Laurin Lehner
· 06.11.2022
Jede Bike-Klasse hat ihre Vorzüge. Doch was, wenn man sich nur ein einziges Mountainbike zulegen will oder kann? Wir haben uns die Top-Bikes aus drei unterschiedlichen Kategorien geschnappt und den großen FREERIDE-Vergleich gewagt – und küren das (fast) perfekte Alleskönner-MTB.
„Das Vergleichen ist das Ende des Glücks und der Anfang der Unzufriedenheit“, sagte der dänische Philosoph Søren Kierkegaard vor 200 Jahren.
Recht hat er. Das gilt übrigens nicht nur bei Gehalt, Können, Haus und Urlaub, sondern auch bei Bikes.
Wir Tester sind versaut durch dekadent teure Bikes, die wir uns selbst niemals leisten könnten und wollten. Leichtes Gewicht kostet bekanntlich viel Geld.
Wir bekommen oft Zuschriften von Lesern, die sich darüber echauffieren. So schrieb uns Ralf K. per Mail: „Hört auf, das Gewicht immer so abzustrafen, ich fahr’ ein Bike mit 16,8 Kilo von 2014 und kann alles damit machen.“ Ralf mag Recht haben, und dass er damit Spaß hat, darauf kommt es an. Würden wir Ralf allerdings auf eins unserer Vorzeigeräder setzen, dann sind wir uns ziemlich sicher: Er würde nicht mehr tauschen wollen. Die Moral von der Geschichte: Wer noch nie ein modernes, potentes und leichtes Bike gefahren ist, sollte das auch nicht tun, sofern er es sich nicht leisten will.
Wir wagten den Vergleich und suchten uns drei mittelteure Vorzeigemodelle aus. Diese Bikes sollen exemplarisch für die jeweilige Bike-Kategorie stehen, sind aber von deren Preis, Gewicht und Fähigkeiten eher die Ausnahme, leider. Unser Fazit am Ende lässt nicht auf jedes Trail-, Trailduro- oder Enduro-Bike schließen.
Auch wenn wir einen klaren Klassensieger küren, mag das der ein oder andere anders sehen. Denn natürlich kommt es drauf an, was man mit seinem Bike anstellt. Wer gerne viel shuttelt, Uphills zum Trail-Einstieg gemütlich angeht und keine Kompromisse in der Abfahrt machen will, der liegt mit einem Enduro oder Freerider richtig.
Unsere Anforderungen an die Test-Bikes waren so breit wie möglich. So grübelten wir lange, was das „eine Bike für alles“ können muss und schließen damit auch auf Deine Bedürfnisse.
Am häufigsten sind wir auf unserer Hausrunde unterwegs: up & down, eher zahm, wenig
Höhenmeter. Im Sommer auf Berg-Touren, auf Abfahrten, wie in Freiburg mit Forststraßen-Uphills, und anspruchsvollen Trails bergab. Shuttle-Urlaube, wie in Latsch oder Finale Ligure, können wir an einer Hand abzählen und Bikepark-Besuche an drei Händen. Siehst Du Parallelen zu Deinen Bike-Aktivitäten? Dann kannst Du unser Urteil für bare Münze nehmen. Wir sagen: Das „eine Rad für alles“ ist keine Utopie, sondern Realität.
Eine Sache solltest Du nicht außer Acht lassen: Der Reifen ist das Bauteil am Rad, das am
wenigsten kompromissbereit ist und gleichzeitig den Charakter des Bikes am deutlichsten beeinflusst. Hier besteht Tuning-Potenzial.
Fast 70 Prozent von Euch geben in unserer Leserumfrage an, dass sie am häufigsten auf der Hausrunde unterwegs sind und auf Trails in der Nähe. Kein Wunder, schließlich will man sich nach der Arbeit nicht mehr ins Auto setzen, sondern direkt losfahren. Die meisten „Hometrails“ in Deutschland sind mit Uphills unter 250 Höhenmetern verbunden, oder sie wellen sich eher auf und ab und geizen mit Abfahrten – wie auf unserer Hausstrecke, den Isar-Trails in München.
Auf unserer Teststrecke waren sich schnell alle Tester einig: Vortrieb ist Trumpf! Trailbikes - wie das YT Izzo - sind hier das richtige Arbeitsgerät. Denn sie lassen sich durch das geringe Gewicht bei Erdkanten einfach in die Luft schießen, und der steilere Lenkwinkel verleiht dem Bike ein direktes Handling. Gewicht und schnell rollende Reifen sorgen zudem für viel Vortrieb, und genau das will man, wenn der Trail mit Höhenmetern geizt. Tipp: Für zahmen Untergrund raten wir zu schnell rollende Reifen hinten und zu etwas griffigeren Reifen vorne. Das verstärkt den Trailbike-Charakter deutlich und drückt das Gewicht.
Unser Trailduro Propain Hugene mit seinem leichten Gewicht schlägt sich ähnlich gut. Es tritt sich angenehm, und dank Plattformfunktion kann man das Heck auf welligen Trails mit mehr Druckstufe tunen – eine leichtere und schneller rollende Bereifung würde noch mehr Trailbike aus dem Propain kitzeln. Unser Enduro Nukeproof Mega 297 macht hier den letzten Platz. Das Gewicht, die flache Geo und die griffigen, aber schweren Reifen fühlen sich auf dem zahmen, sich dahinwellenden Trail übermotorisiert an. Wer beschleunigen will, braucht mehr Bums in den Beinen.
Wie erwartet gewinnt das Trailbike YT Izzo auf der zahmen Hausrunde. Überraschend nah dran war unser Trailduro von Propain. Das Nukeproof-Enduro wirkt besonders auf gewellten Trails übermotorisiert.
