Stefan Frey
· 15.12.2023
Unmittelbar vor dem Ohr, knapp oberhalb des Jochbeins kann man ihn deutlich spüren, den Puls an der Arteria temporalis superficialis. Sie ist der letzte Abgang der äußeren Halsschlagader und mit ein Grund dafür, dass es überhaupt die neue Gattung der Jethelme gibt. Fragt man Felix Druschel, Product Manager Helmets bei Alpina, gilt es, diesen seitlichen Schläfenbereich, der von gängigen Halbschalen nicht abgedeckt wird, besonders zu schützen. Zumindest ergeben das Studien der GIDAS (German In-Depth Accident Study), die sich intensiv mit der Unfallforschung beschäftigt.
Die Integration der Ohren in den Helm ist dabei besonders aufwändig, erklärt Druschel. Während bei Giro und Limar diese lediglich von einer innen ausgepolsterten Schale aus Polycarbonat bedeckt werden, schäumt Alpina das Ohrenteil mit EPP, einem Material mit geringer Dichte und guten Dämpfungseigenschaften, aus. Außen ist der zusätzliche Schutz über die Polycarbonatschale mit dem Helm verbunden. Eine offizielle Bestätigung der Schutzwirkung gibt es allerdings nicht – die Prüflinie für die Fahrradhelm-TÜV-Norm liegt oberhalb des Ohrenteils, das somit nicht mitgeprüft wird.
Druschel ist sich dennoch sicher: Gerade für Biker, die einen erhöhten Schutz im Vergleich zu einem klassischen Openface-Helm suchen, ist der Jethelm eine gute Wahl. Er ist wesentlich leichter als ein Fullface-Helm und zudem besser belüftet. So kann er auch auf langen Touren getragen werden, wo ein Fullface überdimensioniert wäre.
Auch die Optik selbst spielt eine Rolle: Während Fullface-Träger mit Goggle oft allein schon wegen ihres brachialen Aussehens abschreckend wirken, bleiben Biker mit einem weniger brutal wirkenden Jethelm eine eher freundliche Erscheinung.
Bleibt die Frage des Tragekomforts: Denn der Schläfenbereich reagiert nicht erst bei einem harten Impact, sondern bereits auf andauernd leichten Druck äußerst sensibel. Eine ausgiebige Anprobe vor dem Kauf ist also Pflicht. Denn abgesehen davon, ob man die neue Gattung der Jethelme nun gut findet oder nicht: Ein Helm ist nur dann ein guter Helm, wenn er auch getragen wird.
BIKE: Ein Jethelm ist wesentlich schwerer als ein klassischer Openface-Helm, bietet aber gleichzeitig nicht annähernd so viel Schutz wie ein Fullface-Helm. Welchen Vorteil hat diese Art Helm also, und wer ist die Zielgruppe?
FELIX DRUSCHEL: Oder anders gesagt: Ein Jethelm ist wesentlich leichter als ein Fullface-Helm, bietet aber gleichzeitig einen erhöhten Schutz im Vergleich zu einem klassischen Openface-Helm. Dazu ist er wesentlich besser belüftet als ein Fullface-Helm. Der Jethelm-Helm ist also eine gute Wahl für alle, die etwas mehr Schutz haben möchten als mit einem Halbschalen-Helm und auf Trails unterwegs sind, für die ein Fullface-Helm überdimensioniert ist. Auch beim Uphill lässt sich der Helm komfortabel tragen und muss nicht am Rucksack oder Lenker befestigt werden. Wir finden auch, dass ein Jethelm eine freundliche Erscheinung auf dem Trail ist. Kein Wunder also, dass man ihn an immer mehr Riderinnen und Ridern sieht.
Durch die Erweiterung der Helmschale über die Ohren soll der Helm vermutlich mehr Schutz bei einem seitlichen Aufprall bieten. Gibt es hierzu Unfallstudien, die darauf hinweisen, dass gerade beim Biken in diesem Bereich viele Verletzungen auftreten?
Die GIDAS (German In-Depth Accident Study) Studie gibt gute Aufschlüsse über die Impact-Bereiche am Schädel. Hier haben wir uns eng mit unserer R&D abgestimmt, um die zu schützenden Bereiche mit der bestmöglichen Integration von Material, der Position und Größe der Ohren zu gestalten. Der seitliche Stirnbereich ist hier zum Beispiel besonders vulnerabel und kann mit einem Jethelm zusätzlich geschützt werden. Stichwort ist hier die Arteria temporalis superficialis, die es vordergründig abzudecken gilt.
