Florentin Vesenbeckh
· 13.11.2019
Bestehen E-MTBs im Dauereinsatz? Oder ist die Elektronik zu empfindlich? Und sind die hohen Antriebskräfte zu brachial? Die Schwachpunkte der E-MTBs ...
Kaum eine Frage wird so kontrovers diskutiert wie die nach der Dauerhaltbarkeit von E-Mountainbikes. Immer wieder erreichen uns Leser-Mails, die von abrauchenden Motoren, erloschenen Akkus, reihenweise gerissenen Ketten oder im Zeitraffer verschlissenen Ritzeln berichten. Im Gegensatz dazu steht das Ergebnis unserer Online-Um aus 2019. 80 Prozent der Teilnehmer geben an, mit der Haltbarkeit ihres E-MTBs zufrieden zu sein. Tenor: Der Verschleiß sei dem Einsatzbereich angemessen. Ein sehr positives Ergebnis, mit dem wir so nicht gerechnet hätten. Nicht, weil wir E-Mountainbikes für übermäßig anfällig halten. Eher, weil wir dachten, dass die Psyche vielen E-Bikern einen Streich spielt.
"Subjektiv ist der Verschleiß an allen Komponenten extrem hoch", sagt dazu E-MTB-Konstrukteur Lutz Scheffer. "Das liegt aber primär daran, dass Biker mit E-Motor viel mehr fahren, insbesondere mehr Höhenmeter und materialfordernde Trail-Kilometer." Scheffer selbst kommt auf rund 100.000 E-MTB-Höhenmeter pro Jahr – er weiß also, wovon er spricht. Noch drastischer macht sich der Unterschied für Händler und Hersteller bemerkbar, denn dank Motorunterstützung kommen völlig neue Käufergruppen in extremes Gelände. "Früher war das Mountainbike ein reines Sportgerät, da waren kaum schwergewichtige Personen in den Bergen unterwegs. Die Belastung auf die Bikes und Komponenten steigt nicht nur durch das höhere Eigengewicht der Räder, sondern vor allem durch schwerere Fahrer", sagt dazu der Fahrrad-Sachverständige Dirk Zedler. Im Klartext: Häufiger als normale MTBs müssen E-MTBs auch mal 100-Kilo-Fahrer sicher steilste Berge runterbringen. Und auch Pendler, die täglich viele Höhenmeter bei Wind und Wetter vernichten, wollen dauerhaft glücklich gemacht werden.
In diesem Dauertest haben wir die neuralgischen Schwachstellen der E-MTBs untersucht und Tipps für anhaltenden Fahrspaß gesammelt.
PROBLEMZONE SCHALTUNG
Ritzel und Kette sind die klassischen Verschleißteile am Fahrrad, natürlich auch am E-Mountainbike. Mit Motor ist die Belastung deutlich höher. Die Motorpower verleiht jedem Hobby-Biker einen Antritt wie Cross-Country-Held Nino Schurter, das macht Kette, Ritzeln und Kettenblättern zu schaffen. "Das Kettenleiden und Zahnkranzschmelzen ist schon ein riesen Thema bei E-Mountainbikes", bestätigt auch Dipl.-Ing. Dirk Zedler. Neben dem Power-Plus gibt es weitere Knackpunkte. Der Motor schiebt weniger gefühlvoll an, als es erfahrene Biker tun können. Schaltvorgänge finden dadurch häufig unter Volllast statt. Außerdem läuft der Motor nach, gibt also noch etwas weiter Gas, wenn die Kurbeln schon stillstehen. Das führt dazu, dass Kettenklemmer oder Stöcke im Antriebsstrang bei E-MTBs schneller Ausfälle wie abgerissene Schaltwerke oder Kettenrisse nach sich ziehen.
"Ich habe deshalb immer ein Stück Kette und ein Kettenschloss dabei", sagt Vielfahrer Lutz Scheffer. Außerdem rät er zu Kassetten mit Stahlritzeln. "Alu-Ritzel haben am E-MTB nur ein kurzes Leben. Hier gilt also: billiger ist besser." Auch die einzige explizite E-MTB-Schaltung, Srams EX1, setzt aus diesem Grund auf eine Kassette mit acht Stahlritzeln. "Das hat sich leider am Markt nicht richtig etabliert", sagt Zedler und appelliert an E-Biker, bei der Auswahl ihrer Bikes und Komponenten genau auf ihre Bedürfnisse zu schauen. Vielfahrer sollten in Haltbarkeit investieren. Ein Spezialfall sind übrigens Bosch-Antriebe. "Das superkleine Antriebszahnrad belastet die Kette extrem, ein wahrer Kettenfresser", sagt Zedler. Nach rund 1000 Kilometern sei spätestens Schluss.
