Markus Greber
· 07.03.2018
Ausgezeichnete Preis-Leistung, dafür Abstriche beim Service: Das sind die Licht- und Schattenseiten der Versender. Jetzt startet Canyon mit seinem ersten E-MTB durch. Ob das gutgeht? Wir hakten nach.
Lange hat die Bike-Branche auf den E-MTB-Einstieg des Versender-Riesen Canyon gewartet – mit dem Spectral On ist das Erstlingswerk aus Koblenz ab sofort verfügbar. Wir haben mit Canyon-Gründer und Geschäftsführer Roman Arnold über Chancen und Risiken des E-Einstiegs gesprochen. Wie geht Canyon mit dem heiklen Thema Service um?
BIKE: Canyon bringt 2018 sein erstes E-MTB auf den Markt. Die Konkurrenz von Specialized und Co. war ein paar Jahre früher dran. Hat man in Koblenz das Potenzial des E-MTBs unterschätzt?
Roman Arnold: Bis vor kurzem waren die E-Antriebe noch nicht geeignet für das, was wir uns unter pure cycling vorstellen. Stichwort Geometrie, der Zwang zu langen Kettenstreben, Q-Faktor oder die innere Reibung und damit praktisch die physische Limitierung auf 25 km/h. Einfach nur auf einen Trend aufspringen, das ist nicht Canyon.
Canyon steht für pure cycling. Wie passt die elektrische Unterstützung in diese Philosophie?
Unser E-MTB ist ein fahrerorientiertes Bike. Wir haben sehr viel Wert gelegt auf die Geometrie, das Handling, den Nutzwert und das Gewicht, sodass beim Spectral On das MTB-typische Fahrgefühl nicht verloren geht. Auf unserem Bike ist man Pilot, nicht Passagier. Der Antrieb erhöht den Spaßfaktor, lockt neue Kunden in den Sport und ermöglicht unterschiedlich gut trainierten Menschen, gemeinsam Spaß auf dem Bike zu haben. Das passt voll zu pure cycling!
Das Spectral On ist auf den ersten Blick wenig spektakulär. Der Antrieb stammt aus dem Seriensortiment von Shimano, man findet kaum überraschende Details, kein Carbon, keine Batterie-Integration. Bei Rennrädern und Mountainbikes ist Canyon aber ganz vorne, wenn es um Innovationen geht. Wie erklärt sich das?
Innovation ist dann toll, wenn sie dem Kunden nutzt. Man muss das Spectral On fahren, um die Vorteile zu spüren. Bei allen Details stand der Kunde im Fokus: Der Shimano-Antrieb ist zur Zeit die beste Wahl für sportliche Biker. Das Laufradkonzept mit 29 Zoll vorne hat spürbare Vorteile im Gelände, lenkt präziser, das breite Hinterrad schützt vor Pannen und liefert maximale Traktion. Der semiintegrierte Akku lässt sich einfacher laden und wechseln als ein vollintegrierter, das Rahmengewicht ist dadurch geringer und die Konstruktion lässt auch Rahmengröße XS zu. Das geht bei integrierten Batterien nur schwer! Mit dem kompakten Ersatzakku von Shimano im Rucksack verdoppelt man einfach die Reichweite – und eine zu geringe Reichweite ist beim E-MTB doch der große Spaßkiller! Wovon jeder Kunde profitiert, sind kurze Kurbeln, starke Bremsen, stabile Laufräder und Reifen, unser einzigartiger E-Bike-Sattel und es passt eine Flasche in den Rahmen. Nicht zuletzt ermöglicht die Geometrie-Verstellung die perfekte Feinabstimmung aufs Gelände. Außerdem ist das Spectral On bis zu zwei Kilo leichter als der Wettbewerb - das Gewicht spielt beim sportlichen E-Biken sehr wohl eine große Rolle!
E-MTBs sind vom Gewicht und Handling kaum mit herkömmlichen Bikes zu vergleichen. Die Akkus sind Gefahrgut, die besonders pfleglichen Umgang erfordern. Auf Flugreisen sind Batterien sogar tabu. Das dürfte Canyon als Direktversender vor große Herausforderungen stellen. Wie ist hier die Marschrichtung?
Uns ist klar, dass wir ohne einen darauf abgestimmten Kundenservice keine E-Bikes verkaufen können. Auch das hat in der Entwicklung die Zeit gebraucht, von der wir eingangs gesprochen haben. Jetzt sind wir sehr gut vorbereitet. Wir arbeiten mit einem internationalen Logistikdienstleister zusammen, der für uns das E-Bike-Handling bis hin zu Akku-Transporten zuverlässig abwickelt. Zudem haben wir einen patentierten E-Bikeguard-Transportkarton entwickelt, damit das Bike perfekt beim Kunden ankommt. Das bietet sonst niemand!
