Was als Erstes auffällt, ist die unsichtbare Mauer. Als wäre der Festplatz in Nauders, auf dem die Pavillons des Father & SonDays stehen, von einem Magnetfeld umgeben, das nur Väter und deren Söhne passieren lässt. Drinnen, auf der Rasenfläche: Mountainbike- Männer und ihre Sprösslinge. Draußen, auf der Straße: Mütter, die ihnen zuwinken wie zur Tagesbetreuung abgegebenen Kindern vom Zaun einer Kita aus.
In wenigen Minuten soll es losgehen. Event-Chef Holger Meyer nestelt bereits am Megafon herum, da erblicke ich Mausebärchen. Verstohlen, als betrete sie verbotenes Territorium, pirscht sie sich durch die wartenden Papa-Sohn-Knäuel zu mir und Tim (11).
“Okay, hier noch was zum Knabbern, falls Ihr Hunger habt. Aber einteilen!”, sagt sie hastig, steckt mir eine Tüte Fruchtgummis zu und pirscht zurück zur Straße. Mausebärchen ist kaum außer Sichtweite, da dreht sich unser Kurzer zu mir.
“Papa, kann ich was naschen?” “Logo!”, entgegne ich, ohne den Hauch von Gegenwehr und halte ihm die Süßkramtüte hin. In dem Moment durchzuckt mich eine erste Ahnung davon, was der Grundgedanke dieser Veranstaltung ist. Es klingt erst mal paradox: ein Familien-Event, bei dem die Mütter ausgeladen sind. Ist das Cancel Culture? Oder Diversity? Weder, noch. Es ist vermutlich viel banaler: Das Father & SonDays ist einfach eine Form von zelebrierter Unbekümmertheit.
Tim und ich verbringen oft Bikepark-Wochenenden zusammen. Philosophische Gedanken habe ich mir darüber noch nie gemacht. Aber hier, inmitten dieser muttifreien Papa-Sohn-Blase, fange ich unweigerlich an nachzudenken. Warum ist es ein Event-Konzept, ohne Mütter Enduro-Trails zu fahren?
Viel Zeit für Grübelei habe ich nicht. Holger teilt bereits die Guides und Teilnehmer in Gruppen ein. Deshalb schnell per Smartphone die Frage an Google: Worin unterscheiden sich Mütter und Väter? Auf der Website Go Feminin eine erste klare Aussage: Mütter haben einen Mütterinstinkt und fassen Kinder mehr mit Samthandschuhen an. Väter dagegen sehen in Kids gerne Spielkameraden und Abenteuerkomplizen.
Ein Interview auf Spiegel Online mit einer Entwicklungs-Psychologin, die ein Forschungsprojekt zum Thema durchgeführt hat, geht in dieselbe Richtung. Mütter seien extrem bemüht, negative Emotionen vom Nachwuchs fernzuhalten, während Väter ihre Kinder auch mal aus Übermut in die Luft werfen würden, berichtet die Expertin. Action statt Samthandschuhen also. Immerhin: Biertrinken und Fußballgucken scheinen keine typischen Väter-Klischees. Zum Durchlesen des Interviews komme ich nicht mehr. Tim knufft mich mahnend in die Hüfte, denn “Fabs”, unser Guide, wartet bereits.
Unsere Gruppe besteht aus fünf Papa-Sohn-Einheiten. Mein Neffe Felix (15) ist auch noch dabei. Alle warten hippelig auf die Abfahrt zum Lift. Der heiß erwartete Programmpunkt der nächsten Stunden: shredden, bis kein Tiefenmeter mehr übrig ist. Yeah!
Hundert Väter und Kids sind angemeldet. Was bedeutet, dass alle Plätze ausverkauft sind. Dabei ist das Father & SonDays erst vor fünf Jahren aus einer Laune heraus entstanden. Ex-Downhiller Holger Meyer, der sich zusammen mit Partnerin Karen Eller neben Fahrtechnik-Camps auch auf Familienveranstaltungen spezialisiert hat, plauderte bei einem Wochenende in Nauders mit dem Tourismusstrategen des Bergdorfs, Manuel Baldauf, über ein mögliches Family-Format. Holger war mit Sohn Lois zum Enduro-Biken in Nauders.
“Da kam mir die Idee mit dem Father & SonDays”, so Holger, ein Kumpeltyp, den trotz seines ergrauten Holzfällerbartes die Aura eines Ewigjungen umgibt. Das Event schlug ein. Alle waren begeistert. Doch es seien auch böse Mails von Müttern gekommen, die sich ausgeschlossen gefühlt hätten, erzählt Holger. Er kann die Kritik nachvollziehen. Doch das Konzept sei nun mal so.
