Nach der Sommerpause hieß es vergangenes Wochenende wieder "happy racing" und der Tross mit Organisation und Teilnehmern der European Enduro Series ließ sich in Paganella, zirca 50 Kilometer nördlich des Gardasees nieder. Bereits vor zwei Jahren sorgte das Rennen in Terlago – unweit von Paganella – für Aufsehen in der Szene, mit absolut geilen Strecken und perfekter Organisation. Das Gebiet rund um den Molveno-See war mir zwar bekannt, allerdings noch von der Zeit, als ich mit dem Hardtail bei der BIKE Transalp am Start stand und Andalo uns zwischen seinen malerischen Felskulissen beherbergte.
Im Verlauf des EES-Wochenendes wurde mir klar, dass die Italiener eine ganz besondere Tourismusstrategie fahren: Während sie alle deutschen Touristen bei überteuerten Preisen in die Geröllrutschen des Gardasees locken, bauen sie sich selbst ein Bike-Paradies per Definition nur ein paar Kilometer weiter weg. Das ganze Projekt lassen sie dann ein bisschen unter dem Radar laufen, oder wer hätte gewusst, dass in Paganella sechs Lifte mit Bike-Transport und ein waschechter Bikepark stehen, damit nicht der deutsche Tourist die "eXpresso"-Bars belagert und die Erde aus den liebevoll angelegten Trails bremst.

Manfred Stromberg Kevin Maderegger (AUT) siegte bei den Junioren. Bei den Men Elite wäre er mit seiner Zeit von 37,08 Minuten in die Top-5 gefahren!
Die Trailsolution-Crew hat den touristischen Plan der Italiener durchkreuzt und uns Rennfahrern die traumhaften Trails rund um Paganella zugängig gemacht. Mit 4000 Tiefenmetern und einer Renndauer von rund 40 Minuten wurden nicht nur die technischen Skills sondern auch die Ausdauer der Athleten abgefragt. Sechs Liftfahrten erleichterten den Weg zu den jeweiligen Startpunkten, ließen aber dennoch genügend Höhenmeter übrig, um die Kette auf den Transferetappen ordentlich zu quälen.
Die Etappen selbst waren eine Offenbarung für den Endurosport. Nicht so steil wie Downhill-Pisten und stets im Wechsel zwischen flowigen und technischen Passagen. Schwierige, mit Wurzeln durchsetzte Hangquerungen mussten mit viel Schwung und vor allem ohne Angstbremser gemeistert werden. Zusätzlich zu den fordernden Strecken gab Petrus sein Bestes und öffnete am Samstag zum Training die Schleusen. Der Regen verwandelte so manche Hangquerung in eine Rutschpartie und übernahm so oft an Stelle des Fahrers die Linienwahl.
Spike-Reifen in der weichsten Mischung
Der Boden knauserte mit dem Grip so dermaßen, dass manche Kollegen sich für Spike-Reifen in der weichsten Mischung an Hinter- und Vorderrad entschieden. Eine Reifenkombi, welche sich so unglaublich gegen Vortrieb sträubt, dass jedem Oberschenkel auch nur beim Gedanken daran schlecht wird. Ich blieb bei relativ humanen Magic Marrys an Front und Heck, um bei den flowigen Passagen nicht zu viel zu verlieren. Dafür perfektionierte ich in so mancher Kurve meinen Driftstil, kam aber im Großen und Ganzen ganz gut den Berg runter.
Die längeren Rennradeinheiten während der Sommerpause machten sich auch positiv bemerkbar und halfen mir dabei, die Etappen mit bis zu 15 Minuten Fahrzeit gut zu überstehen. Aber wie es immer ist, wenn die Ausdauer passt, dann fehlt es eben woanders und so hatte ich das erste Mal in dieser Saison Probleme mit meinem Oberkörper. Bei den ganz langen Etappen konnte ich nur mit Ach und Krach meinen Lenker festhalten, was sicherlich auch den extremen Strecken zuzuschreiben war.
Ich hatte selten so viel Spaß im Training wie beim Andriften der Kurven in Paganella. Die Kehrseite der Spaß-Medaille: Die verdreckten Räder verschluckten am Samstagnachmittag so manche Mechanikerstunde im Fahrerlager und ließen auch bei mir das Abendessen etwas nach hinten rutschen.
Überraschung: Ich konnte alle Glieder bewegen und war bei Bewusstsein.
Am Sonntagmorgen zeigten die Gebirgsketten das erste Mal ihr volles Panorama und strahlender Sonnenschein erleichterte die Arbeit hinterm Lenker für uns Fahrer extrem. An manchen Stellen war es bereits abgetrocknet. Auch wenn die Grip-Bedingungen durch den Wechsel von rutschigen und griffigen Stellen sogar noch etwas schwieriger war und sich die Reifen vermehrt mit zähem Matsch zusetzten: Wenigstens das Problem mit beschlagenen und verdreckten Brillen war passé.