Die Ohrabdeckung ist nicht direkt in die EPS-Schale des Helms eingebunden, zudem ist die Materialstärke wesentlich dünner als am restlichen Helm. Inwieweit hat dieser Bereich überhaupt eine Schutzwirkung? Gibt es dazu Messwerte?
Das Ohrenteil ist innen aus EPP und außen über die PC-Schale im Heck integriert. EPP wird mit geringeren Dichten als EPS verschäumt, dessen Dämpfungseigenschaften können hier sinnvoll eingesetzt werden und es soll den abgedeckten Bereich (Schläfe, Kiefer, Jochbein) bestmöglich schützen. Des Weiteren müssen wir eine gewisse Flexibilität gewährleisten, um optimalen Tragekomfort zu ermöglichen und die Nutzung zu vereinfachen, wie z.B. das Auf- und Absetzen. Kleine Kanäle in der Schale sorgen zudem für eine Reduktion des Drucks auf die empfindlichen Areale am Kopf. So ist der Helm vor allem bei längeren Tragen am Stück wie z.B. bei einer Tour mit vielen Höhenmetern bergauf komfortabel zu tragen.
Spielt der seitliche Aufprall im Bereich der Ohren eine Rolle bei der TÜV-Prüfung?
Da die Prüflinie für die Fahrradhelm TÜV-Norm oberhalb des Ohrenteils liegt, wird dieser nicht mit geprüft.
Ihr verbaut am Root Mips ein recht langes Visier, das fest mit der Helmschale verbunden ist. Könnte das im Fall eines frontalen Sturzes nicht zu Problemen führen? Z. B. zu einer Überstreckung des Nackens?
Das Visier ist so angelegt und konstruiert, dass es bei einem Aufprall wegbricht. Eine Überstreckung des Nackens oder ein Hängebleiben soll so vermieden werden. Kleine Randnotiz: Aus eigener Erfahrung funktioniert das sehr gut mit der „Sollbruchstelle“!
Preis 189,95 Euro
Gewicht 558 g (52-57 cm)
Größen 51-55cm, 55-57cm, 57-61cm
Ausstattung MIPS, langes Visier ohne Verstellung, Ratschenverschluss mit Kinnpolster, gummiertes Drehrad, Höhenverstellung
Die Bayern hatten mit dem Rootage schon recht früh einen Jethelm am Start – zu Beginn allerdings noch ohne MIPS-System. Doch auch bei Alpina setzt man neuerdings auf den zusätzlichen Rotationsschutz. Mit seinem gummierten Drehrädchen und der automatischen Höhenverstellung lässt sich der Root Mips besonders leicht an den Kopf anpassen. Trotz der wuchtigen Optik gehört er mit 558 Gramm noch zu den leichteren Vertretern seiner Art. Der Ratschenverchluss ist eine Alpina-Eigenheit und lässt sich auch während der Fahrt noch anpassen. Sein langes Visier ist fest mit der Helmschale verbunden, was bei einem Sturz im schlimmsten Fall zum Überstrecken des Kopfes führen. Komfortabel gepolstert und leicht aufzusetzen.
Preis 189,95
Gewicht 444 g (53 – 57 cm)
Größen M (53-57 cm) / L (57-61 cm)
Ausstattung höhenversellbares Visier; Magnetschloss mit Kinnpolster; Höhenverstellung; MIPS Air Node
Limar hat mit dem brandneuen Etna den vermutlich leichtesten Jethelm im Programm. Mit 444 Gramm ist er kaum schwerer als so mancher klassische Helm mit großer Abdeckung. Zum geringen Gewicht trägt auch das ins Helmpolster integrierte MIPS-System bei. Unter dem großzügig verstellbaren Visier lässt sich prima eine Goggle verstauen. Zwar verfügt der Etna über das clevere Fidlock-Magnetschloss, das Verstellsystem ist dafür weniger gelungen. Das Drehrädchen ist klein und fisselig, die Höhenverstellung hakt. Beim Aufsetzen muss man sich förmlich in den stramm sitzenden Helm hineinschälen und anschließend erstmal die umgeklappten Ohren wieder ausrichten.
