus Flossmann (49) steht im Fitnessraum des Hauses. Der Begriff „Raum“ wirkt stark verniedlichend in Anbetracht der Ausmaße. Es ist mehr eine Sporthalle. Dutzende modernste Trainingsmaschinen stehen dicht an dicht. Hinten der Box-Bereich mit Sandsäcken. Links eine Spiegelwand. Rechts eine Fensterfront, die den Blick freigibt auf die Prachtlandschaft der Fränkischen Schweiz. Das Training ist Flossmanns tägliche Routine.
Aus den Deckenboxen pumpen Beats. Flossmann schnallt sich den Trainingsgürtel um, der über eine Kette mit 110 Kilo Eisen verbunden ist. Eine Spezialkonstruktion, mit der die Last beim Kniebeugen auf die Hüfte verlagert wird. Der Rücken darf nicht belastet werden, er ist nicht stabil genug. Als Flossmann 21 Jahre alt war und für Bodybuilding-Meisterschaften trainierte, barsten zwei Bandscheiben beim Hanteltraining. Der Unfall war der Urknall seiner Geschichte.
Flossmann geht in die Knie. Den Bruchteil einer Sekunde lang scheint es, als wäre das Gewicht mit der Maschine verschweißt. Doch Flossmann stemmt sich zurück in den Stand. Er presst die Atemluft aus, dass es zischt wie aus einem hydraulischen Ventil. Dann ringt er der Maschine die nächste Wiederholung ab. Der Blick in das hochkonzentrierte, geballte Gesicht von Flossmann macht klar: Es ist keine Übung. Es ist ein Duell. Mensch vs. Widerstand. Es ist das perfekte Symbol.
„Bodybuilding ist Selbstdisziplin – und zwar 24/7“, sagt Flossmann, als er wenig später bei einer Tasse Kaffee im Wohnbereich sitzt.
Selbstdisziplin, 24 Stunden am Tag, die ganze Woche. Ist das die Formel hinter seiner Erfolgsstory, die gleichzeitig auch die Geschichte der Marke YT Industries ist? Das wäre zu simpel. Die Story ist größer. Sie hat alles, was eine gute Geschichte ausmacht. Rock ’n’ Roll. Drama. Glamour. Größenwahn. Und ja, auch Selbstdisziplin. Wie fast immer bei solchen Geschichten führte aber vor allem der Zufall Regie.
Flossmann war dreizehn, als er beim Bäcker einen Gutschein für ein kostenloses Probetraining im örtlichen Fitnessstudio bekam. Er sei damals ein Lauch gewesen, sagt Flossmann. Das Training habe ihn angefixt. Vor allem weil die Ergebnisse der Schinderei schnell sichtbar wurden. „Ich fand es faszinierend, was man mit Willenskraft erreichen kann.“
Die Last des Eisens zerquetschte zwei seiner Bandscheiben. Es war, als wäre eine Abrissbirne in sein Leben gekracht.
Flossmann begann von einer Profi-Karriere als Bodybuilder zu träumen – und setzte dafür mit fünfzehn Jahren alles auf eine Karte.
„Die Ausbildung zum Kaufmann für Bürokommunikation habe ich nur meiner Mutter zuliebe angefangen“, sagt Flossmann und grinst. „Und weil sich in der Nähe der Firma ein Fitnessstudio befunden hat.“
Nach Feierabend ging er auf direktem Weg zum Training. Mit zwanzig wurde Flossmann Deutscher Meister. Dann machte eine falsche Bewegung beim Kniebeugen alles zunichte. Die Last des Eisens zerquetschte zwei seiner Bandscheiben. Es war, als wäre eine Abrissbirne in sein Leben gekracht. Die Brutalität der Diagnose riss Flossmann in die Krise. Bodybuilding war vorbei. Er begann mit Mountainbiken, um das Loch in seinem Leben zu füllen. „Auch ein geiler Sport“, stellte er fest.
Wer weiß, welchen Lauf sein Leben genommen hätte, wäre er an jenem Tag, der rückblickend alles verändert hat, auf direktem Wege nach Hause gefahren. Flossmann hing mit Kumpels nach der Tour noch an einem Pumptrack ab. Fasziniert schauten sie zwei Teenagern zu. Die waghalsige Action stand in hartem Kontrast zu den alten, klapprigen Bikes. Flossmann fragte, warum sie keine ordentlichen Dirtbikes hätten. Zu teuer, so die Antwort.
Das Haus von Markus Flossmann ist eine spektakuläre Wohnerlebniswelt. Er hat jedes Detail selbst konzipiert. Das Training im hauseigenen Fitnessstudio ist tägliche Routine.
