Die Etappen bei der Rally di Romagna werden morgens neutralisiert gestartet. Ein Jeep fährt voraus, der Rennleiter mit schickem Hemd und roter Fahne aus dem Fenster gelehnt. Sobald wir die erste Schotterstraße erreichen wird vorne wild die Fahne geschwenkt und der Laktatspiegel klettert sofort in den roten Bereich. Bei Kilometer 44 wartete eine Spezialwertung auf uns. Eine "il Muro" genannte Ein-Kilometer-Rampe mit 500 Höhenmetern. Geht nicht? Geht doch!
18-40 Prozent Steigung, teilweise auf losem Schotter. Beim Durchfahren der Zeitmessmatte motiviert einen das Piepen des an der Gabel befestigten Chips Gas zu geben, um es dieser verdammten Muro so richtig zu zeigen. Doch 40 Prozent kennen kein Pardon. Das bis dahin relativ kompakte Feld der sterblichen Fahrer, in dem ich mich aufhalte, um um ein Stück vom Top 100-Kuchen zu kämpfen, explodiert nach 100 Metern. Es ist so steil, dass man sogar zu Fuß alle zehn Meter anhalten muss. Ich muss die Bremse gezogen halten, um das Rad bei Fuß zu halten. Der Tacho zeigt 0 km/h an und die schon gut durchgegarten Beine brennen. Ein Anstieg bei Tempo Null kann sich ganz schön in die Länge ziehen, so viel weiß ich jetzt. Oben angekommen wartet neben Atemnot und einer Parkbank, an der sich alle die schon oben sind, fleißig dehnen und strecken, ein Traum-Trail.
Es geht bergab über einen handtuchbreiten Waldpfad, der immer wieder Maisfelder kreuzt. Man fühlt sich, als würde man Kornkreise in der Emilia Romagna ziehen. Der größte Flow, den ich bisher erlebt habe. Wir sind in drei Tagen noch keinen geraden Meter gefahren und die Italiener, mit denen ich unterwegs bin, haben mir versichert, dass das auch bis Sonntag so bleibt.
Der zweite große Anstieg nach 5,5 Stunden wird zur harten Probe für die Moral. Es ist heiß, der Rücken zwickt, der Bart juckt, der Hintern ist wund und die Hände taub. Alles nervt, bis es wieder in die nächsten Wahnsinns-Trails durch Kornfelder und Kiefernwälder geht. Bei Gelände, das alles Richtung 15 Prozent Steigung oder Gefälle geht, ändert sich die Stimmung von "keine Lust mehr auf Biken" zu "ich will hier nie wieder weg" alle paar Minuten.
Die letzte Verpflegung ist vor einem Friedhof aufgebaut. Beim Banane-Schälen und Flaschen-Auffüllen sieht man auf den Mausoleums-ähnlichen Grabplatten ernst dreinschauende Opas in kleinen kupfernen Bilderrahmen. Unheimlich, selbst bei Tageslicht. Also schnell weiter die letzten 15 Kilometer auf einer Strade Bianche bis rein nach Riolo, wo jeden Tag auf den leicht ansteigenden 100 Metern vorm Zielbogen noch einmal hart um irgendwelche Platzierungen gekämpft wird, die man sich nach zwei Tellern Pasta und einem Eis nicht mal Anschauen geht, weil die Resultate im Rennbüro 15 Treppenstufen über uns aufgehangen werden und man nach sieben Stunden auf dem Bike für so etwas keine Energie mehr übrig hat.
Abends sind wir in der Pizzeria "il Rocco" abgestiegen, beim bestgelauntesten Kerl im Dorf, der uns mit den wildesten Doping-Verschwörungstheorien über Nibali und Co. auf Trap gehalten hat.
Bis morgen,
Alexander
Rally di Romagna Blog