Ludwig Döhl
· 17.08.2017
Top-Modelle für über 10000 Euro sind das Aushängeschild der Industrie. Machen Trailbikes unter 2000 Euro Spaß oder vermiesen sie die Bike-Tour? Wir waren von den vier Testbikes überrascht.
Hand aufs Herz. Hat nicht jeder schon mit dem Gedanken gespielt, alle Ersparnisse in ein sündhaft teures Mountainbike zu investieren? So ein Top-Modell, mit Carbon-Rahmen und goldenen Anbauteilen. Träume sind erlaubt, aber die Realität sieht meist ganz anders aus. Die Miete ist demnächst wieder fällig, und das Auto bettelt bereits seit letztem September nach neuen Sommerreifen. Das Bankkonto lässt den Traum vom Highend-Bike schneller platzen als man das entsprechende Model googeln könnte. Muss man sich deshalb den Spaß am Biken verderben lassen? In unserem Test überprüfen wir, wie viel Spaß in vier Trailbikes unter 2000 Euro steckt.
Diese vier Trailbikes haben wir getestet:
Trailbike, was war das gleich noch mal? Keine leichte Frage, denn bei der Definition driften selbst die Meinungen der Hersteller auseinander. Zumindest drei von vier Bikes haben eindeutig die gleiche Ausrichtung. Gut rollende Reifen, moderate Vorbaulängen und Zweifach-Antriebe zeigen, dass Canyon, Radon und Giant großen Wert auf die Touren-Tauglichkeit legen. Focus rüstet sein Trailbike mit breiten Felgen und flachem Lenkwinkel eher für den Abfahrtsspaß aus. Während das Touren-Trio auch jederzeit einen Marathon-Start verkraftet, liegt die Kernkompetenz des Focus’ eher bei Trail-Orgien. Auch wenn das Genre Trailbike Spielraum in seiner Auslegung lässt, im Grunde geht es für diese Bikes darum, ausgedehnte Touren mit viel Abfahrtsspaß zu verquicken. Eine anspruchsvolle Alpenüberquerung sollte, trotz niedriger Preise, mit keinem dieser Bikes ein Problem darstellen.
Dumm nur, dass die Trails zwischen Garmisch und Riva del Garda zur Testphase noch unter einer dicken Schneedecke schlummern. An der Kalmit, dem höchsten Berg im Pfälzerwald, ist Mitte Februar vom Winter kaum was zu spüren. Dabei sind die Frühjahrstemperaturen nur ein Grund dafür, den Test in der Pfalz abzuhalten. Die Wurzelpassagen zu Beginn des Trails dienen als natürlicher Prüfstand für das Fahrwerk. Danach folgt ein verwinkelter Abschnitt mit vielen Anliegern und kleinen Sprüngen. Optimal, um zu checken, wie verspielt sich die Test-Bikes durch die dicht stehenden Bäume manövrieren lassen. Der Anstieg zwischen dem kleinen Ort Maikammer und dem Dach des Pfälzerwaldes verläuft überwiegend auf Teerstraßen und entlarvt auf über 400 Höhenmetern jede Kletterschwäche. Nur Bikes, die sich in allen Abschnitten gleich gut schlagen, sind in unseren Augen wahre Trailbikes.
