Ludwig Döhl
· 05.12.2017
Trailbikes sind die Kassenschlager unter den MTB-Fullys, aber eine genaue Definition des Einsatzbereichs wagt kein Bike-Hersteller. Sieben Trailbikes und zwei All Mountains bis 3000 Euro im Test.
Warum rotieren die Flossen von Kuhfischen wie Propeller? Selbst derlei Spezialwissen beantwortet das Internet innerhalb von Sekundenbruchteilen. Doch bei einer Frage schweigen selbst Google, Wikipedia und Co. ratlos: Was zur Hölle sind eigentlich diese Trailbikes?
Es ist mal wieder typisch: Jeder spricht vom Hype um die „geilen, neuen Trailbikes“, aber eine genaue Definition bleibt die Industrie schuldig. Was in einem Katalog als Trailbike beschrieben wird, ist bei anderen Herstellern schon ein Enduro-Bike. Selbst nach ausgiebiger Recherche lässt sich die Kategorie nur wage zwischen Enduro- und Marathon-Fully einordnen – zwischen potenten Abfahrts-Bikes mit 160 bis 170 Millimetern Federweg und Rennfeilen mit straffen 100 Millimeter-Fahrwerken also. Aber sind dort nicht eigentlich die All Mountains angesiedelt?
Das stimmt, aber durch die immer feineren Abstufungen in den Produktpaletten der Hersteller wurden die All Mountains, bisher auch als Tourenfullys bekannt, ehemals in zwei Kategorien aufgespalten: All Mountain Plus zielt mit Federwegen bis 150 Millimeter auf Biker ab, die auf Touren vor allem bergab Spaß haben wollen. All Mountain Sport bediente mit etwas weniger Federweg Biker, die lediglich nach etwas mehr Komfort auf längeren Touren suchen. Was bis vor zwei Jahren noch unter All Mountain Sport lief, heißt jetzt eben Trailbike. Warum? Erstens, weil der Name All Mountain Sport eher nach einem SUV in Graumetallic klingt. Und zweitens, weil sich die Anforderungen an diese Klasse geändert haben. Denn die Trailbikes mit 110 bis 130 Millimeter Federweg sollen heutzutage weit mehr können, als Tourenfahrer nur mit etwas Komfort zu verwöhnen.
Beim ersten Schlagabtausch unserer acht Testbikes wird sofort klar, wohin die Reise geht. Teleskopstützen, breite Lenker und dicke Reifen sollen neben Komfort auf langen Touren auch für Spaß in der Abfahrt sorgen. Außer der Tatsache, dass für rund 3000 Euro alle Rahmen aus Aluminium sind, gibt es ansonsten nur wenige Gemeinsamkeiten im Testfeld. Fünf Bikes erklimmen mit einem Zweifach-Antrieb und mächtig Bandbreite selbst steilste Anstiege, während Scott, Transalp, Kona und Commencal mit nur einem Kettenblatt nach strammeren Waden verlangen. Denn Srams neue 12-fach-Technologie ist in dieser Preisklasse noch nicht verfügbar, man muss also mit 11 Gängen auskommen.
Auch bei den Laufrädern gehen die Meinungen der Hersteller zum Idealmaß für Trailbikes auseinander. In unserem Testfeld finden sich fast so viele 27,5-Zoll-Laufräder wie 29er. Bikes mit 2,6 bis 3,0 Zoll breiten Plusreifen wollte uns dagegen kein Hersteller zum Vergleich schicken. Dass Stevens und Commencal das durchschnittliche Gewicht der Testgruppe auf 13,5 Kilo (ohne Pedale) nach oben treiben würden, war bereits bei der Bestellung klar. Die beiden abfahrtsorientierteren Bikes sollten den Vergleich zwischen Trail- und All-Mountain-Bikes illustrieren. Das Commencal mit 140 Millimetern Federweg geht dabei als Grenzgänger zwischen diesen Kategorien ins Rennen. Das Stevens mit 150 Millimetern Federweg fordert die Trailbikes als waschechtes All Mountain heraus. Die Gretchenfrage lautet: Lohnt sich das Mehrgewicht, das der etwas üppigere Federweg mit sich bringt? Oder machen die potenten Trailbikes die Kategorie der All Mountains überflüssig?
