Wer billig kauft, kauft zweimal. So viel Wahrheit in diesem Spruch auch steckt, gerade beim Fahrradhelm könnte schon der erste Fehlgriff fatale Folgen haben. Dann nämlich, wenn der Helm seine angedachte Funktion nicht erfüllt, beim Sturz vom Kopf rutscht oder gar zerbricht. Aber stimmt es eigentlich, dass günstige Helme schlechter schützen als teure?
In unserem aktuellen Test drängt sich diese Frage förmlich auf, denn der Testsieger liegt preislich im unteren Bereich und hat auch keinen zusätzlichen Rotationsschutz. Nach welchen Kriterien soll man also einen guten Fahrradhelm auswählen?
Jedes zusätzliche Feature kostet Geld, so viel ist klar. Eine anpassbare Nackenstütze, einstellbare Y-Gurte (die den Sitz unterhalb der Ohren verbessern), ein Fliegennetz oder Reflexelemente – und das sind erst die Basics. Abus spendiert ein magnetisches Gurtschloss von Fidlock für mehr Bedienkomfort, Uvex integriert ein Hiplock-Kabelbinderschloss als einfachen Diebstahlschutz. Brillengaragen, Ohren-Pads und Stecklichter aufladbar per USB oder mit Batterie komplettieren die Ausstattungen. Der mit Abstand günstigste Anbieter Cratoni verbaut ein Anpassungssystem ohne Höhenverstellung im Nacken. Doch solange der Helm zum Kopf passt, sitzt auch der Velo-X ordentlich.
Die Ausstattung bedingt auch das Gewicht: Hier liegt der Abus Urban-I an erster Stelle. Er wiegt gerade mal 261 Gramm und damit über die Hälfte weniger als der Helm der Decathlon-Eigenmarke BTWIN. Gerade auf längeren Strecken spürt man das hohe Gewicht des City CBH 900 schon deutlich im Nacken. Nur rund 30 Gramm mehr als der Abus-Helm wiegt der Velo-X von Cratoni. Auch bei diesem Modell wurde auf MIPS-Ausstattung verzichtet. Die Modelle von Alpina, Giro, KED und Uvex liegen gewichtsmäßig im Mittelfeld, sind allerdings auch umfangreicher ausgestattet.
Auch im Hinblick auf die Belüftung liegt der Abus zusammen mit Cratoni, Alpina und Uvex an der Spitze. Zahlreiche große Belüftungsöffnungen sorgen für frischen Wind unter dem Helm. Die kompakteren Modelle von BTWIN, Giro und KED sind schlechter belüftet. Ein Blick auf die Innenseite erklärt warum: Aufwändige Lüftungskanäle oder große Lufteinlässe sucht man hier vergebens. Die Helmschale sitzt dicht am Kopf, was den Fahrtwind am Durchströmen hindert. Zur Verteidigung des KED muss man allerdings erwähnen: Die drei großen Reflexelemente in der Helmschale sind entnehmbar. Das erhöht die Belüftung, senkt aber die passive Sicherheit.
Sicherheit (50 Prozent) Spezielle Sicherheitstechniken – MIPS & Co. – sollen messbar das Risiko von Kopfverletzungen senken, indem sie beim schrägen Aufprall auftretende Rotationskräfte verringern. Die bestehende Prüfnorm für Helme EN 1078 kann diese Szenarien nicht abbilden.
Um die aktuelle Helmgeneration realitätsnah zu prüfen, haben wir in Eigenregie einen Helmprüfstand entwickelt und uns dabei an den in der Wissenschaft und von forschenden Herstellern eingesetzten Methoden orientiert.
Für den Test wird der Helm auf einen 4,9 Kilogramm schweren Prüfkopf aus Aluminium angepasst. Helm und Kopf werden beim simulierten Sturz auf einem Schlitten geführt und treffen mit 21 km/h auf eine im Winkel von 45 Grad geneigte Stahlfläche auf. Schleifpapier in 40er-Körnung imitiert die Rauheit des Untergrunds – damit gehen wir analog zu den Prüfeinrichtungen Virginia Tech, Folksam und anderen Forschungseinrichtungen vor.
Der Schlitten saust an der Auflagefläche vorbei und gibt den Helm frei, der nach dem Aufprall wegspringt. Ein Sechs-Achsen-Sensor im Prüfkopf zeichnet Beschleunigung und Drehraten um die drei Achsen im Raum beim Aufprall und in der sich anschließenden Flugphase auf. Im ersten Anlauf trifft der Helm frontal auf, im zweiten seitlich.
Die Beschleunigung werten wir nach dem größten resultierenden Wert aus – je niedriger desto besser. Angegeben wird der Mittelwert aus vier Messungen. Die Kopfrotation rechnen wir um zum BrIC-Kriterium (Brain Injury Criterion), das aussagt, wie schädlich die Bewegung für das Gehirn ist. Diese Methode ist in der Wissenschaft verbreitet und ermöglicht über den sogenannten AIS-Code Aussagen zur Wahrscheinlichkeit einer Gehirnerschütterung.
Gewicht (15 Prozent) Auf zusätzliches Gewicht reagiert der Kopf besonders sensibel. 50 Gramm mehr oder weniger machen hier einen großen Unterschied. Unser Test zeigt: mehr Gewicht bedeutet nicht automatisch besserer Schutz.
Anpassung (20 Prozent) Beim Punkt Anpassung bewerten wir die Ausführung und Einstellbarkeit des Kopfrings sowie den Verlauf, Sitz und den Verschluss des Gurtsystems.