T I P P S
PROBLEMZONE MOTOR
Das Herzstück jedes E-MTBs ist der Motor. Im Geländeeinsatz liegt er bedrohlich exponiert. Spritzwasser, tiefe Pfützen oder Bäche haben genauso freie Bahn wie Steine, Felsen und Wurzelteppiche. "Die Motoren selbst sind erstaunlich hart im Nehmen", beruhigt Konstrukteur Scheffer zwar. Das heißt aber nicht, dass Biker ihrem Gefährt alles bedenkenlos zumuten sollten. Denn eine klare Schwachstelle gibt es: die Dichtung an der Tretlagerwelle. Bauartbedingt kann diese nie vollkommen wasserdicht sein. Spritzwasser und Dreck an sich stellen erst mal kein Problem dar. Der Knackpunkt ist die Reinigung. Wer mit hohem Wasserdruck arbeitet, kann Dreck an der Dichtung vorbei ins Innere des Motors spülen. Bosch-Performance-CX-Motoren waren vermehrt von dieser Problematik betroffen – das Getriebe lief rau, setzte sich fest oder rostete. Der Motoren-Gigant hat inzwischen nachgebessert.
"Auffällig ist: City- und Trekking-E-Bikes haben nahezu keine Probleme mit Antriebsschäden. Im Mountainbike-Bereich hört man es immer wieder. Da liegt der Verdacht nahe, dass das ganz klar mit dem Thema Reinigung zusammenhängt", sagt Zedler und nimmt die Verbraucher in die Pflicht. Dampfstrahler sind am E-MTB absolut tabu. Im Tretlagerbereich ist man mit einem Eimer Wasser, Schwamm und abbaubarem Spülmittel auf der sicheren Seite.
PROBLEMZONE BREMSEN
"Eigentlich ist es Wahnsinn, mit welch dünnen Bremsscheiben E-Mountainbikes ausgerüstet sind." Mit diesen Worten eröffnet der Fahrrad-Sachverständige Dirk Zedler sein Plädoyer für mehr Haltbarkeit bei E-MTB-Bremsen. "Wenn du wachsam bist und regelmäßig wechselst, ist das zwar meist kein großes Problem", sagt er weiter. "Aber die Kosten und der Aufwand sind immens." Das müsse nicht sein, denn mit geringem Mehraufwand seien stabilere und haltbarere Bremsscheiben für E-MTBs umsetzbar. Das geringe Mehrgewicht falle bei ohnehin schwereren E-Bikes kaum auf. In dieselbe Richtung geht die Forderung von Scheffer: "Für die E-MTB-Zukunft wünsche ich mir größere Bremsscheiben. 220 Millimeter am Vorderrad, 200 hinten. Und nicht zu dünn." Beide Vorschläge hätten den positiven Nebeneffekt, dass sich Bremsleistung und Standfestigkeit verbessern. Auf dem Nachrüstmarkt gibt es bereits Produkte, die diese Anforderungen erfüllen, allerdings muss man danach lange suchen. Bike-Hersteller setzen bisher auf gängige Serienprodukte.
Ein Negativbeispiel stellen Shimanos Ice-Tech-Scheiben (Leicht-Version, es gibt auch Shimano-Scheiben aus Stahl) dar, die auf einer Alu-/Stahl-Sandwich-Bauweise basieren. Praxiserfahrungen mit dem E-MTB sowie die Tests unseres Schwestermagazins BIKE haben gezeigt, dass diese Alu-Bremsscheiben für extremen Einsatz ungeeignet sind. Außerdem haben die Prüfstandtests im BIKE-Labor belegt, dass die eher dünnen Bremsscheiben von Sram (1,85 mm) und Shimano (1,75 mm) deutlich früher den Geist aufgeben als die dickeren Modelle z. B. von Magura (1,95 mm) oder Trickstuff (2,05 mm). Auch beim Thema Bremsen gilt: Schätzen Sie Ihre persönlichen Anforderungen realistisch ein. Schwere Fahrer, die viel in den Bergen fahren, sollten genauso auf robustes Material achten wie Personen, die mit schwerem Gepäck unterwegs sind oder täglich viele Höhenmeter vernichten. Wer sein E-MTB analog zum normalen Bike im flachen Gelände eher gelegentlich nutzt, wird von der Problematik weniger betroffen sein.
T I P P S