Tobias Brehler
· 25.05.2017
Rocky Mountain baut in das Trailbike Altitude einen eigenen Motor ein – erhält die Geometrie sowie die Drehpunkte. Ein identisches Fahrverhalten bescheinigen die Kanadier dem neuen E-MTB. Stimmt das?
Lange Zeit munkelten Insider, jetzt lässt Rocky Mountain die Katze aus dem Sack: Mit dem Altitude Powerplay stellen die Kanadier ihr erstes E-Mountainbike vor. Um die gleiche Geometrie wie beim „normalen“ Rocky Mountain Altitude hinzubekommen, bauten die Entwickler einen eigenen Motor. Dieser soll mit den besten E-Antrieben am Markt mithalten können.
Die Eckdaten klingen vielversprechend: 160 mm lange Federgabeln dämpfen mit dem 150-Millimeter-Hinterbau die Schläge, den Bodenkontakt halten 27,5 Zoll Laufräder mit Pneus in der 2,5er Wide Trail-Breite. Diese Reifen sollen den Grip und Komfort von Plusreifen mit der Direktheit normaler MTB-Reifen vereinen. Der Hauptrahmen ist bei allen Modellen aus Carbon, der Hinterbau besteht nur beim Topmodell aus Kohlefaser. Im Unterrohr versteckt sich beim günstigsten Modell ein 500 Wh-Akku. Die beiden anderen Modelle des neuen Rocky Mountain Altitude Powerplay verfügen über einen üppigen 632 Wh-Akku.
Für ein hohes Drehmoment und eine geringe Geräuschentwicklung treibt ein bürstenloser Drei-Phasen-Motor das E-Bike an. Der an einem Arm montierte Drehmomentsensor registriert die höhere Kettenspannung und erhöht den Motor-Output. Für kurze Ladezeiten setzt Rocky Mountain auf ein 48-Volt-Netz. So können 80 Prozent vom 632er-Akku in nur zwei Stunden geladen werden. Außerdem befindet sich ein herkömmliches Tretlager im Rahmen. Das erleichtert den Service und man kann „normale“ Race Face-Kurbeln fahren, denn den Kurbel-Freilauf flanscht man per Cinch-Standard an die Kurbel.
Das Bedienelement des Rocky-Antriebs gibt sich minimalistisch: Neben den klassischen Funktionen On/Off sowie mehr/weniger Unterstützung zeigen LEDs den Akkuladezustand sowie den gewählten Modus an. Die drei Modi unterstützen serienmäßig mit 40, 60 und 100 Prozent der maximalen Motorleistung. Diese Parameter können per App verändert werden. Außerdem ermittelt die App einen Reichweite-Radius und verfügt über viele weitere Möglichkeiten.
Das neue E-MTB bietet Rocky Mountain in den vier Größen S, M, L und XL an. Je nach Rahmengröße ändert sich auch das Fahrwerks-Setup, um für bestmögliche Performance zu sorgen. Außerdem kann man die Geometrie per Ride 9-Chip verstellen. Die Eckdaten sind identisch zu denen des kürzlich vorgestellten Altitude: Der flache Lenkwinkel (65 bis 66,1 Grad) und der lange Reach (in L 452 bis 464 Millimeter) versprechen Laufruhe, die sehr kurzen 425er-Kettenstreben sollen für ein agiles Handling sorgen.
Alle Modelle des neuen E-MTBs verfügen über die Sram Guide RE-Bremse mit Code-Sattel und 200er-Scheiben. Ebenfalls E-Bike spezifisch ist der Sram EX1-Antrieb mit acht Gängen und riesiger Bandbreite. Auch dabei: Eine Vario-Sattelstütze. Den Bodenkontakt halten bei allen Versionen griffige Maxxis DHF-Reifen.
