Ludwig Döhl
· 27.11.2016
Diese fünf Touren-Fullys von Canyon, Carver, Ghost, Giant und Rose schonen nicht nur den Geldbeutel, sondern bringen auch ordentlich Fahrspaß im Gelände – wie unser Test zeigt.
Entwickelt sich das Mountainbike zum Luxusgut? Sind Singletrails die Golfplätze von morgen? 4999 bis 8999 Euro kosten die Carbon-Racebikes der schillerndsten Marken, und auch das dazu passende Outfit plündert den Geldbeutel nicht viel weniger als ein Golf-Dress. Aber keine Angst, wir haben keine Lust, im Golfcart durch den Wald zu fahren, und unsere Freizeit verbringen wir auch lieber dreckverschmiert im Unterholz als beim Champagnerschlürfen auf gepflegtem Grün. Deshalb hier das bezahlbare Gegenprogramm zur Schickimicki-Gesellschaft im Kohlefasergewand: fünf Trailbikes unter 2000 Euro im Test.
Diese Trailbikes haben wir getestet - die Punktetabelle finden Sie unten als Download:
• Canyon Nerve AL 7.0
• Carver Transalpin 902
• Ghost Kato FS 5
• Giant Trance 3
• Rose Ground Control 1 (BIKE-Tipp: Testsieger)
Die US-Marken der Branche finden Sie in diesem Vergleich nicht. Es sind die Preis-Leistungsfüchse, die sich dem Genre der Einsteiger-Fullys annehmen. Die Big Player wie Specialized, Trek oder Cannondale ringen lieber um Worldcup-Siege als um Punkte im BIKE-Bewertungssystem der Einsteigerklassen. Eine These: Vielleicht sind es gerade die ausufernden Marketing-Budgets für Rennteams, die es diesen Marken unmöglich machen, derart günstige Bikes anzubieten? Bei Specialized beginnt der Einstieg in den Fully-Bereich erst bei 3000 Euro. Trek senkte während des Tests die Preise erheblich und bietet jetzt sogar zwei Modelle unter der Preismarke von 2000 Euro an, trotzdem wollten sie sich dem Vergleich nicht stellen. Die überwiegend deutschen Handwerksbetriebe ziehen das Preis-Level bei Einsteiger-Bikes deutlich runter. Warum Handwerksbetriebe, werden Sie sich fragen? Gefertigt wird doch in Asien? Stimmt, Rahmen und Komponenten stammen aus Asien. Doch die Montage von Rose, Canyon, Ghost und Carver geschieht in Deutschland. Es scheint fast so, als sei das Umgehen von Strafzöllen beim Import von Komplett-Bikes aus Asien die Grundlage für gute und preiswerte Fullys. Das Ausstattungs-Niveau hat uns positiv überrascht – es ist kein Geheimnis, dass die Ausstattungen im aktuellen Modelljahr meist schlechter ausfallen als die der Bikes von 2015.
Dennoch, die Fahrwerke in dieser Testgruppe sind gut. Die Reifen bei Carver und Canyon tragen sogar das Race-Sport- bzw. Evolution-Label, heben sich so durch die hochwertige Karkasse von den Konkurrenten ab. Ghost montiert tatsächlich die brandneue Shimano-Elffach-XT-Gruppe. Unterm Strich stehen die Bikes besser da, als wir das erwartet haben, auch wenn das Durchschnittsgewicht für Trailbikes mit 13,2 Kilo relativ hoch liegt. Die zuletzt in BIKE 1/16 getesteten Trailbikes mit 120–130 mm Federweg für rund 3000 Euro wiegen im Schnitt aber auch nur 400 Gramm weniger. Das Mehrgewicht bleibt angesichts des Preises also vertretbar. So weit die Theorie, aber wie schlagen sich die Bikes auf dem Trail?