Für die Berg-Tour suchten wir uns eine Strecke aus, bei der wir unsere Bikes hochtreten und tragen mussten – denn auch das gehört zu Berg-Touren dazu. Die Abfahrt unserer Teststrecke hat alles, was ein guter Voralpen-Trail braucht: Wurzeln, losen Schotter, Steilabfahrten, wellige Passagen, Spitzkehren und kurze Uphills.
Auf dem Schotter-Uphill kommen zu Beginn alle gut zurecht mit ihren Test-Bikes. Selbst der Enduro-Pilot freut sich über die angenehm kompakte Geometrie und die effiziente Plattform im Dämpfer des Nukeproof Mega. Als wir Tester die Bikes allerdings durchwechseln, machen sich die Unterschiede bemerkbar. Natürlich spürt man die zwei Kilo Mehrgewicht des Nukeproof. Doch die Erkenntnis bestätigt uns, dass erst der Vergleich den Unterschied macht. Das YT Izzo und das Propain Hugene liegen nah beisammen, nicht nur vom Gewicht, sondern auch von der Antriebsneutralität und dem Komfort der Sitzposition. Auf der Tragepassage zählt nur das Gewicht, eh klar. Da verliert das Enduro, verschafft dem Träger dafür aber eine Extraportion Fitness.
Für die Abfahrt lassen wir Luft aus den Reifen – das machen wir bei den pannensicheren Reifen des Enduros deutlich entspannter, als bei der dünnen Bereifung des Trailbikes. Durchschlaggefahr! Egal ob langsame, technische Passagen oder schnelles Wurzelgeblocke: Unser Trailbike von YT mit seiner Trail-Bereifung und dem geringen Hub will präziser gesteuert werden und fordert mehr Fahrkönnen. Das Enduro Nukeproof Mega 297 bringt nichts aus der Ruhe: einfach draufhalten. Sobald der Trail aber wieder zahmer wird, wirkt die Abfahrts-Geo träge. Unserem Trailduro Propain Hugene gelingt der Spagat am besten.
Das Trailbike gewinnt nur im Uphill. Das Enduro kann schnell, wirkt auf zahmen Passagen aber etwas träge. Das Trailduro kann alles gut. Klarer Sieger.
Bikeparks besitzen im Idealfall viele, unterschiedliche Trails. Unsere Test-Bikes musste sich auf allen beweisen. Von der blauen Flow-Strecke bis zur schwarzen Enduro-Abfahrt. Gut: Alle Bikes besitzen eine Parkfreigabe.
Natürlich sind Rahmen, Reifen (!) und Komponenten unseres Trailbikes nicht für den Parkeinsatz konzipiert. Stichwort: Haltbarkeit. So sollten Parkeinsätze damit die Ausnahme bleiben. Bei unserem Test fühlte sich das Trailbike YT Izzo wohl, solange wir auf gebauten, eher ebenen Trails fuhren, wie z. B. dem Supernatural im Bikepark Serfaus-Fiss-Ladis. Dann kommt Slopestyle-Feeling auf und schon etwas Zug am Lenker verpasst Bike und Piloten viel Airtime. Reserven für Patzer bei der Landung hält das Izzo aber nicht parat. Also wieder eher was für Experten.
Alle Abfahrten jenseits von Flow- und blauer Strecke bringen das Trailbike ans Limit und fordern viel Können und Fitness. Dem Trailduro Propain Hugene gelingt das viel besser. Trotz mäßigen Federwegs (140/140 mm) nimmt das Bike Rumpelpassagen mit Gelassenheit und bügelt über Wurzelteppiche. Das Enduro Nukeproof Mega fühlt sich pudelwohl und meistert zornige Strecken mit noch mehr Gelassenheit und Speed. Die Geo und die 170 Millimeter in Front und Heck blasen das Selbstbewusstsein des Piloten auf und lassen mehr Laps ohne Pause zu. Selbst grobe Steinfelder und Wurzelgeflecht auf der Downhill-Strecke bügelt das Enduro gefasst weg. Trifft man doch mal die Linie nicht, regelt das die dicke Rockshox-ZEB-Gabel. Bei Drops und verpatzten Landungen spürt man das Plus an Robustheit.
Das Enduro besitzt Reserven, Stabilität und macht selbst auf DH-Strecken Spaß. Unser Trailduro kann bis zu einem gewissen Grad mithalten. Das Trailbike kann nur geschleckte Trails, die machen damit aber sehr viel Spaß.
Wir sagen: Das ,eine Bike für alles‘ ist keine Utopie, sondern Realität. In Trailduros stecken die meisten Alleskönner-Gene.
“Die Entscheidung fällt mir leicht. Ein gutes Trailduro hat am meisten Alleskönner-Gene. Das Enduro ist ein Spezialist, selbst auf groben Abfahrten wirkte es für mich zu extrem. Beim Uphill funktionierten Trailbike und Trailduro nahezu gleich gut.”
“Das Trailbike ist durch die Reifenwahl limitiert. Ich könnte mir vorstellen, neben dem Standard-Laufradsatz einen zweiten mit fetten Reifen aufzubauen. So könnte man je nach Einsatzzweck schnell tauschen und hätte vielleicht den besten Alleskönner.”
“Könnte ich nur noch ein Bike fahren, ich würde zu einem guten Trailduro greifen. Doch auch ein Freerider kann das ,eine Bike für alles‘ sein. Es kommt drauf an, was der Pilot mit dem Bike anstellen will und wie viel Bums er in den Beinen hat.