Seit 1775 zog es Goethe, wie magisch, in den Thüringer Wald, unter anderem als Bergbau-Ingenieur, als Dichter, Naturwissenschaftler – und als Trinkkumpan des jungen Herzogs Karl August. Vergebens jedoch waren seine Bemühungen, den Menschen hier Arbeit und Brot zu geben. Zu wenig war aus der Erde herauszuholen.
230 Jahre später lässt sich zumindest die Oberfläche des Thüringer Bodens nutzen – als Tourenrevier. Die Gumminoppen greifen kräftig in den weichen Waldboden. Wie schwerelos gleitet das Bike unter dem Wipfeldach dahin. Ein Teppich aus Tannennadeln schluckt jedes Geräusch. Die Ruhe der langgezogenen Bergrücken wird nur von wenigen Tälern unterbrochen, in deren Mulden sich schiefergedeckte Fachwerkhäuser ducken. Auf den Anhöhen öffnet sich immer wieder die freie Aussicht über zahllose Wellenkämme, die nordwärts in die Ebene des Thüringer Beckens auslaufen. Es riecht nach Holz.
6000 Kilometer Wege warten darauf, entdeckt zu werden. Dagegen schrumpfen die 169 Kilometer des legendären Rennsteigs fast zu einer Spritztour. Streng genommen misst der Weg tatsächlich 169,293 Kilometer. Denn Deutschlands prominentester Wanderweg ist jüngst, nach penibler Neuvermessung, etwas länger geworden: exakt 993 Meter mehr, als die bis dato gültigen Werte aus dem Jahr 1830 behaupteten. Eine kleine Sensation, die dem altehrwürdigen Thüringer Rennsteigverein sogar blutige Knie wert war. Ließ man zur Wahrheitsfindung doch einen Trupp Landvermesser ein Jahr lang, teils mit dem Maßband, auf allen Vieren über Stock und Stein krabbeln. Sicher wird niemand bestreiten, dass der Fernwanderweg über den Kamm des Gebirges für Wanderer wie Biker eine große Herausforderung darstellt. Ein kapitalträchtiges Aushängeschild, dessen Bedeutung sich die Einheimischen wohl bewusst sind. Und so tummeln sich zur Hauptverkehrszeit Hinz und Kunz auf dem ausgetretenen Schotterband.