Dimitri Lehner
· 24.10.2025
Wir können uns nicht erinnern, dass eine Übertragung der Red Bull Rampage je so lange gedauert hat.
Über 5 Stunden, denn immer wieder gab es Pausen aufgrund heftiger Stürze: Rider wirbelten wie Crashtest-Dummies durch die Luft. Es mag eigenartig wirken, mit den Stürzen eine Story über die Red Bull Rampage anzufangen, aber in unseren Augen ist die Diskussion über das immer krasser werdende Risiko nötig. Was ist passiert?
Es war schon immer eine Grusel-Nummer bei der Red Bull Rampage zuzuschauen, denn die Fahrer wagen bei diesem Superwettkampf alles. Eine gute Platzierung beschert Ruhm & Ehre, Sponsorenverträge, weltweite Aufmerksamkeit. Als Zuschauer sind wir hin und hergerissen zwischen Begeisterung, Faszination und Nervenkitzel. Ein Nervenkitzel, der schon nicht mehr kitzelt, sondern mittlerweile „kratzt“ und sich in Bestürzung wandelt. Die Rampage war schon immer gefährlich und risikogespickt, doch dieses Jahr verwandelte sich das Stuntspektakel in ein Massaker, das uns als Zuschauer, keinen Spaß mehr machte. Da wirbelten Menschen wie Crashtest-Dummies durch die Luft, Klippen hinunter und stürzten so schwer, dass sie sich von den Verletzungen womöglich nicht mehr erholen werden. Extremsport ist extrem, aber es macht einen Unterschied, ob Athleten selbstbestimmt die Grenzen ausloten oder unter Zeitdruck, bei Wind und auf Knopfdruck alles geben müssen. Vor allem: Wenn die Show live übertragen wird und die ganze Welt zusieht. Dass wir Medien diese Teufelsspirale des „Krass, krasser, am krassesten“ beschleunigen, macht uns noch betroffener.
Fazit: Es geht zu weit! Sieg oder Sark wollen wir nicht.
Die Rampage ist ein Jury-Wettkampf. Ein Schiedsgericht aus ehemaligen Rampage-Fahrern bewertet jeden Lauf nach den Kriterien:
Kritiker behaupten, besonders Punkt 4 in der Liste der Kriterien sei für das immense Risiko verantwortlich: Amplitude, sprich: Größe und Gefährlichkeit der Stunts. Um hier zu punkten, geben die Fahrer alles nach der Devise: Pokal oder Spital. Die Folge: die Stunts und Wagnisse werden immer krasser und die Frage drängt sich auf: Wollen wir so weiter machen und womöglich einen tödlichen Sturz im Livestream sehen? Denn dieses Szenario ist in unseren Augen nur eine Frage der Zeit.
Dennoch fällt es selbst einem kundigen Zuschauer schwer zu erkennen, welcher Lauf wie bewertet wird. Man könnte auch würfeln. Und das geht anscheinend nicht nur dem Laien so, selbst Ex-Rampage-Rider und Jury-Reporter vor Ort Geoff Gulevich lag mit seinen Einschätzungen oft weit daneben. Bestes Beispiel: Tom Isted. Wir hatten den Briten mit seinen Lauf mindestens auf dem Podium gesehen, wenn nicht auf Platz 1. Gulevich sagte: „mindestens Platz 5“. Doch die Jury platzierte „Ice-T“ auf Platz 10.
Der Ami ist ein Phänomen in Sachen Mut und Entschlossenheit. 2004 feierte Zink sein Rampage-Debüt und sprang damals als Erster einen 360er über einen Drop. Mittlerweile 39 Jahre alt und damit der älteste Athlet im Fahrerfeld, fährt Zink immer noch auf Sieg und geht volles Risiko ein. Zink startete auf seinem eigenen Bike (Zink Bikes) als erster Fahrer. Er brachte den Run ins Ziel, doch mit kleinen Patzern. Trotz all der Verzögerungen und Stürzen bewies Zink Stahlnerven und nutzte seinen zweiten Run, auf den viele Fahrer verzichteten. Leider misslang Zink der Superman über den Final-Jump. Am Ende Platz Platz 7.
Wir waren begeistert von dem 18jährigen Freerider aus Utah. Kein anderer Fahrer verkörperte mehr Fahrspaß und Freude am Freeriden wie der Rampage-Rookie mit seiner Pumuckl-Frisur. Dabei packte Finley durchaus Bangertricks in seinen Run. Uns beeindruckte besonders als Finley mit beiden Füßen auf den Sattel sprang und so über einen hohen Drop flog. Selbst Moderator und Slopestyle-Ass Nicholi Rogatkin hatte diesen Trick noch nicht gesehen und kannte den Namen nicht. Lustig: Finley fuhr in baggy Jeans, Longsleeve und Slipper-Schuhen. Hätte der Youngster im ersten Lauf den Bigbike-720er gestanden, wäre er vermutlich ganz weit vorne gelandet. Am Ende: Platz 8. Merkt euch den Namen, von Finley Kirschenmann werden wir ganz sicher noch öfter hören.
