Nach drei Stunden Aufenthalt in Madrid sind wir mit einer Propellermaschine, die wohl schon Fausto Coppi zu Rennen geflogen hat, in Bologna gelandet und wurden sofort von Davide in einem Riesen-Bus abgeholt. Zu dritt in einem ansonsten komplett leeren Linienbus mit einem wild gestikulierenden, grau-melierten Italiener ins "Grand Hotel Terme" gefahren zu werden, das Radio auf "massimo del volumen" gedreht vorbei am "Mercatone Uno"-Firmensitz mit seiner überlebensgroßen Marco Pantani-Statue bringt einen sofort in Italo-Sommer-Feeling.
Mann muss es einfach sagen, der Ort Riolo del Terme ist verdammt schön. Große Tannen, sanfte saftige Hügel, Eisdielen an jeder Ecke und italienische Großvater mit Zeitung und Kaffee. Das Klischee Italien zu hundert Prozent erfüllt – das es wohl nur noch in 5000-Seelen-Dörfern gibt. Junge Kerle mit Blondinen hinten auf der Vespa knattern durch die Gassen und fragen uns nach dem Gewicht unserer Bikes.

Privatfoto Unser Hotel: Von außen den Charme eines Fellini-Films, von innen eher modest. Aber praktisch: Dusche und Toillete in einem.
Heute sind wir die erste Etappe, also den Prolog der Rally di Romagna gefahren. Um 17:00 Uhr war Start in der "grotto del gesso", einer Quarzmine 15 Kilometer außerhalb der Stadt. Morgens sind wir die Strecke schon mal abgefahren, natürlich ging es sofort steil bergauf und alle sind Vollgas losgebrettert, um zu sehen, wer der Hahn im Stall ist.
Die Anstiege sind extrem steil, alles über 14 Prozent. Bergab ging es heute auf dem "Tobogan Trail ". Die Rutsche hat mich schwer beeindruckt: ein Erste-Sahne-Trail mit Anliegerkurven, Wellen durch dichten Wald bei dem man das Gefühl hat, man fährt drei Mal so schnell wie man eigentlich fährt. Der Trail war so sauber – ohne eine unschöne Querwurzel oder loses Geröll –, dass man sich aufs Lenken und Grinsen konzentrieren konnte, selbst Bremsbelag habe ich gespart, was mir sonst nicht so oft passiert.
Gelitten wie ein Hund
Zum Startbogen sind wir dann in geschlossener Formation gefahren. Der Fahrer des Führungsautos hatte einen mächtigen Bleifuß und so waren die neun Kilometer mit 450 Höhenmetern zum Startbogen ein richtiges Rennen. Mit nur einem Kettenblatt habe ich echt gelitten wie ein Hund. Auf einem Stück bergab, bei dem wir wie in einem Tour-de-France-Pelotón Rad an Rad runter gekurvt sind, gab es einen Massensturz mit 15 involvierten Fahrern, die alle ordentlich Tapete lassen mussten – und das bevor der erste offizielle Kilometer der Rally di Romagna gefahren wurde.
Der Prolog war nicht wie angenommen ein Einzelzeitfahren, bei dem man meistens von einem wohl beleibten Kommissar des lokalen Verbandes eingeklickt gepackt wird, dann von 9 bis 0 runtergezählt wird und eine kurze Holzrampe runterrollt, um Fahrt aufzunehmen.

Privatfoto Alles was der Biker braucht: Dosen-Ananas, Pannenspray, Multistecker und eine hochwertige Brille!
Die Jungs haben echt eine komplette Etappe über die eindrucksvolle Distanz von 12,8 Kilometern ausgetragen! Die ersten 500 Meter durch die Ausläufer der Mine war so viel Staub in der Luft, dass ich selbst relativ weit vorne im Feld nicht mal meinen Vorbau erkennen konnte. Es ging richtig zur Sache. Nicht ungewöhnlich bei einer fast einstelligen Kilometerzahl. Die ersten 30 Fahrer waren wie bei jedem Rennen sofort weg und bestimmt schon unter der Dusche als ich in die Pedale eingeklickt habe.
Die Organisation ist wirklich top und zählen zum Besten, was ich je gesehen habe. Man wird wie ein Kumpel behandelt, es gibt "gelato for free", Bier und Waffeln. Die Mechaniker-Crew, drei tätowierte wilde Kerle, die die Etappen mit Enduros und einem Rucksack mit Ersatzteilen begleiten, haben heute echt Geduld mit mir gehabt. In einem Anfall von Größenwahn habe ich – wie bereits im ersten Blog-Eintrag beschrieben – mein Rad von einer Zweifach-Kurbel auf ein sportives Einfach-Setup umgebaut. Eine Schnapsidee, die meine Beine heute schwer büßen mussten. Das Gefühl gut Luft zu kriegen, aber die Kurbel nicht rumzukriegen, ist echt nervig. Ich hatte mit dem bisschen Vernunft, die mir geblieben ist, den Umwerfer und den linken Schalthebel mit eingepackt, um im Notfall auf zweifach umzurüsten.
Beim vierstelligen Preis sofort aus dem Laden gerannt
Der Teufel steckt bekanntlich im Detail: ohne Schrauben kein Kettenblatt, selbst bei meiner bescheidenen Watt-Leistung. Die Shimano XTR braucht spezielle Kettenblattschrauben, die es wohl hier nicht gibt. Beim Tunning-Spezialisten FRM – einer Art Tune aus Italien – wollten sie mir netterweise eine günstige Kurbel verkaufen. Als ich das fast vierstellige Preisschild gesehen habe, bin ich so schnell ich konnte aus dem Laden gerannt. So fahre ich also ab morgen nur mit kleinem Kettenblatt und 24-11 Zähnen als Downhill-Gang. Wenn ich nicht über Nacht lerne eine 150er-Trittfrequenz zu treten, werde ich bergab wohl nichts zu melden haben.

Privatfoto Startnummer und ausgedientes Einfach-Kettenblatt: Habe es beim 13-Kilometer-Prolog schon gemerkt, dass meinen Waden elf Gänge zu wenig sind.
Die Laune ist gut, das Zusammenleben mit Vinz im Doppelzimmer, in dem wohl schon zu Mussolinis Zeiten Radfahrer die Beine hochgelegt haben, passt. Beim Prolog bin ich 81. geworden, damit kann ich nach zwei Tellern Pasta zufrieden einschlafen. Morgen starten 980 Bikes im Startblock hinter uns bei einem ein Eintages-Marathon, mit dem wir uns die Strecke teilen. Ich bin gespannt und bereit für großes Chaos.
Ich werde noch schnell die Dosen Ananas futtern, die praktischerweise erst 2022 ablaufen und dann geht bei uns brav um 22:00 Uhr das Licht aus. Gestern haben wir den Fernseher laufen Lassen. Im italienischen Fernsehen schnattern alle so wild drauf los, dass man eine Fußball-Übertragung nicht von einem Politik-Talk oder einer Zahnpasta-Werbung unterscheiden kann.
Buona notte, bis morgen.
Alexander
Rally di Romagna Blog