Wenn ich mich am Freitag vor einem Rennen auf die Reise zum Veranstaltungsort begebe, steuert mein alter Bus nach all den Jahren Erfahrung schon fast von selbst in Richtung Süden. Samerberg, Sölden, Kirchberg oder sogar über den Brenner drüber nach Italien. Die großen Tourismusverbände der Alpen zeigen sich dank mangelndem Schneefall im Winter äußerst aufgeschlossen gegenüber Sommersportlern und lassen sich den Imagewandel einiges Kosten. Jedes Wochenende kann man sich irgendwo in Europas größtem Gebirge eine Startnummer an den Lenker strapsen und zwischen Flatterbändern seinen Mann auf dem Mountainbike stehen. Nebenbei machen die Mountainbike-Pilger natürlich auch die Kassen der Gaststätten, Lifte und Hotels voll, damit sich die Sache wieder trägt. So vergisst man oft schnell, dass es auch noch andere Regionen zum Biken gibt als die Alpen.

Markus Nothrof Über Stock und Stein, die Strecken in Altenau waren sehr abwechslungsreich.
Die deutsche Enduro-Elite im Harz
Fast hätte mein Bus aus Gewohnheit verweigert, als ich ihn diesmal in den hohen Norden zur Deutschen Enduro-Meisterschaft nach Altenau im Oberharz steuerte. Über fünf Stunden quälte ich den PS-armen Klepper durch die Republik, bevor ich Freitag abends mein Quartier am Wettkampfort beziehen konnte. Der Harz war für mich bis dato leider ein unbeschriebenes Blatt. Denn die diesjährige DM wurde von einem Veranstalter ausgetragen, welcher zwar schon lange Jahre ein Rennen ausrichtet, aber nie Teil einer größeren Rennserie war. Sozusagen ein Geheimtipp, denn die Streckenführung zeigte mir als Alpentourist, dass sich auch die Fahrt in den Norden lohnen kann.
Der Kurs schlängelte sich knapp 40 Kilometer durch den Harzer Nadelwald. Neben moderaten, aber häufigen Anstiegen wurde uns Rennfahrern zur Arbeitserleichterung auch ein Lift im Bikepark Schullenberg zur Seite gestellt. Zwar waren die Stage-Zeiten mit unter zwei Minuten relativ kurz – was den geringen Höhenmetern zu Schulden ist –, aber dafür hat der Veranstalter alles aus dem Gelände herausgeholt. Neben zuschauerfreundlichen Stadtetappen und Wiesenslalom waren auch Rennpisten im Schottland-Style Teil der zehn Sonderprüfungen. Zwischen eng stehenden Fichten, auf lockerem Nadelwaldboden und Wurzelteppichen sollte also der Kampf über den begehrten DM-Titel ausgetragen werden. Mein Teamkollege und der erste Deutsche Meister im Enduro 2014, André Wagenknecht, konnte wegen einer Krankheit leider seinen Titel nicht verteidigen und so zog ich dieses Wochenende alleine los, um die Flaggen des Cube Action Teams hoch zu halten.
Ich trainierte samstags akribisch auf den Strecken, fuhr manche Sektionen gar dreimal ab, um die Fehler für die Rennläufe auszumerzen. Nach einem Prolog in der Altstadt von Altenau, welcher jedoch nicht in die Wertung der DM einfloss, gab ich mich der Studie meiner Helmkamera-Videos hin, um mir auch den letzten Meter der Strecke noch einzuprägen und die perfekte Linie zu finden.
Abwechslungsreiche Strecke und zehn Stages
Am Sonntag fiel der Startschuss bereits um 8:30 Uhr morgens direkt vor Stage eins. Warmfahren war also nicht angesagt, aber wenigstens schüttelte es auf den zu bewältigenden Treppen den letzten Sand aus den Augen. Ich fühlte mich den ganzen Tag über gut, baute auf keiner der Stages größere Fehler ein und fand eine Art Flow. Die abwechslungsreichen Stages bereiteten mir richtig Spaß: enge Hangquerungen an der Okertalsperre, Anliegerkurven und kleine Sprünge im Bikepark ließen keine Wünsche offen. Aber das böse Erwachen kam bei der Transponder-Abgabe, als mir bei einer Fahrzeit von 13 Minuten doch tatsächlich 40 Sekunden Rückstand auf den Führenden Fabian Scholz offenbart wurden. Ein mir bekanntes Rennfahrer-Phänomen brachte mich beim genauen betrachten der Ergebnisliste zur Verzweiflung. An manchen Wochenenden fühlt man sich absolut gut, kann keine Fehler erkennen, aber ist einfach nur langsam.
Focus räumt komplettes Podium ab
Aber wieso sollte es in der Beziehung zum Radsport anders sein als in anderen Beziehungen. Gefühle können nun einmal täuschen. So sehr ich mir auch den Kopf zerbreche, ich wüsste nicht woran mein Zeitrückstand gelegen hätte. Vielleicht bremste mich eine seit Wochen angeknackste Rippe etwas, aber manchmal muss man sich schlicht und ergreifend eingestehen, dass die anderen an diesem Wochenende besser waren. Das Team Focus hat im Harz eindrucksvoll seine Stärke bewiesen und durch Fabian Scholz nicht nur den Deutschen Meister gestellt, sondern mit den Gebrüdern Reiser auch das restliche Podium besetzt. Ich reihte mich zeitgleich mit Leo Putzlecher auf Rang 7/8 ein. Die nur sekundengenaue Zeitmessung ließ leider keine genauere Ermittlung der Zeiten zu und so mussten sich viele Sportler ihre Platzierungen mit einem Konkurrenten teilen, was die beeindruckende Leistung von Fabian Scholz aber nicht in Frage stellt. Dennoch, bei einer Deutschen Meisterschaft könnte man eine genauere Messung erwarten. Nach der Siegerehrung und Preisgeldverteilung sattelte ich meinen alten Bus wieder für fünf Stunden Heimfahrt quer durch die Republik. Nicht ganz zufrieden, aber einsichtig fuhr ich also am Sonntagabend über die Autobahn und hatte dabei genügend Zeit, mir Gedanken zu machen, was wohl meinen Zeitrückstand auslöste. Aber ich weiß es bis heute nicht.

Markus Nothrof Das Damen-Podium: Siegerin Franziska Meyer, die Zweite Ines Thoma und Chiara Eberle.
Alle Ergebnisse der Deutschen Meisterschaft Enduro 2015 in Altenau
Zur Person: Ludwig Döhl (25)
Der ehemalige BIKE-Junior-Teamfahrer hat 2011 vom Cross-Country- ins Enduro-Lager zum Cube Action Team gewechselt und zählte schnell zu Deutschlands besten Enduro-Piloten. International hat er noch nichts gerissen, doch das kann sich ändern. Wir wissen: Döhl ist fit und enorm ehrgeizig. Er will 2015 bei vielen Rennen starten. Ludwig kennt die Szene und berichtet in seinem Race-Blog, was sich im Enduro-Fahrerlager tut.
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