Endlich ist es soweit. Das Training ist beendet, das Rad-Setup steht und die Vorbereitung auf die WM kommt zum Ende. Stichtag. Unsere Betreuer haben derweil mehrmals die Verpflegungszonen besichtigt und alternative Routen berechnet, sollten Straßen der Sellaronda gesperrt werden. Wer wohl angespannter ist? Die Rennfahrer oder die Betreuer? Die Organisation der Verpflegungszonen ist wie immer keine leichte Aufgabe. Es gleicht einer Optimierungsaufgabe in der BWL: Verteile X Betreuer auf Y Verpflegungszonen, wobei ein Betreuer mehrere Zonen abfertigen kann. Restriktion 1: Jede Feedzone muss zur richtigen Zeit besetzt sein, damit jeder Fahrer versorgt wird. Restriktion 2: Die Fahrzeit des Betreuers zu seiner nächsten geplanten Feedzone muss geringer sein als die Fahrzeit des ersten Fahrers zu jener Feedzone – plus die Wartezeit in der aktuellen Feedzone auf den letzten Fahrer. Die Komplexität steigt durch die Tatsache, dass sich Damen- und Herren-Kurs unterscheiden und die Feedzones somit zu unterschiedlichen Zeiten angesteuert werden. Et voilà – der Plan steht.

Gänsehaut-Feeling beim Start.
Gänsehaut pur
Ich starte bei der WM mit Startnummer sechs dank meiner Punkte in der UCI World Marathon Series aus der ersten Reihe. Keine schlechte Ausgangslage und mal ganz ehrlich: was für ein Gefühl bei einer Marathon WM mit dieser Atmosphäre aus der ersten Reihe zu starten. Die Kulisse mit den Dolomiten-Gipfeln und die Fans am Streckenrand, einfach nur toll. Gänsehaut pur – überholen nicht möglich. Von hinten schließen weitere Fahrer auf. Zwei Italiener kennen wohl ihre weibliche Landsfrau da vorne und rufen wohl so viel wie „Elena, geh aus dem Weg!“ Von Sekunde zu Sekunde wird aus den zwei Stimmen ein ganzer Chor. Elena macht schließlich Platz. Für beide Seiten eine schlechte Lösung. Die Strecke ist an manchen Stellen nicht eindeutig gekennzeichnet und durch geeignete Wahl des Weges kann man leicht Sekunden gewinnen oder halt verlieren.

Anfangs lief es für Robert Mennen nach Plan.
Marathon- oder Orientierungs-WM?
So verwundert es auch nicht, dass ein paar Fahrer – ich eingeschlossen – am Anfang des dritten Anstiegs eine Abbiegung verpassen und wir erst nach 500 Meter feststellen, dass wir umdrehen müssen. Ich frage mich, ob das eine Marathon- oder eine Orientierungs-WM ist? Es dauert den ganzen Anstieg, bis ich mir meine Position durch den "Verfahrer" zurückerobert habe. Den steilsten Abschnitt der WM habe ich nun gemeistert und ich fühle mich gut. Ich bin im Flow, es geht vorwärts und ich fühle mich wie auf Schienen. In der Abfahrt kommt mir dann auf Schotter beim Anbremsen einer Kurve das Hinterrad quer. Ich rutsche in eine Wasserrinne und treffe wohl einen Stein. Jedenfalls geht mir Sekunden später die Luft im Hinterrad flöten. Verdammter Mist! Ich habe es übertrieben. Nicht heute, nicht jetzt! Zwei Kilometer bis zur Verpflegungszone. Zu weit, um auf dem Trail mit einem Platten zu fahren. Also neuer Schlauch rein. Ich kann zwar weiterfahren, aber richtig sitzt der Reifen nicht auf der Felge. Also wechsle ich in der nächsten Zone das Laufrad. Ich brauche Zeit, bis ich wieder den richtigen Tritt finde. Zwar gelingt es mir, im weiteren Verlauf wieder ein paar Plätze gut zu machen, aber nach Rang acht im vergangenen Jahr bin ich dieses Jahr mit meinem 26. Platz nicht zufrieden. Selbst ohne die Umstände wäre es wohl schwer geworden, daran anzuknüpfen, aber vielleicht wären die Top 15 machbar gewesen. Alles in allem ist es für mich natürlich enttäuschend, wenn man so viel in ein Rennen investiert und sich viel vornimmt. Aber so ist der Sport. Abhaken, es kommen wieder bessere Veranstaltungen. Beim nächsten Mal heißt es wieder: „Attacke!“

Eine Wasserrinne übersehen, Hinterrad platt: Der Defekt warf Mennen zurück.
Im Weltmeisterzimmer
Auch wenn das Rennen – wie bei Kristian und Sally – nicht nach meinen Vorstellungen lief, bin ich im Weltmeisterzimmer. Das Trikot liegt direkt vor meiner Nase. Schön anzusehen ist es, anfassen durfte ich es auch. Anziehen? Nein, das will ich nicht, das muss man sich verdienen. Gratulation an Alban. Super Leistung. Es freut mich, dass bei ihm alles gepasst hat und wir nun einen würdigen Weltmeister haben. Endlich kann Alban seinen Geburtstagskuchen genießen, auf den er vor dem Rennen verzichtet hat. Guten Appetit. Der Tag war dann mit Sicherheit einer der längsten in diesem Jahr.

Auf demselben Canyon-Prototypen wie Weltmeister Alban Lakata war Robert Mennen bei der WM unterwegs.
BIKE Race-Offensive: Robert Mennens Marathon-Blog 2015
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