Laurin Lehner
· 02.12.2020
Weil die Industrie Enduros zu Mini-Downhillern macht, wittern Trailbikes ihre Chance: Sie wollen die besten Allrounder sein: vortriebsstark, verspielt, sprungverliebt.
Keine andere Bike-Kategorie hat für so viele Fragezeichen in den Gesichtern der Tester gesorgt, wie diese. Vor dem Test, während des Tests und selbst jetzt noch, auf der Rückfahrt von Serfaus-Fiss-Ladis nach Hause. Sind Trailbikes die neuen Enduros? Können diese Bikes alles am besten? Zuerst diskutieren wir; am Ende streiten wir. Nach über zwei Stunden hitziger Debatten, in denen der eine den anderen unterbricht, reinredet, laut wird, belehrt, sind wir uns in einer Sache einig: Wo Trailbike draufsteht, ist nicht zwingend Trailbike drin!
Viele Jahre überließen wir Trailbikes den Kollegen unseres Schwestermagazins BIKE. Sie testeten die straffen Räder mit profilgeizenden Reifen, lobten leichtes Gewicht und Vortrieb, straften fehlende Flaschenhalter ab und zu kurze Vorbauten. Wir dagegen nahmen lieber die Allzweckwaffe Enduro ins Visier. Nur hin und wieder widmeten wir uns Ausnahme-Trailbikes, wie z. B. dem Rocky Mountain Thunderbolt BC-Edition (2016). Denn manche dieser Bikes besaßen eine verspielte Geo. So konnte man mit den straffen Bikes über den Trail glühen und sich bei Wurzeln in die Luft schießen wie mit einem Slopestyler.
Das war damals. Mittlerweile hat sich viel getan: Enduros sind zu Abfahrtsmaschinen geworden und verloren den Nimbus der Alleskönner-Bikes, weil zu schwer, zu bullig, zu gummikuhig. Die Enduros rückten hoch zu den Downhillern, und es entstand eine Lücke.
Die sollen jetzt die Trailbikes schließen, die neuen Trailbikes. Sie wollen alles können – Trail-Runde, Berg-Tour, alpine Downhills, ja selbst Bikepark-Einsätze. Dafür reichen ihnen 130–140 Millimeter Hub. Im Idealfall sind sie flink, wendig und potent genug, keine Abfahrt auszulassen. „Ich bin über Jahre mit dem falschen Bike auf meiner Hausrunde gefahren“, schrieb uns Leser Christian Herbststreit und berichtete, wie viel mehr Spaß er mit dem Trailbike habe. Doch was ist eigentlich ein Trailbike? Das scheinen nicht einmal die Hersteller zu wissen. Jeder definiert die Bike-Gattung ganz unterschiedlich. In unserem letzten Trailbike-Test schickte uns Pole ein fahrfertiges Rad mit 15,5 Kilo, Transition sogar eins mit über 16 Kilo. „Ein Highend-Trailbike darf nicht mehr als 13 Kilo wiegen“, behauptet Bike-Konstrukteur Bodo Probst, der schon viele leichte, dennoch aber potente Bikes zeichnete. Glaubt man ihm, waren Trailbikes schon mal besser. Während das
Durchschnittsgewicht in unserem Trailbike-Test 3/17 bei 13 Kilo lag, sind wir bei diesem Test bei fast 13,5 Kilo. Und das bei Modellen bis zu 7200 Euro. Das liegt zum großen Teil an der Ausstattung. Anders als damals, spezifizieren die Hersteller ihre Bikes nun mit 29-Zoll-Laufrädern und dicken Enduro-Reifen. Das drückt natürlich auf die Waage; 27,5er-Modelle sind rar geworden.
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