Belüftung (15 Prozent) Die Belüftung der Helme testen wir mit einem starken Gebläse, das die Strömung auf bis zu 30 km/h beschleunigt. Der erhitzte, behelmte Kopf wird der Strömung ausgesetzt, und wir ermitteln die Kühlleistung.
Der knallgelbe MIPS-Layer revolutionierte 2007 die Helmsicherheit. Heute findet man den „Rotationschutz“ bei nahezu jedem Helmhersteller.
Wissenschaftliche Studien belegen, dass das menschliche Gehirn besonders empfindlich auf rotatorische Kräfte reagiert. Um bei einem schrägen Aufprall die Rotationsenergie zu reduzieren, wurde die reibungsarme MIPS-Schale (Multi-directional Impact Protection System) konzipiert.
Sie soll ein zum Kopf versetztes Gleiten des Helms ermöglichen. Dadurch wird Rotationsenergie in Translationsenergie umgewandelt. Dieser Mechanismus ähnelt dem Verhalten des Kopfes bei einem Sturz auf Eis, wo sich der Kopf in der ursprünglichen Richtung weiterbewegen kann.
Aktuell sind fünf verschiedene Varianten des MIPS-Systems verfügbar: Essential Core, Evolve Core, Air Node, Integra Split und Integra Fuse.
Im MYBIKE-Test setzen Alpina, Giro, KED und Uvex auf das Evolve Core. Vor allem in sportlicheren und sehr leichten Rennrad- und Mountainbike-Helmen findet man die aufwändigeren MIPS-Konstruktionen.
MIPS wird nach wie vor kontrovers diskutiert. Die im Test gemessene Spanne ist aber auf jeden Fall erheblich. Für mich scheint die Wirksamkeit plausibel zu sein.
Wir haben den Testteilnehmern offen gelassen, ob sie ein Modell mit oder ohne MIPS schicken möchten. Alpina, Giro, KED und Uvex setzen auf das aktuell am häufigsten eingesetzte MIPS Evolve Core, die Modelle von Abus, Cratoni und BTWIN verzichten auf den Rotationsschutz. Daraus ergibt sich ein gemischtes Testfeld und die spannende Frage: Wie schneidet ein MIPS-Helm auf dem Prüfstand ab im Vergleich zu einem Modell ohne Rotationsschutz?
Bei den Beschleunigungswerten liegen zwei MIPS-Helme vorn. Den dritten Platz mit einem Beschleunigungswert von 120,4 g belegt der Velo-X ohne MIPS. Das KED-Modell mit MIPS landet mit 127,4 g an letzter Stelle noch hinter den beiden Nicht-MIPS-Modellen von Abus und BTWIN. Es liegt damit aber immer noch weit unter dem Norm-Wert von 250 g. Eindeutig sind aber die Ergebnisse beim Rotationsschutz. Hier liegen die Helme mit MIPS-System vorn. Demnach kann ein zusätzlicher Rotationsschutz die Wahrscheinlichkeit einer Gehirnerschütterung deutlich reduzieren.
Nachdem alle Fahrradhelme, die in Deutschland verkauft werden, der Prüfnorm EN 1078 entsprechen, ist es aber vor allem wichtig, dass der Helm gut sitzt, zum Einsatzzweck passt und getragen wird! Für Tourenradler sind Gewicht und Belüftung unter Umständen entscheidender als für Radpendler, die vielleicht mehr Wert auf Design, Wetterschutz, Sicherheit und Sichtbarkeit legen.
Wer allein unterwegs ist, kann nicht immer auf Hilfe hoffen. Diese Gadgets fordern Hilfe an oder erleichtern die Suche nach Verunglückten.
Einige Hersteller statten ihre Helme optional mit Crash-Sensoren aus. Beschleunigungssensoren messen permanent die Kräfte, die während der Fahrt auf den Körper wirken und erkennen automatisch einen Sturz. Nach Ablauf eines Countdowns wird ein Notruf an in der App hinterlegte Notfallkontakte gesendet. Abus oder Cratoni bieten solche Sensoren ab ca. 60 Euro an. Der O'Neal Trailfinder Evo + Quin ist ein MTB-Helm mit dem Sturzsensor Quin.
NFC steht für Near Field Communication, Nahfeldkommunikation, und meint die kontaktlose Datenübertragung über kurze Strecken, zum Beispiel beim Bezahlen mit dem Handy. Der NFC Medical ID Chip im Helm registriert keine Stürze, er soll die Erstbehandlung beschleunigen.
Allergien, Unverträglichkeiten sowie persönliche Daten und Notfallkontakte lassen sich via App direkt im Helm-Chip hinterlegen. Ist der Verunglückte bewusstlos, scannt der Rettungsdienst den Helm und bekommt die wichtigsten Daten direkt aufs Smartphone geliefert. Highend-Helme von POC sind aktuell mit der sogenannten NFC Medical ID ausgestattet.
Bei Recco handelt es sich um ein Ortungssystem für Outdoor-Aktivitäten. Die Reflektoren werden an der Ausrüstung getragen und reflektieren ein Suchsignal, das von den Detektoren ausgesendet wird. Rettungsteams können damit vermisste Personen schnell finden. Das System ist zuverlässig und benötigt keine Stromversorgung. Es kann an jedem Helm nachgerüstet werden und kostet 25,95 Euro.
Der Test zeigt, ein guter Fahrradhelm muss nicht teuer sein und auch nicht zwingend ein Rotationssystem enthalten. Weil alle Helme die Prüfnorm EN 1078 locker erfüllen, zählen im City-Alltag und auf Tour vor allem eine gute Anpassung, hohe Sichtbarkeit und ausreichende Belüftung. - Stefan Frey, Test-Redakteur