Das Leben lebt von Kontrasten. Gab es vor zwei Wochen in Kirchberg noch Schnee und Regen , so frohlockten die einschlägigen Online-Wetterdienste für dieses Rennwochenende in Sölden mit reinstem Badewetter. Die Hitzewelle über Mitteleuropa machte beim zweiten Rennen der European Enduro Series in Sölden jeden Integralhelm zum Dampfgarer und die Strecken zur Staubwüste. Ich reiste etwas übermüdet am Freitagabend direkt vom Cube-Fotoshooting an, um meine Form auf den Prüfstand zu stellen. Zugegeben, das ewige vor der Kamera Hin-und-her-Fahren war bei über 30 Grad im Schatten nicht die beste Vorbereitung, aber es hilft ja nichts. Das hintere Ötztal rund um Sölden ist bekannt für seinen alpinen Trail-Charakter. Neben schmalen, naturbelassenen und mit etlichen Spitzkehren übersäten Bike-Pfaden rüstet der Tourismusverband mit der Teäre Line auf. Ein Feuerwerk aus perfekt im Flow gebauten Anliegern. Diese Art von „Flow“-Strecken sind spätestens seit der Eröffnung des „Flowcountry“-Trails am Geiskopf der letzte Schrei und versprechen den Urlaubsregionen echte Familienfreundlichkeit und den Liftbetreibern ein dickes Umsatzplus.
Schlüssel suchen statt trainieren
Das Training am Samstag verlief ruhig, alle Strecken waren per Gondel erreichbar und auch in den Stages selbst gab es keine größeren Tretpassagen. Vollkommen untypisch für Veranstaltungen von Trailsolutions, bei denen man im Normalfall auf mindestens einer Stage die Kette aufs Übelste malträtieren muss, um vom Fleck zu kommen. Die Starter verteilten sich großflächig auf den Trails im hinteren Ötztal, um sich mit der Kombination aus Highspeed-Abschnitten und engen Spitzkehren vertraut zu machen. Ruhig war es für mich aber nur bis zu dem Zeitpunkt, an dem ich merkte, dass ich meinen Autoschlüssel beim Training verloren hatte. Neben laienhaften Einbruchversuchen und telefonischem Kontakt mit dem ADAC kam mir jedoch der glorreiche Gedanke, bei der Bergbahn nachzufragen, was sich als äußerst sinnvoll entpuppte. Denn tatsächlich lag mein Schlüssel seit der ersten Trainingsfahrt am Morgen an der Talstation. Mir fiel ein Stein vom Herzen, als die Dame an der Kasse ihn mir zurückgab.
9-Minuten-Prolog auf der Teäre Line
Nach dieser Stunde Gratis-Stress konzentrierte ich mich wieder voll und ganz auf den anstehenden Prolog. Normalerweise ist der Prolog immer ein kurzes Intermezzo, um Zuschauer anzulocken und wenig rennentscheidend,. Aber diesmal stellte der Prolog eine besondere Herausforderung dar. Die bereits erwähnte Teäre Line gab zwar nicht die technisch anspruchsvollste Prolog-Strecke ab, aber forderte mit neun Minuten Renndauer und 130 Anliegerkurven vor allem die Kondition. Neun Minuten unter Volllast 130 Anlieger wegzupushen und den G-Kräften zu trotzen, bedeutete absolute Höchstleitungen – vor allem für die Muskulatur in Rumpf und Rücken. Um die letzten Sekunden rauszuholen, blockierte ich das Fahrwerk zudem nahezu, um keine Energie in den Anliegern zu verlieren, was die Sache für meinen Körper jedoch nicht leichter machte. Mit einem ordentlichen Drehwurm nach 130 Richtungswechseln reihte ich mich vorerst zufrieden und mit wieder errungenem Autoschlüssel auf Rang 10 ein.
In der Nacht auf Sonntag gingen ordentliche Regenschauer nieder, was jedoch die Strecke auf keinste Weise veränderte. Nach extremster Dürre die ganze Woche über verkroch sich das Regenwasser schneller in den Boden, als es ein Schwamm hätte aufsaugen können. Zum Start der ersten Stage ging es ganz gemütlich mit der Gondel hinauf. In den Trail eingefahren, merkte ich schnell, dass ich noch etwas müde von den Strapazen der vergangenen Woche war. Die Konzentration ließ zu wünschen übrig, ein bis zwei Mal sackte mein Oberkörper in Kompressionen zusammen, weil die normalerweise vorhandene Power fehlte. Das Spektakel zog sich den ganzen Tag über fort und wurde mit einem Highlight-Sturz auf Stage 4 gekrönt. In einer Spitzkehre tippte ich wohl etwas zu viel an meiner leistungsstarken 4-Kolben-Bremsanlage, was mich direkt über den Lenker den Abhang hinunterbeförderte. Und wieder mal sammelte ich 15-20 Gratis-Sekunden ein, die es auf meinem eh schon nicht so rosigen Zeitkonto nicht mehr gebraucht hätte. Die eher kurzen Stages reizten zwar das Höhenpotenzial der Region nicht ganz aus, waren dafür mit umso mehr Liebe hergerichtet worden. Es wurden kleine Anlieger geschaufelt und Steine versetzt, um uns Rennfahrern sozusagen den roten Teppich auszurollen. Nach nur 3,5 Stunden war ich nach sechs Stages, zwei Gondelfahrten und etwa 27 Minuten Stage-Zeit im Ziel. Ich war wirklich verwundert über die geringe konditionelle Beanspruchung dieses Rennens. Da war das Auftaktrennen der European Enduro Series in Punta Ala schon eine ganz andere Nummer. Aber an diesem Wochenende war wohl wegen der Hitze jeder froh darüber. Leider reihte ich mich am Ende wieder mal auf einem unbefriedigenden 15. Platz ein. Kein Beinbruch, aber es wäre mehr drin gewesen. Mein Teamkollege Nico Lau zeigte, wie es geht und stellt seine Enduro World Series-Ambitionen mit einem Sieg unter Beweis, auch wenn Michal Prokop auf Rang zwei nur einen Hauch zurücklag und die ganze Sache spannend machte.
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