“Sorry, als Mann kann ich ja auch nicht beim Woman Camp mitmachen”, zuckt Holger mit den Schultern. Das Jungs-only-Motto habe für ihn auch wirklich nichts mit Macho-Denken zu tun, sondern ganz im Gegenteil. So hätten die Mütter mal Zeit für sich, während Väter und Kids drei Tage lang Quality Time miteinander verbringen. Und zwar anders, wie als komplette Familie. Was Holger einigermaßen gut bewerten kann, denn er und Karen organisieren auch das Family Bike Derby an der Paganella mit klassischem Vater-Mutter-Kind-Konzept.
“Die Atmosphäre beim Father & SonDays ist komplett anders. Viel entspannter. Mütter achten mehr drauf, wann das Kind ins Bett muss, was es zu essen gibt, was angezogen werden soll. Das Du-Musst gibt es bei Vätern irgendwie nicht. Da jumpen die Kids beim Grillabend über die Rampe, und wenn sie im Dreck landen, ist das eben so”, lacht Holger. Laissez-faire (sprich: Lässeefähr), nennen Sozialpädagogen diese entspannte Grundhaltung.
Es ist kurz vor 11 Uhr. Die Gondel ist oben, die Fruchtgummitüte leer. Die Baumgrenze liegt weit unter uns. Nur ein paar schroffe, steile Felswände überragen das kleine Plateau, auf dem wir stehen. Dennoch vergewissert sich Tim: “Wir fahren aber nicht hoch, oder?” Ich beruhige: “Keine Panik. Nur Downhill.” Das verflixte Thema Höhenmeter. Ich selbst würde nie freiwillig einen Lift benutzen. Mein Spross aber hasst das Hochkurbeln.
Dass ich hier drei Tage lang in Aufprallschutzkleidung und ohne Aussicht auf Schweißvergießen in herrlichster Gipfel-Touren-Landschaft verbringe, ist aber okay für mich. Eine gute Beziehung basiert immer auch auf Kompromissbereitschaft. Dass beim Father & SonDays nach oben geliftet wird, ist Teil des Konzepts. Es entschärft einen der größten Stresspunkte und macht die Aufteilung der Teilnehmer in homogene Kleingruppen erst möglich.
Die Abfahrt heißt Zirm-Trail und gilt im Bike-Jargon aufgrund ihres ruckelfreien, sanftmütigen Charakters als “Murmelbahn”. Viel Speed, null Sturzrisiko. Eigentlich.
Wir sind kaum gestartet, da liegt Tim lang. Der Grund bleibt ein Rätsel. Es ist auch nichts passiert. Verdutzt klopft sich mein fahrtechnisch eigentlich versierter Spross den Dreck von der Hose. Offenbar war es Nervosität. Das Fahren in der Gruppe kann Druck auslösen. Gerade, wenn man die anderen noch nicht kennt und Sorge hat, als Bremser belächelt zu werden. Doch von Anspannung ist nach dem ersten Serpentinengeschlängel nichts mehr zu spüren. Väter wie Kids rauschen mit souligem Gemüt durch das Kurvenmeer. Kein “Dicke-Eier”-Gehabe, keine Profilierungssprüche. Angenehm.
Nach drei Abfahrten ist Mittagspause. Zeit für ein erstes Kennenlernen. Klemens und Harald, zwei Kumpels aus Lienz, sind mit ihren 10- bzw. 11-Jährigen extra von weit her angereist und zum wiederholten Mal dabei. Die Mamis seien nicht so die Abfahrerinnen, erzählen sie. Den Reiz des Father & SonDays mache die Gruppendynamik aus. “Die Jungs probieren aus, was sie sich von den anderen abgucken”, so die Beobachtung von Klemens, der mit Sohn Luis im Partnerlook gekleidet ist.
Weiter geht es im dicht getakteten Programm. Zunächst Austoben auf dem Schöneben-Flowtrail, der so kurvig ist, dass man sich vom permanenten Hin- und Herlenken ganz besoffen fühlt. Danach zurück nach Nauders, wo erst ein Spaßprogramm auf der Expo-Area und dann die BBQ-Party wartet.
Am nächsten Tag alles wieder auf Anfang. Liften, Murmelbahn, Essen, orgiastisches Flowtrail-Geballere, dann wieder Party. Die steigt diesmal als eine Mischform von Grillfest und Jump-Contest. Würde man sich als bikender Papa die perfekte Party vorstellen, sie wäre exakt so wie diese hier.
Glückliche Väter in Trikots, die das Odeur eines großartigen Mountainbike-Tages verströmen, sitzen mit Bierflaschen in den Händen um das züngelnde Lagerfeuer herum. Die Kids schanzen sich bestgelaunt über eine Rampe, humorvoll kommentiert von Holger und seiner Crew. Aus den Boxen perlt unaufgeregte, aber druckvolle Musik. Eine Oasen-Atmosphäre.