Auch Service- und Wartungsarbeiten abzuwickeln, dürfte beim E-MTB auf dem Postweg ungleich aufwändiger sein als bei rein muskelbetriebenen Bikes. Die eine oder andere Fehlermeldung ist ja keine Seltenheit. Gibt es hier auch ein Konzept?
In unseren Callcentern und Service-Werkstätten in den relevanten Ländern gibt es Berater und Spezialisten für Fragen rund um das E-Bike. Zudem möchten wir den Kunden zu diesen Themen von Anfang an auf unserer Website informieren. Auch Probefahrten sind zusätzlich zu unserem Showroom in Koblenz auf zahlreichen Events möglich. Relativ zeitnah bieten wir dem Kunden einen mobilen Service und stationäre Kontaktpunkte in seiner Nähe an. Übrigens: In der Entwicklungsphase haben wir das Shimano-System generell als unproblematisch empfunden.
Das Spectral On ist ja sicher nur der Anfang einer größeren Produktpalette an E-MTBs aus Koblenz. Darf man in Zukunft elektrische Neurons, Torques oder Strives erwarten?
Für Canyon ist das E-MTB eine weitere Variante des Mountainbikes. Wir glauben, dass es unterschiedliche Einsatzbereiche und Ansprüche an ein E-MTB gibt und werden passend dazu sehr bald weitere Modelle anbieten.
Shimano, Bosch, Brose – von den großen Motorenherstellern darf man in Zukunft einiges erwarten. Auch Systeme von TQ und Fazua sind vielversprechend. Gibt es Canyon E-MTBs in Zukunft nur mit Shimano oder ist man bei der Wahl des Antriebs offen?
Die Entscheidung für einen bestimmten Antrieb ist abhängig vom Einsatzbereich. Aktuell hat jeder seine Vor- und Nachteile, je nachdem was man verlangt. Wir wählen generell den zum Konzept am besten passenden Antrieb.
Wie stehst du zu Minimal-Assist-Antrieben, zum Beispiel der Antrieb von Fazua?
Im Thema minimal assist steckt durchaus Potenzial, besonders in den Kategorien Road und XC-MTB. Welches Fahrerlebnis man daraus entwickeln kann, hängt vom Antrieb ab. Da werden wir sicher noch einige neue Konzepte sehen.
Canyon engagiert sich stark im Wettkampf. Das Canyon Factory Enduro Team gehört zu den besten der Welt. Die Enduro World Series bietet demnächst eine E-MTB-Wertung. Wird sich Canyon in E-MTB-Wettkampfdisziplinen engagieren?
Wir beobachten, was hier passiert und haben durch unser Team sicher Möglichkeiten, aktiv zu werden. Derzeit ist aber nicht absehbar, in welche Richtung die Entwicklung geht. Rennserie und Hersteller müssten sich an einen Tisch setzen und ein schlüssiges Konzept entwickeln.
Roman, dein Herz schlägt für den Radsport. Würdest du persönlich ein unterstütztes Rennrad oder ein unterstütztes MTB fahren?
Natürlich bin ich bereits seit einer Weile auf unserem E-MTB-Prototypen unterwegs. Ich muss sagen, das ist pure cycling und auch ein unterstütztes Rennrad passt voll zu Canyon.
Welchen Marktanteil an der Produktpalette von Canyon prognostizierst du dem E-MTB in fünf Jahren?
Das kann ich heute noch nicht beantworten. Klar ist für mich aber, dass ein Canyon immer die beste pure cycling experience bieten wird. Wir sind überzeugt, dass das nicht-motorisierte Fahrrad Zukunft hat. Ein E-Bike ist eine schöne Ergänzung, es wird das rein muskelbetriebene Naturerlebnis niemals völlig ersetzen. Durch Skilifte sind Skitourengeher auch nicht ausgestorben!
Roman Arnold, wir bedanken uns für das Gespräch.
Wir konnten das Canyon Spectral On bereits ausführlich in Labor und Praxis testen, die Ergebnisse gibt´s in EMTB 1/2018, ab 13.3. im Handel. Eines vorweg: Neben dem Versender-typischen Preis-Leistungsverhältnis bringt das Spectral On auch auf dem Trail außergewöhnliche Eigenschaften mit und setzt in manchen Bereichen neue Maßstäbe.