Das Topmodell Altitude Powerplay Carbon 90 kommt mit edlem Fox Factory-Fahrwerk mit Kashima-Beschichtung. Sämtliche Anbauteile stammen von Race Face und sind aus Kohlefaser. Es soll 21,6 Kilo auf die Waage bringen und steht für heftige 9700 Euro beim Händler.
Das Powerplay Carbon 70 hat für 7000 Euro bereits den großen 632 Wh-Akku und verfügt über ein Fox Performance-Fahrwerk. Dieses Modell soll 22,3 Kilogramm wiegen.
Den Einstieg macht das Altitude Powerplay Carbon 50 für 6000 Euro. Hier dämpft ein Rock Shox-Fahrwerk bestehend aus Yari-Gabel und Deluxe-Dämpfer die Schläge. Im günstigsten Modell steht nur ein 500 Wh-Akku zur Verfügung. Das Gewicht beträgt laut Hersteller ebenfalls 22,3 Kilo.
Die Geometrie überzeugt nicht nur auf dem Papier, sondern auch auf dem Trail: Aufsitzen, wohlfühlen. Der Reach ist modern lang, dank steilem Sitzwinkel mutiert das Bike jedoch nicht zur Streckbank. Auf dem Weg zum Trail hören wir das Summen der Reifen – der Motor dagegen arbeitet nahezu geräuschlos. Leider rasselt die Kette – je nach gewähltem Gang und Schräglauf – leise durch die Kettenführung. Wer sensible Füße hat, spürt unter getretener Volllast minimale Vibrationen. Je nach Pedal-Schuh-Kombination fällt das nicht auf.
Als wir in den Trail biegen, überrascht uns das sensible Fahrwerk. Alle Schläge werden weggebügelt, man schwebt förmlich über den Trail. Bergauf generiert der Hinterbau viel Traktion und trotz der kurzen Kettenstreben steigt die Front nicht. Das liegt unter anderem am sensiblen Motor, der selbst im Turbo-Modus gut kontrollierbar ist. Die Unterstützung setzt sehr sanft ein und aus. Auch hilfreich: Die große Bandbreite der EX1-Kassette und die griffigen Maxxis DHF-Pneus.
Neigt sich der Trail talwärts, schlägt die Stunde des Altitude Powerplay. Das Fahrwerk arbeitet souverän und Staubsauger-like, könnte aggresiven Fahrern jedoch etwas mehr Druckstufe bieten. Das Handling überzeugt mit seiner Ausgewogenheit und lädt zum Spielen ein – so agil fahren nur wenige andere E-Mountainbikes auf dem Markt. Auch bei Highspeed liegt das Rocky Mountain Altitude Powerplay satt auf dem Trail.
Ist das Rocky Mountain Altitude Powerplay wirklich noch ein E-Mountainbike? Klar, denn es hat einen Motor. Aber alles in allem kommt es sehr nahe ans „klassische“ Mountainbike heran, der Gewichtsnachteil bleibt aber spürbar. Dennoch: Derzeit kommt kein anderes E-MTB in Sachen Optik und Fahrverhalten näher an „normale“ Bikes heran als das Rocky. Es begeistert mit überragender Abfahrtspotenz und guten Klettereigenschaften – kombiniert mit einem großen Akku.
EMTB Magazin: E-Mountainbikes haben ein schlechtes Image in Nordamerika. Vergrault ihr mit der Vorstellung des Altitude Powerplay keine Kunden?
Alex Cogger: Zweifellos wird es im Internet kontroverse Diskussionen über das Powerplay geben. Es gibt bereits Konflikte bei der Trail-Nutzung mit E-Mountainbikes. Wir verstehen die Problematik. Die Situation in den USA ist kritisch, deshalb werden wir den hiesigen Markt nicht fluten, es sei denn die Nachfrage ist riesig.
Rocky Mountain ist der erste Bike-Hersteller, der einen eigenen Motor baut. Wie wollt ihr es schaffen, mit Bosch, Shimano und Co. mitzuhalten?