Wäre es anders, wenn die Moms auch hier wären? Würden sie die Männer mit strengem Blick strafen, sobald sie das zweite Bier aus dem Kasten ziehen? Würden sie auf die Uhr schauen und zum Aufbruch mahnen, wenn es ihrer Meinung nach Zeit für die Bettruhe wird? Würden sie rumzicken, nerven, die Musik blöd finden, den Abend versauen? Das kann ich mir nicht vorstellen. Mamas, die biken, sind selten spaßbefreite Trullas. Es ist aber auch egal. Der Moment ist perfekt, so wie er ist. Und nur das zählt.
Sonntag, kurz nach 16 Uhr. Die drei Tage sind vergangen wie im Flug. Gemästet mit Eindrücken, Erlebnissen und Tiefenmetern kehren die Papa-Sohn-Grüppchen zurück zum Festplatz ins Zentrum von Nauders. Die Ankommenden steigen erschöpft und zufrieden von ihren Bikes. Die unsichtbare Mauer mit dem Magnetfeld scheint noch immer zu funktionieren. Draußen, auf der Straße, stehen die wartenden Mütter und winken. Wir winken zurück, wie Kinder, die nach einem langen, aufregenden Tag aus der Kita abgeholt werden.
Die Grundidee des Father & SonDays basiert auf der These, dass Väter und Söhne entspannter miteinander umgehen, wenn sie beim Biken unter sich sind. Das Festival soll auch dem Austausch von Vätern untereinander dienen. Die Vater-Kind-Duos fahren zusammen mit einem Guide in kleinen Gruppen vorwiegend einfache Flow- und Enduro- Trails.
Organisiert wird das Father & SonDays von Die Rasenmäher, der Firma von Karen Eller und Holger Meyer in Kooperation mit Nauders. Termin der dreitägigen Veranstaltung ist Anfang August. Das Ticket für einen Vater mit bis zu drei Kids kostet 325 Euro und beinhaltet Lifte und BBQ-Partys. Die 100 Plätze sind jedes Jahr schnell ausverkauft.
Das Bergdorf Nauders am Dreiländereck Österreich, Schweiz, Italien ist seit jeher ein Hotspot des Mountainbike-Sports. Dank eines stetig wachsenden Trail-Netzes, welches unter dem Namen 3-Länder Enduro Trails grenzübergreifend vermarktet wird, ist die Region zu einem Magneten für Enduro-Biker geworden. Um auch Familien anzulocken, entstanden in den letzten Jahren epische Flowtrails wie der Zirm-Trail auf dem Hausberg und der sieben Kilometer lange Schöneben- Trail auf der italienischen Seite am Reschensee.
Die drei Tage sind rappelvoll mit Programm. Den Kern bildet das Biken auf den Trails rund um Nauders. Abgerundet wird das Ganze von Fun-Contests, Workshops und gemütlichen BBQ-Partys. Auf der Expo-Area können Produkte für Kinder bestaunt und ausprobiert werden. Wer möchte, kann auch mit einem Test-Bike auf die Trails gehen.
Das Event Father & SonDays richtet sich explizit an Vater-Kind-Gruppen, Muttis müssen draußen bleiben und bekommen drei Tage lang Zeit für sich. Im Interview verrät Veranstalter Holger Meyer, was den besonderen Reiz des Vater-Kind-Wochenendes ausmacht.
BIKE: Ticken Mütter und Väter wirklich verschieden?
HOLGER MEYER: Ich denke schon. Die Väter sind entspannter im Umgang mit den Kids, das macht auch die Stimmung beim Father & SonDays aus. Allerdings ist es für einige Väter auch das erste Mal, dass sie alleine ein ganzes Wochenende mit dem Junior verbringen. Da kommen auf einmal Sachen zum Vorschein, die sonst die Mutter übernimmt. Aber das schmiedet auch zusammen.
Wie unterscheidet sich das Erlebnis des Father & SonDays verglichen mit normalen Familien-Events?
Es sind eigentlich die Kleinigkeiten, die den Unterscheid ausmachen. Zum Beispiel bleiben beim Father & SonDays die Väter gerne abends am Lagerfeuer sitzen und trinken noch ein Bier. Beim Family Bike Derby waltet meist die Vernunft der Mutter, und es geht früh ins Bett, um am nächsten Tag frisch und erholt zu sein. Was auch seinen Reiz hat. Ich persönlich mag beide Events.
Was ist die größte Herausforderung bei der Organisation des Father & SonDays?
Alle Anmeldungen unter einen Hut zu bekommen. Das Event ist immer schnell ausgebucht. Und dann ist es natürlich spannend, die Gruppen richtig einzuteilen. Vater und Sohn fahren zusammen in der Gruppe. Einer unserer Guides gibt das Tempo vor. Oft passt das Level der Kids nicht zum Fahrkönnen der Väter. Aber wir haben die Erfahrung gemacht, dass die Kids sich sehr schnell einordnen können und die Väter meist gemütlich hinterherfahren.