Der Brite aus Cornwall machte sich als Slopestyler einen Namen, konzentriert sich seit einiger Zeit auf XXL-Sprünge. Tom ist z. B. einer der wenigen Freerider der Welt, die beim Darkfest den 110 Footer-Superjump springen und sogar flippen. Letztes Jahr hat er bei seinem Rampage-Debüt bewiesen, dass er auch hier zu den Favoriten zählt und die krassesten Drops wagt. Dieses Jahr zeigte er einen Run, in dem alles steckte, was die Rampage ausmacht. Besonders beeindruckend: seine Barrelroll aus einem Sharkfin-Jump. Wir fanden es positiv bemerkenswert, als er nach einem monströsen Flatspin vom Kurs abkam, querbeet fuhr und es wieder zurück auf Kurs schaffte – auch das ist Rampage und zeigt Bike-Beherrschung. Trotz dieser Irritation drehte Tom einen Backflip über den Flatdrop und wirbelte eine Cashroll mit dem Bigbike über den Finaljump, was nur ganz wenige Fahrer auf der Welt können. Unsere Reaktion nach dem Run: ganz sicher Podium! Juryurteil: nur 84 Punkte. WHAT? Fairerweise muss man sagen, dass sein Trailbuilder im Interview unmittelbar danach so gefühlsberuhigt war und den spektakulären Run als Safety-Run bezeichnet hat. Kann es sein, dass das die Juroren beeinflusst hat? Doch dann der Schocker: Tom fährt den zweiten Run, diesmal schnell und flüssig – selbst das Kommentatoren-Trio Cam und Tyler McCaul plus Nicholi Rogatkin sind sich sicher: fette Verbesserung. Jury-Reporter Gulevich sagt: „im schlechtesten Fall Platz 5“. Doch die Jury befindet: Platz 10, kaum Verbesserung. In unseren Augen ist das nicht nachvollziehbar. Fazit: Tom Isted “got robbed”!
Angst scheint es in der Gefühlspalette des Spaniers nicht zu geben. Kein Wunder: seine Mama ist Wingsuit-Basejumperin. Gefahrensuche liegt in der DNA der Silvas. Legendär: Adolfs Doppelflips, die er gerne beim Darkfest in Südafrika über XXL Distanzen zeigt oder mit dem E-Enduro. Bisher hatte Silva bei der Rampage immer etwas Pech gehabt, doch dieses Jahr schien Silva zu allem entschlossen. Im ersten Run sorgte der Spanier für Lacher. Seine Hose platzte und rutschte ihm in der Luft über den Po, so dass er mit nacktem Hintern durch die Luft segelte. Im zweiten Run dagegen lief alles glatt, er schien voll auf Podiumskurs als er über einen hohen Drop zum Doppelflip ansetzte. Weltpremiere! Noch nie hatte es einen Doppelflip über einen Klippendrop gegeben. Ein wenig mehr Zug am Lenker und Silva wäre als strahlender Sieger gefeiert worden. Statt dessen flog der Rampage-Held mit dem Heli ins Krankenhaus. Wir können nur die Daumen drücken, dass der furchtlose Spanier diesen Monstersturz ohne Folgen überlebt.
Von dem 22jährigen Kanadier aus Vernon, British Columbia, hörten wir zum ersten Mal, als er bei Cam Zinks Freeride-Fest mit verrückten Stunts auftrumpfte und Zink verkündete, dass Hayden einer der zukünftigen Stars sein würde. Zink hatte Recht. Besonders beeindruckend an Hadens Run: Der Kandier zog sein Rocky Mountain Slayer lange vor der Klippenkante aufs Hinterrad, dass er fast im Manual in die Tiefe surfte und dann erst zum Backflip eindrehte. Wir haben in dem Run nicht unbedingt den Sieger erkannt, die Jury aber schon.
Der Belgier ist ein Rampage-Veteran. Zuverlässig landet Tommy G in den Top-10. Ganz nach oben hat es Genon aber noch nie geschafft. Daher verblüffte er die Freeride-Szene mit seinen Stunts. Allen voran: einem 360er-Drop als Auftakt mit krassen Konsequenzen. Ein kleiner Fehler und Tommy G würde in die Tiefe stürzen wie es später Emil Johansson passierte. Im ersten Lauf landete Genon so knapp, dass alle Zuschauer die Luft anhielten. Doch dann patzte er. Würde Tommy G einen zweiten Lauf wagen und das Risiko erneut eingehen? Ja, der Rampage-Veteran bewies Stahlnerven und zog den zweiten Run durch, diesmal gespickt mit Superstunts und erneut dem wahnwitzigen 360er von der Gipfelklippe. Platz 2 für Tommy G – der Belgier, sonst eher gefühlsberuhigt, konnte sein Glück kaum fassen