„Ich dachte, das kann doch nicht sein, dass sich Kids keine vernünftigen Bikes leisten können“, erzählt Flossmann. Er fasste den Entschluss, das zu ändern. Was dann passierte, würde genügend Stoff für ein Buch bieten. Die Kurzversion geht so: Flossmann flog nach Taiwan, um sich mit Rahmenherstellern zu treffen. Wenig später schraubte er in der Garage der Schwiegermutter die ersten 150 Dirtbikes zusammen. Sein Kumpel programmierte die Website für den Direktvertrieb. Ein Magazin kürte das Modell zum Preis-Leistungs-Testsieger. Was dann folgte, hätte selbst Flossmann nie für möglich gehalten.
„Die 150 Bikes waren innerhalb von zehn Tagen weg. Ich war völlig überrascht, dass das so durch die Decke ging.“ Er nimmt einen Schluck aus der Tasse. „Good Times“, steht in tätowierten Lettern auf der Hand, die sie hält.
Heute arbeiten mehr als 200 Mitarbeiter für YT Industries. Die Bikes werden weltweit verkauft und sind im Worldcup erfolgreich. Es ist eine der angesagtesten Marken der Szene. Wie schafft man so was?
Vor ein paar Jahren ließ Flossmann ein HBDI-Profil von sich erstellen. Eine Persönlichkeitsanalyse, die Auskunft darüber gibt, wie man tickt und was einen antreibt. Das Ergebnis: Flossmanns Stärke ist, nichts perfekt zu können, dafür aber vieles ganz gut. Seine Kreativität basiere auf Logik, so die Auswertung. Flossmann lebt die Themen und spürt genau, was die Zielgruppe will. Bezahlbare Mountainbikes, ja. Aber keine mit Billig-Image.
„Du verkaufst ein Lebensgefühl“, erklärt er. „Am Anfang wurde ich ausgelacht. Alle sagten: Du kannst nicht gleichzeitig Discounter und Kultmarke sein.“
Flossmann ist genau das gelungen. Er ist ein Meister der Emotionalisierung. Wer schon einmal hinter die Kulissen einer Serienfertigung geschaut hat, der weiß, wie wenig das mit der Werbeweltromantik zu tun hat. Meetings. Kalkulationen. Excel-Tabellen. Formulare. Verträge. Steuerunterlagen. Uncooler, knochentrockener Kram. Ein Bike ist zunächst nur ein Bike. Ein Gebrauchsgegenstand. Es muss technisch überzeugen, klar. Auch der Preis spielt eine Rolle. Aber erst das Image macht es begehrenswert.
„Ich habe schon als Teenager drüber nachgedacht, warum Menschen freiwillig mehr Geld für ein Produkt ausgeben als für ein anderes“, sagt Flossmann, denkt einen Moment nach und fügt hinzu: „Marken sind Symbole. Damit verbindet man ein Gefühl.“
Die Firmenzentrale von YT Industries befindet sich in einem Gewerbegebiet am Rand von Forchheim. Flossmann parkt den Porsche direkt neben dem Eingang und federt die Treppen zur Büroetage hoch. Andreas John, der Creative Director, wartet bereits mit aufgeklapptem Laptop. Es geht um einen neuen Clip. Von Licht-Drohnen ist die Rede und von einzigartiger Trail-Action. Flossmann lässt sich neben John ins Ledersofa plumpsen. Der Raum ist voll mit Erinnerungsstücken aus dem YT-Kosmos. Unter der Fensterbank lehnt das gerahmte Weltmeister-Trikot von Vali Höll. Daneben steht die Maske des Ziegen-Mensch-Mischwesens aus dem berühmten Capra-Clip. Der Kühlschrank hat die Optik eines Konzertboxenturms. Er ist gefüllt mit Bier.
Er träumte von einer Profi-Laufbahn und wurde mit 20 Jahren Deutscher Meister. Dann beendete ein Trainingsunfall die Karriere. Flossmann wechselte ins Marketing und arbeitete für eine Fitnessstudio-Kette. Das Mountainbiken wurde seine neue Leidenschaft. Um junge Talente zu unterstützen, gründete er die Vermarktungs-Plattform Sponsoree. Der Schriftzug „sponsoree.com“ prangte dann auch auf der Kettenstrebe jenes Dirtbikes, das 2008 den Urknall von Young Talent Industries markierte, kurz YT. Das Markenkonzept: preisaggressive Bikes mit Premium-Image. Die aufwendigen Werbekampagnen sowie Kooperationen mit den Superstars der MTB-Szene haben YT Industries ein Kultimage beschert. Der Direktversender mit Sitz in Forchheim hat heute mehr als 200 Mitarbeiter. Markus Flossmann ist als Geschäftsführer tätig und besitzt Anteile am Unternehmen, das 2021 von der französischen Investmentgesellschaft Ardian übernommen wurde. Sein großer privater Traum: die Teilnahme an der Rallye Paris–Dakar 2027 mit dem Motorrad.