Preis 229,90 Euro >> hier erhältlich
Gewicht 655 g (51-59 cm)
Größen S/M (51-59 cm) / M/L (59-63 cm)
Ausstattung Doppel-D-Verschluss; Mips; verstellbares Visier
Der Realm tendiert schon stark in Richtung Downhill – er verfügt als einziger über einen Doppel-D-Verschluss und ein sehr langes Visier im Moto-Style. Zudem ist seine Helmschale besonders weit nach unten gezogen, die Ohrbügel sind nur zu einem kleinen Teil getrennt konstruiert. Das erhöht zwar zum einen den Schutz, leider aber auch das Gewicht. 655 Gramm lasten auf Tour schwer auf dem Kopf, durch die kleinen Öffnungen leidet auch die Belüftung. Wegen der starren Konstruktion drücken die Ohrbügel stark auf die Wangen, Reinschlüpfen wird zum Kraftakt und klappt nur mit geöffnetem Verschluss – ziemlich unpraktisch. Weil der Realm pro Größe einen breiten Bereich abdeckt, sitzt er weniger satt als die Konkurrenz.
Preis 190 Euro >> hier erhältlich
Gewicht 632 g (55-59 cm)
Größen S (51-55 cm) / M (55-59 cm) / L (59-63 cm)
Ausstattung Mips Spherical; stufenlos verstellbares Visier; Höhenverstellung
Giro stattet seinen Jethelm mit dem aufwändigen Mips Spherical aus. Hier gleiten zwei durch einen Liner getrennte EPS-Schalen aufeinander. In unserem letzten Helmtest konnten wir dem System keine eindeutig höhere Schutzwirkung attestieren. Dafür steigt definitiv das Gewicht. Und das, obwohl Giro als einziger Hersteller um die Ohren gänzlich auf eine EPS-Schicht verzichtet. Die übrige Ausstattung ist Standard: einfacher Clip-Verschluss, großes gummiertes Drehrad und Höhenverstellung per Druckknopf. Dafür punktet der Giro beim Tragekomfort. Reinschlüpfen gelingt leicht und ohne sich die Ohren halb abzureißen, die Polster schaffen einen bequemen aber nicht allzu festen Sitz.
Preis 298 Euro >> hier erhältlich
Gewicht 583 g (55 – 59 cm)
Größen S (51-55 cm ) / M (55-59 cm) / L (59-63 cm)
Ausstattung Abnehmbarer Kinnbügel / Ohrclips; verstellbares Visier; 360° Turbine Technologie; Magnetschloss; automatische Höhenanpassung; gummiertes Drehrad; Ersatzpolster
Leatt hat mit dem Enduro 3.0 die eierlegende Wollmilchsau entworfen. Der MTB Enduro 3.0 ist Halbschale (460 g), Openface- und Fullface-Helm (725 g) in einem. Seine ASTM-Zertifizierung macht ihn dabei voll Downhill-tauglich – was auch das etwas höhere Gewicht erklärt. Über einen Schlitz an der Schläfe und ein Loch hinterm Ohr werden Kinnbügel oder Ohrschützer montiert – mit etwas Übung geht das recht fix per Druckknopf. Trotz rundlicher Passform sitzt der Leatt fest und bequem, lässt sich über Wechsel-Polster zusätzlich anpassen. Top: das Magnetschloss und die automatische Höhenanpassung. Wer den einen Helm von Trailtour bis Park-Besuch sucht, sollte hier zugreifen.
Sie wollen mehr zum Thema Helme wissen? Dann lesen Sie doch hier unseren Test von Enduro-Helmen.
Wir haben in der Redaktion nachgefragt, wie die Kollegen aus dem Testteam das Thema Jethelm sehen. Hier gehen die Meinungen zum Teil stark auseinander. Es gibt absolute Befürworter aber auch eindeutige Ablehner. Was spricht für, was gegen diese neue Form der Bike-Helme?
Ich lege beim Biken Wert auf perfekten Kopfschutz. Im Park ist für mich Fullface-Pflicht. Bei Touren setze ich auf Jethelme. Meiner sitzt fest am Kopf und umschließt ihn weit, auch an den Schläfen. Ja, sieht seltsam aus. Aber lieber optisch Lord Helmchen, dafür bleibt das Ding beim Abgang im Geröll da, wo es sein soll. Und das funktioniert, ich habe es mehrfach ausprobiert. Weniger ist mehr? Für mich nicht beim Thema Helm. Gut durchlüftete Modelle funktionieren auch bei Trailtouren.
Ich sehe keinen Vorteil in Jet-Helmen. Sie sind schwerer und schlechter belüftet als Halbschalen. Die tatsächliche Schutzwirkung der Ohr-Pads wird zudem in keiner Zertifizierung belegt. Wenn ich mehr Schutz als mit einem konventionellen Helm will, greife ich zu einem leichten Fullface wie dem Abus Airdrop. Der erfüllt den ASTM F1952 Standard und ist somit voll Downhill-tauglich. Dazu wiegt er nur 770 Gramm und ist ähnlich gut belüftet wie die Jet-Helme.