Im ersten Anstieg wird der Unterschied zwischen den beiden Kategorien sofort klar. Mit sportlichen Bikes wie Scott oder Transalp ist der eigene Vorwärtsdrang kaum zu bremsen. Antriebsneutrale Fahrwerke und geringes Gewicht machen den Gipfelsturm zum Vergnügen. Mit den beiden All Mountains hat man auf dem Weg zum Trail-Einstieg deutlich mehr Arbeit. Mit 14,8 Kilo ist das Stevens 1,5 Kilo schwerer als das Canyon, das leichteste Bike der Testgruppe. Die etwas aufrechteren Sitzpositionen am Commencal und Stevens verleiten bergauf eher zum Bummeln. Zumindest im Anstieg bleiben die Bikes ihren Rollen gerecht. Bergab überrascht ein Bike dafür umso mehr…
Unsere Teststrecke windet sich zwischen dicht stehenden Fichten zirka 160 Höhenmeter ins Tal. Querwurzeln, kleine Anlieger und steile Geländekanten verlangen den Bikes einiges ab. Zumindest den Trailbikes. Für die beiden All Mountains ist die Herausforderung deutlich kleiner. Lässig spurt man mit Stevens und Commencal durch den lockeren Waldboden und nutzt so manche Geländekante sogar als Absprung. Das Plus an Federweg gibt dem Fahrer so viel mehr Sicherheit auf dem Trail, da können selbst Scott, Canyon, Kona, Bergamont und Radon mit ihren 29-Zoll-Laufrädern nicht mithalten. Das Radon Skeen Trail hat zwar eine stimmige Geometrie, die günstigen und vor allem zu schmalen Reifen bauen im Singletrail aber nur wenig Grip auf. Außerdem schlug der Hinterbau an unserem Testbike beim vollen Einfedern am Sitzrohr an – laut Hersteller ein Einzelfall (siehe Seite 2). Lediglich das Transalp Signature lässt sich mit seinem hochwertigen Fahrwerk, griffigen 2,4er-Reifen und gelungener Geometrie nicht von den All Mountains abschütteln. Das Bike liefert zwar nicht mal 130 Millimeter Federweg, wieselt aber so flink durch die Singletrails wie ein Kuhfisch durch den Pazifik. In den verwinkelten Abschnitten fährt es sogar deutlich aktiver als die etwas behäbigen Bikes mit mehr Federweg. Das Transalp bricht mit den Hierarchien zwischen den Kategorien und räumt mit makelloser Leistung in Anstieg und Singletrail einen unangefochtenen Testsieg ab. Übrigens, zu kaufen gibt es den Testsieger ausschließlich im Internet. Nur mal bei Google eingeben. Die richtige Adresse spuckt das Internet garantiert in Sekunden aus.
Fazit von Ludwig Döhl BIKE-Redakteur:
Früher "All Mountain Sport", jetzt "Trailbike". Auch wenn sich die Mountainbikes dieser Kategorie nun abfahrtslastiger geben, können sie bergab nicht ganz mit den langhubigeren All Mountains mithalten. Lediglich das Transalp schafft es, mit weniger Federweg im Singletrail voll zu überzeugen. Bergauf setzen Scott und Canyon die Benchmark. Beide Bike-Kategorien haben nach wie vor ihre Berechtigung.
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Problem beim Test:
Aluminiumrahmen haben gewisse Toleranzen in der Fertigung. An unserem Testbike Radon Skeen führte das zu Problemen am Hinterbau. Radon besserte mit einem neuen Bike nach.
An unserem Radon Skeen 29-Testbike schlug beim vollen Einfedern der Hinterbau am Sitzrohr an (oben). Nach Rücksprache stellte uns der Hersteller ein anderes Testbike ohne diesen Mangel zur Verfügung (unten). Radon versicherte uns, dass es sich hierbei um einen Einzelfall handelt. Auch eine ausführliche Recherche in diversen Online-Foren und bei Radon-Kunden gab keinen Hinweis auf ein Serienproblem. Für das Anschlagen des Hinterbaus am eigentlichen Testbike gab es in der Kategorie Qualität/Verarbeitung Punktabzug. Jenseits dieses Mangels lieferte auch das erste Testbike auf dem Trail eine sehr gute Leistung ab.
Lars Wiegand, Radon Bikes: "Wir haben das Skeen Trail oft verkauft und alle Kunden sind damit glücklich. Die Sache mit dem Hinterbau am Testbike war ein absoluter Einzelfall, den wir so bisher noch nicht hatten. In so einem Fall bessern wir natürlich nach."
DETAILS AN DEN TESTBIKES
Die Unterschiede zwischen den einzelnen MTB-Modellen sind oft sehr gering, weshalb sich auch ein Blick auf die Details lohnt.
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