Klar, das ist schon eine große Herausforderung. Aber wir haben kompetente Unterstützung. Eine unserer Schwesterfirmen baut seit fünf Jahren urbane E-Bikes. Das Powerplay ist eine Kooperation zwischen deren Elektro- und unseren Maschinenbau-Ingenieuren.
Das Altitude Powerplay hat eine reine Mountainbike-Geometrie. Brauchen E-MTBs nicht spezielle Maße?
Was gut für die Gans ist, ist auch gut für den Gänserich. Wir wollten ein waschechtes Mountainbike bauen und mit dem Motor dem Fahrer nur die Beine verlängern. Das mit der Geometrie ist eine sehr individuelle Sache. Viel hängt davon ab, wie man ein Bike nutzt. Egal, ob mit oder ohne Motor.
Das Altitude wird es mit und ohne Motor geben. Werdet ihr diese Philosophie auch auf andere Modelle übertragen?
Jein. Wir werden nicht alle Plattformen elektrifizieren. Bei einigen klassischen Kategorien macht das einfach keinen Sinn. Wir sehen derzeit drei E-MTB-Zielgruppen: 1) Spaß-Biker – die wollen einfach mehr Trails fahren. Das ist die Zielgruppe des Altitude Powerplay. 2) Abenteurer – Leute, die neue Orte entdecken möchten, ohne in der Pampa zu enden. 3) Allrounder – die das E-Bike für den Arbeitsweg, im täglichen Leben sowie im Urlaub nutzen.
Wie viele neue Leute habt ihr für das Projekt eingestellt?
Wir haben drei neue Leute eingestellt: Tom Ferenc als Leiter der Entwicklungsabteilung. Er hat schon für McLaren und Bugatti gearbeitet. Philippe Champagne ist als Maschinenbauer der Firma beigetreten. Er kümmert sich um die elektromechanischen Schnittschnellen. James Mallion kümmert sich als Industrie-Designer um die perfekte Optik. Außerdem hat unsere Schwesterfirma den Elektroingenieur Benoit Cloutier beigesteuert.
In Europa ist das Thema Reichweite sehr bedeutend. Wie weit kommt man mit eurem Akku?
Wir haben sechs spannende Bikes der Konkurrenz gekauft und gegen unser Bike getestet. Im Endeffekt können wir sagen, dass wir mit der Konkurrenz mithalten oder sie übertrumpfen. Ein Bike hatte eine größere Reichweite als unseres, aber dafür war das restliche Konzept unstimmig. Jetzt verstaubt es in unserem Keller.
Alle schreien nach mehr Reichweite und mehr Akku-Kapazität. Was plant Rocky in Zukunft?
Alles, was ich dazu sagen kann, ist: Wir sind nicht angewiesen auf die Produktionszyklen eines Motorherstellers. Insofern können wir viel schneller auf neue Trends reagieren. Wenn es Lösungen für mehr Reichweite gibt, werden wir sie nutzen.
Wade Simmonds, der „Godfather of Freeriding“, vermarktet das Altitude Powerplay. Macht er das freiwillig?
Wade ist bereits vor Jahren ein E-MTB in Europa gefahren und seitdem ein großer Fan. Wir haben seine erste Reaktion auf das Altitude Powerplay gefilmt. Er sagte: 'Ich hatte in den letzten zwei Sekunden mehr Spaß als in den letzten fünf Jahren!'
Wo geht die E-Reise in den nächsten fünf Jahren hin?
Das ist die 10-Millionen-Euro-Frage! Ich glaube die Reise geht gerade erst los. Schlechte Bikes werden nach dem Darwinismus aussortiert. Viel Zeit und Geld wird in die Entwicklung fließen. Im Rennbereich ist die Entwicklung noch unklar. Meiner Meinung nach gibt es noch nicht das optimale Format. Bisherige Veranstaltungen dienen hauptsächlich den Herstellern, ihre Sachen zu vermarkten.