„Wenn wir Kampagnen entwickeln, ist fast immer Bier im Spiel. Da kommt man auf die besten Ideen“, grinst Flossmann. „In einem normalen Meeting kommt nichts Brauchbares. Kreativität funktioniert nicht in einem starren Rahmen.“ Die Ideen bei den legendären Kreativrunden würden manchmal so wilde Blüten treiben, dass in dem Moment niemand von einer ernsthaften Umsetzung ausgehe, plaudert er. Aber dann passiere es doch. Zum Beispiel die Jeffsy-Kampagne. Flossmann hatte sich in den Kopf gesetzt, für die Inszenierung des Modells Hollywood-Legende Christopher Walken zu engagieren, den apokalyptischen Reiter aus „Sleepy Hollow“.
„Unsere Agentur sagte immer wieder: Vergiss es. Das macht der nie“, lacht Flossmann. „Und ich beharrte drauf, wenigstens nachzufragen.“ Der Clip mit Walken, gedreht als Ode an die Freundschaft, war ein bis dahin einmaliger PR-Coup. Zwei Jahre später setzte YT Industries mit „Return of the Goat II“ noch eins drauf. Ein Thriller im Format eines Kurzfilms zur Bewerbung des Modells Capra. In der Hauptrolle: Superstar Mads Mikkelsen, der Schurke aus dem James-Bond-Streifen „Casino Royale“.
Mein Motto ist: Greife immer erst mal oben ins Regal, sagt Flossmann.
Man könnte den Eindruck bekommen, Flossmann schwebe auf einer Zuckerwattewolke durch das Leben. Geküsst von Erfolg und Glück. Doch natürlich gibt es auch die weniger glamourösen Seiten. Der Job als Geschäftsführer ist stressig, der Druck gewaltig. Finanziell und im Fall von YT auch aus kreativer Sicht, denn am Erfolg der Kampagnen hängt auch der Umsatzerfolg. Schon mehrmals wurde es eng für die Marke, weil die Lieferketten stockten und Bikes nicht pünktlich ausgeliefert werden konnten. Und auch die aktuelle Verkaufsflaute des Fahrradmarktes drückt auf die Stimmung. Aber irgendeine höhere, freundlich gesonnene Macht scheint dennoch im Spiel zu sein.
2016 entschloss sich Flossmann, Superstar Aaron Gwin unter Vertrag zu nehmen, um das Downhill-Modell zu promoten. Ein gewaltiges Risiko. Gwin hatte zu dem Zeitpunkt schon dreimal den Worldcup gewonnen.
„Ich dachte: Was, wenn einer, der jahrelang gewinnt, plötzlich nicht mehr gewinnt?“, erinnert sich Flossmann an sein damaliges Nervenflattern.
Das erste Worldcup-Rennen mit Gwin im YT-Trikot fand im berühmten französischen Wallfahrtsort Lourdes statt. Gwin gewann. Flossmann stand ergriffen in der Zuschauermenge, als Gwin bei der Siegerehrung übermütig die Schampusflasche schüttelte. Der Korken schoss aus der Flasche und flog im hohen Bogen auf die Menge zu. Und dann passierte das Unglaubliche: Er landete genau vor Flossmanns Füßen. Es war, als wäre sein ganz persönliches Wunder von Lourdes geschehen.
Den Korken hütet Markus Flossmann wie eine Reliquie bei sich daheim. Für ihn, trotz des ganzen Luxus, ist er eines der wertvollsten Dinge im gesamten Haus.
Über was kannst du lachen? Über mich. Auf welche Frage hättest du gerne eine Antwort? Was Chuck Norris wirklich umbringen kann. Welche Superhelden-Fähigkeit hättest du gerne? Fliegen können. Was wolltest du werden, als du klein warst? Astronaut. Wen würdest du gerne kennenlernen? Marken-Genie Dietrich Mateschitz. Deine größte Mutprobe? Ein Fels-Roll-off in Kanada – gruselig! Was kannst du gar nicht? Warten. Wo bleibst du hängen, wenn du durchs TV-Programm zappst? Ich zappe nicht durch das TV-Programm. Solchen Müll kann ich mir nicht ansehen. Bester Sport, außer Biken? Rallye. Egal ob mit Auto oder Motorrad. Was bereitet dir Albträume? Die Entwicklungen in der Welt. Wo man keinen Einfluss drauf hat. Mit welcher Gewohnheit solltest du aufhören? Mit dem Rauchen habe ich schon aufgehört. Also mit Social Media vorm Schlafen. Dein Lieblingsfilm? „Gentlemen“ von Guy Ritchie. Wem schaust du gerne beim Biken zu? Manuel Lettenbichler. Dafür, dass er eigentlich MX-Endurofahrer ist, hat er einen großartigen Style. Welche Bike-Events verfolgst du? Downhill-Worldcup, Hardline und Rampage. Was würdest du niemals anziehen? Sag niemals nie. Okay, Kleider. (Lacht.) Wofür würdest du gerne mehr Geld ausgeben? Für motorisierte Fahrzeuge aller Art. Von welchem Traum hast du dich bereits verabschiedet? Vom Traum, Astronaut zu werden.