Alex Luise Am Renntag: Döhl, blauer Himmel, türkiser Molveno-See, Sonnenschein und Dolomiten-Panorama.
Ich ging alle Stages locker an – aufgrund der Länge für mich die beste Strategie – und brachte meine Läufe auch ganz ordentlich zu Tal. Alles verlief nach Plan, ich ging nicht zu viel Risiko ein, fuhr aber einen ganz ordentlichen Speed. Bis mich auf der letzten Stage eine Spurrinne aus voller Fahrt mit ca. 45-50 km/h ins Unterholz beförderte. Während des Abflugs verabschiedete ich mich bereits von meinen Knochen, denn mir war klar, ein Sturz an dieser Stelle bleibt nicht ohne Konsequenzen. Zu meiner Überraschung fiel mein "Körper-Quickcheck" nach dem Sturz im Unterholz liegend positiv aus, ich konnte alle Gliedmaßen bewegen und hatte volles Bewusstsein.

Manfred Stromberg Keine Frau war schneller als die 17-jährige Raphalea Richter (GER) vom Radon Factory Enduro Racing Team.
Dennoch konnte ich das Rennen nur unter erschwerten Bedingungen fortsetzten. Das Material hatte übel gelitten. Ums kurz zu machen: Die Kurbel drehte sich nicht mehr und ich musste die letzten Kilometer der Stage mit dem falschen Pedal vorne und lediglich rollend bewerkstelligen. Am Ende schaffte ich es so dennoch auf Rang 6, was in Anbetracht der Umstände absolut okay war. Nach der Zieldurchfahrt meldeten sich dann doch noch einige Körperteile, welche kleinere Blessuren und Prellungen wegstecken mussten, aber zum Glück nichts Tragisches. Am meisten litt ich darunter, dass ich die Siegerehrung auf dem Trosttreppchen für den 5. Platz um nur vier Sekunden verpasst hatte. That's racing. Vielleicht läuft beim nächsten Mal in Leogang wieder alles nach Plan.
Zum Rennausgang
Markus Reiser (GER) vom Focus Trail Team gewann vor seinem Teamkollegen Fabian Scholz und Rudolf Biedermann (SUI). Der Tscheche Michal Prokop (Specialized) landete auf dem vierten Platz, gefolgt von Nicola Casadei aus San Marino.
Bei den Frauen wehten ganz oben dieselben Landesflaggen: Raphaela Richter vom Radon Factory Enduro-Team gewann souverän mit über zwei Minuten Vorsprung auf Landsfrau Lisa Policzka. Sogar gut drei Minuten zurück lag Dauerrivalin Monika Büchli aus der Schweiz.
In der Gesamtwertung der Männer führt aktuell Markus Reiser mit 380 Punkten vor Michal Prokop (305 Punkte) und Robert Williams mit 250 Punkten. Bei den Frauen ist die Lage deutlich knapper. Hier führt Monika Büchli mit 210 Punkten vor Raphaela Richter, Anneke Beerten und Lisa Policzka, die alle drei 200 Zähler auf dem Konto haben. Es wird also spannend. Das letzte Rennen der European Enduro Series 2015 findet am 17. und 18. Oktober in Málaga statt.
Hier finden Sie die
Ergebnisse
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