Fünfstellige Summen sind keine Seltenheit für die Top-Modelle, von denen man gelegentlich träumt. Was darf man dann für unter 2000 Euro von einem Mountainbike erwarten? Der 2017er-Jahrgang hat gute Antworten auf diese Frage. Mit der neuen SLX-Schaltung von Shimano hat sich die Elffach-Technologie mittlerweile im Einsteigerbereich etabliert. Und die Bikes von Focus und Giant haben sogar eine Teleskopstütze. Canyon und Radon punkten dafür mit hochwertigen Fahrwerken. Ok, das leichte Übergewicht ist nicht zu leugnen. Unsere Testkandidaten bringen im Schnitt fahrfertige 13,9 Kilo auf die Waage. Im vergangenen Jahr war diese Testgruppe noch ein halbes Kilo leichter. Thadeus Tisch, Ingenieur bei Focus, versucht dennoch gegen das Billig-Image dieser Preisklasse anzukämpfen. Er denkt dafür über die Erstanschaffung hinaus: "Unser Vice-Rahmen ist bewusst simpel gehalten, um den Wartungsaufwand zu minimieren. Dafür bietet er eine perfekte Tuning-Basis, wenn die Kunden einige Zeit nach dem Kauf wieder Geld übrig haben. Für 1500 Euro kann niemand einen Carbon-Rahmen mit makelloser Ausstattung erwarten." Eine gute Geometrie kostet in der Herstellung aber nichts extra. Immerhin, beim Branchen-Riesen Giant bekommt man für wenig Geld eine komplette XT-Schaltung inklusive Bremsanlage. Schaltgruppe hin oder her, letztendlich geht es um den Spaß auf dem Trail. Werden die günstigen Fullys unserem Anspruch gerecht?
Auf dem Weg zum Gipfel der Kalmit lenken sie zumindest geschickt vom Übergewicht ab. Denn selbst im Wiegetritt bleiben die meisten Hinterbauten völlig ruhig. Nerviges Wippen, das zwingend durch eine Plattform unterdrückt werden muss, gibt es nur bei Giant. Der günstige Hinterbau mit flexenden Sitzstreben des Stance kann, in diesem Punkt, nicht mit den hochwertigeren Maestro-Pendants von Giant mithalten. Trotz der üppigen Pfunde klettern die restlichen Bikes ganz adäquat. Nicht zuletzt dank angenehmer Sitzpositionen. Der Einfach-Antrieb am Focus verlangt jedoch nach strammen Waden, wenn es steiler wird. Die Stärken des Focus’ liegen offensichtlich nicht im Anstieg.
Kurzer Vorbau, verspielte Geometrie und breite Reifen. Kein Bike macht in der Abfahrt mehr Spaß als das Vice im Paradiesvogel-Design. Aber auch die restliche Testgruppe entpuppt sich in puncto Singletrail keineswegs als Kostverächter. Canyon beispielsweise bleibt in besonders wurzeligen Passagen völlig ruhig. Die Versender aus Koblenz schicken als einzige ein 29er in den Test und profitieren deutlich vom besseren Überrollverhalten der großen Laufräder. Gerade bei knappen Federwegen um die 120 Millimeter bringt das viele Vorteile. Auch Giant und Radon meistern die Abfahrt gelassen. Dank ihrer kleineren 27,5er-Laufräder sind sie etwas wendiger, haben bei höherem Tempo aber auch nicht die Souveränität des 29er-Pendants.
Ob man lieber verspielt oder eher laufruhig über den Trail prescht, bleibt Geschmackssache. Egal, wofür man sich entscheidet, diese Bikes liefern auch für unter 2000 Euro eine ordentliche Portion Fahrspaß. Man muss also nicht verzweifeln, wenn einem der Kontoauszug klarmacht, dass die teuren Top-Modelle weiterhin ein Traum bleiben werden.
FAZIT von Ludwig Döhl, BIKE-Tester:
Erstaunlich, wie viel Fahrspaß man bereits für unter 2000 Euro bekommt. Zwar muss man bei zwei von vier Bikes den Sattel noch manuell versenken, die Grundfunktion eines guten Fullys ist aber auch in dieser Preisklasse gewährleistet. Teurere Bikes werden vor allem leichter.
DIE DETAILS DER TRAILBIKES IM TEST:
Gerade bei günstigen Bikes lohnt es sich, genau hinzusehen. Oft sind es Details, die auf der Tour entscheidende Vorteile bringen – etwa die Möglichkeit, einen Flaschenhalter zu montieren.
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