Cesare der Masseur, der im Hotelkeller auf einer knarzenden Liege müde Beine wieder munter macht, hat mich trotz – oder vielleicht gerade wegen seines rabiaten Massage-Styles – nach der vorletzten Etappe der Rally di Romagna wieder gerade gebogen. Auf der letzten von fünf Etappen war es dann wieder dasselbe Auf und Ab wie an den anderen Tagen. Daselbe scharfkantige Sägezahnprofil, das mich so zermürbt hatte, doch diesmal lief es.
Göttlich ohne murrende Oberschenkel durch den Wald zu hetzen! Man kann soviel trainieren wie man möchte, wenn die Beine bleischwer die Rotation verweigern, ist man aufgeschmissen. Die heutige Strecke war genau wie im abendlichen Briefing angekündigt, ein Konzentrat aus dem besten der vergangenen Tage. Noch steiler bergauf, noch mehr Panorama, noch geilere Trails. Gino hat das Mikrofon gestern Abend gar nicht mehr losgelassen und uns mit Superlativen überhäuft.

Veranstalter Die letzten zwei Etappen bestimmen den Eindruck, den man von einem Etappenrennen mit nach Hause nimmt.
Die letzte Etappe eines Etappenrennens ist entscheidend für den Eindruck, den man mit nach Hause nimmt. Wenn die Strecke progressiv immer etwas leichter und landschaftlich pompöser wird, bleibt am Ende nur die Erinnerung an Wahnsinns-Panorama und leicht drehende Beine. Wehe aber dem, der die Teilnehmer auf den letzten beiden Tagen mit ewig langen Laufpassagen und Downhill-Sektionen à la "Grube des Todes” triezt. Die Hardcore-Biker, die die Matratze nebens Bett stellen, um auf den Streben zu schlafen und abends nur stilles Wasser trinken, kommen gerne wieder. Der Otto-Normal-Marathon-Racer, der sich nur bis zu einem gewissen Punkt kurz vor die Nahtod-Erfahrung auslasten will, ist aber auf Jahre vergrault. Bis sich auch bei den überforderten Bikern langsam der graue Schleier des Vergessens legt. Sobald das dritte, vierte Mal der berühmte Satz "so steil war das damals auch wieder nicht" durch den Kopf zuckt, ist man schon wieder auf der Veranstalter-Website eingeloggt und überweißt seine Moneten ins Ausland.
Auf der Strecke war es zwar wirklich sehr schön, aber wieder sehr steil. Heute ging es einen großen Teil der Anstiege über Asphalt. Die Streckenposten winkten mich vier Kilometer vor dem Ziel auf den letzten Anstiegen auf einen Karrenweg, der sich noch einmal gemein aufbäumte. Dann waren wir oben, ab da ging's nur noch bergab ins Ziel. Ein großartiges Gefühl: noch nicht im Ziel zu sein, aber zu wissen, dass man das Rennen finishen wird, mit allen Unannehmlichkeiten und dem guten Gefühl, sich durchgebissen zu haben.
Der letzte kurze Trail über einen handtuchbreiten Hügelkamm. Schöne Sekunden im Rausch, den Finger bereit an der Bremse, um den gemeingefährlichen Tannenzapfen, die in den Kurven liegen, auszuweichen. Unten im Tal, Riolo del Terme, unsere Heimat für die vergangene Woche. Noch schnell über eine Holzbrücke und dann im Sprint Richtung Zielstrich!

Privatfoto Panoramablicke solchen Kalibers gibt es bei der Rally di Romagna am laufenden Band.
Müde Beine wohin man schaut
Im Ziel ausrollen, rechts ausklicken, einen Pappbecher warme Cola exen und wieder zu sich kommen. Mein Zimmerkollege Vinz hat schon den Merchandising-Stand geentert, wie bei jedem Event, zu dem ich ihn schleppe. Socken, Handyhülle, Gürtelschnalle – das volle Programm. Riolo ist Sonntagmittag komplett auf den Beinen. Frische Pasta mit Speck kommt nach fünf Tagen Powergels sehr gelegen. Auf der Podium-Bühne spielt parallel zur Siegerehrung eine Rockband mit echt fertigen Jungs. Ein 50 Liter Fass "Moretti"-Bier ist angeschlagen und man schüttelt Hände von jedem, dem man über den Weg läuft. Italien Anfang Juni, auf knackiger aber machbarer Strecke feine Kerle und müde Beine wohin man schaut.
Gomes, der Gesamtsieger und unser Zimmernachbar, winkt uns rüber ins Bierzelt. Vielleicht schaffe ich es wenigstens heute Abend auf der Finisher-Party einen Gang mehr einzulegen als er…
Grazie mille a tutti!
Alexande
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