Nein, wir haben die Bikes nicht aus Trotz über die Münchener Golfplätze gejagt, wie der Einstieg dieses Textes vermuten lassen könnte, sondern uns um eine adäquate Teststrecke bemüht. Die 24-Stunden-Rennstrecke von Finale Ligure in Italien stellte sich als ideal für diesen Einsatzbereich heraus. Mit technischen Anstiegen, verwinkelten Abfahrten, schnellen Geraden und verblockten Passagen hielt sie sämtliche Prüfungen für die Test-Bikes bereit. BIKE-Tests sind sowohl im Labor als auch in der Praxis immer preisunabhängig. Und so scheuchten wir die Bikes bei besten Testbedingungen, genauso wie es Testredakteur und Kollege Listmann mit den Nobel-Racern von Seite 31 getan hat, über den Rundkurs. Das Ergebnis hat uns dann durchaus überrascht.
Jedes Bike hat seinen eigenen Charakter. Rose und Ghost spielen ihren Trumpf in Form von etwas mehr Federweg in den Abfahrten aus. Trotz Übergewicht schlich sich das Carver, dank einwandfreier 29er-Wohlfühlgeometrie, in die Herzen der Tester. Bei Federwegen bis zu 120 mm spielen die großen 29er-Laufräder ihren Vorteil spürbar aus. Deshalb unser Appell an die Hersteller: Lasst die 29er-Bikes in der Trailbike-Kategorie nicht sterben, auch wenn der Markt derzeit immer häufiger zum Mittelmaß 27,5 Zoll greift. Das Nerve von Canyon beispielsweise erweist sich als treuer Touren-Partner und zeigt als leichtestes Rad im Test vor allem bergauf sein Potenzial. Allein das Giant Trance für 1799 Euro überzeugt als eines der günstigeren Bikes im Praxistest nicht voll. Federelemente mit zu geringer Druckstufe und schwache Bremsen verringern den Fahrspaß bergab. Auffällig, dass das einzige Bike, das nicht in Deutschland montiert wird, ausstattungstechnisch hinterherhinkt.
Wie schaffen es ausgerechnet diese günstigen Fullys, uns trotz der Probleme der Branche mit dem schwachen Euro zu überzeugen? Michael Staab, Produkt-Manager von Canyon, gibt die Antwort: "Der Verzicht auf eine Tele-Stütze spart viel Geld, das wir an anderer Stelle wieder investieren können. Diese Ersparnis wirkt sich sogar doppelt aus. Denn wir sparen auch noch etwa 300–400 Gramm Gewicht." Die Vorrichtung für die interne Zugverlegung einer solchen Stütze haben trotzdem fast alle Bikes. Sollte man also irgendwann nach dem Kauf des Bikes wieder Geld übrig haben, kann man eine absenkbare Sattelstütze nachrüsten. Bis dahin muss der Sattel auf altmodische Weise mit Hilfe eines Schnellspanners versenkt werden. Könner lassen den Sattel in der Abfahrt einfach oben.
Diese günstigen Trailbikes schlagen sich gut. Ok, man muss auf die Teleskopstütze verzichten (außer beim Carver), aber in dieser Preisklasse hätte auch niemand damit gerechnet. Die Grundfunktion des Fullys ist auch unter 2000 Euro gewährleistet, und das Einsatzspektrum der Trailbikes bleibt deshalb in der günstigen Klasse breit. Von der Tour bis zum Marathonstart ist alles möglich. Nach dem Praxistest fiel uns deshalb ein Stein vom Herzen. Ja, unser geliebter Sport bleibt für jeden bezahlbar. Im Gegensatz zum Jahresbeitrag eines Münchener Golfclubs.
Fazit Ludwig Döhl, BIKE-Testredakteur:
Den Labormarathon mit Prüfung von Steifigkeit, Gewicht und Lackqualität stecken die günstigen Bikes mit links weg. Kein Wunder: Die Rahmen, also die Basis der Bikes, sind die gleichen wie die der teuren Modelle. Der Unterschied im Preis ist vor allem auf die günstigere Ausstattung und die fehlenden Teleskopstützen zurückzuführen. Der Praxistest stand für uns unter folgendem Motto: Wie viel Spaß können Fullys unter 2000 Euro machen? Sehr viel! Das Rose überzeugt als eines der teureren Bikes im Testfeld sowohl bergauf als auch bergab. Es brachte jeden Tester mit einem Lächeln von der Testrunde zurück. Das Canyon legt die Messlatte bergauf hoch. Auch die Fachhandelsmarken Carver und Ghost schlagen sich auf der Testrunde wacker.