Tobias Brehler
· 02.09.2022
Mit dem brandneuen Lee Cougan Rampage bedient der Bike-Hersteller aus Illinois die kleine Nische der sogenannten Softtails. Geht das Konzept mit Mini-Dämpfer im Heck im Gelände auf?
Kein Vorteil ohne Nachteil. Fast so alt wie diese Weisheit ist die Frage, was besser ist: Hardtail oder Fully? Lee Cougan – 1977 in den USA gegründet – will mit dem Rampage Innova die Vorteile beider Gattungen verknüpfen. Also leicht, direkt und antriebsneutral wie ein Hardtail und komfortabel sowie traktionsstark wie ein Fully. Das Bike fällt in die Kategorie der Softtails: Ein Hardtail mit minimalistischer Federung am Heck. Die Federkraft stellt eine vertikale Carbon-Strebe, die die Sitzstreben mit dem Sitzrohr verbindet. Ein Novum bei den Softtails ist die Dämpfung mittels zweier paralleler, hydraulischer Kolben. Diese kontrollieren die Ein- und Ausfedergeschwindigkeit und werden an die Rahmengröße (S bis L) angepasst. Auf Wunsch können sie vom Fahrwerksspezialisten Gallo Moto in Rom auf die eigenen Vorlieben abgestimmt werden. Andere Softtails, wie das BMC Teamlite (nicht mehr verfügbar) oder das Trek Procaliber, verzichten auf eine separate Dämpfung und setzen ausschließlich auf die Federkraft eines Elastomers.
Die Messdaten aus dem Labor bringen erste Klarheit: Den Vorteil des geringeren Gewichts von Hardtails kann das Testrad nur bedingt erfüllen. Mit 1630 Gramm ist der Rahmen (inklusive Feder-Dämpfer-Einheit) ungefähr doppelt so schwer wie die leichtesten derzeit verfügbaren Hardtail-Rahmen, aber auf Augenhöhe mit Fully-Rahmen. Bei einem Fully käme noch das Gewicht des Dämpfers (gut 300 Gramm) hinzu. Das Gesamtgewicht von glatten zehn Kilo wird Grammfuchser angesichts des hohen Preises nicht vom Hocker hauen, bietet aber gut 100 Millimeter Federweg am Heck. Auch die Steifigkeit ist gering. Unter den kraftvollen Tritten von schweren Fahrern windet sich der Rahmen spürbar. Ein Testfahrer klagte über zu wenig Wadenfreiheit zu den breiten Sitzstreben.
Aus dem Hinterbau des Lee Cougan Rampage quetscht unser Prüfstand 27 Millimeter Federweg, was wirklich gut ist für ein Softtail. Zum Vergleich: Komfortable Carbon-Hardtails ohne Vario-Sattelstütze erzielen ungefähr zehn Millimeter „Federweg“ am Sattel – natürlich nur im Sitzen. Dank 80er-Vorbau mit -15 Grad Neigung sitzt man dem Einsatzgebiet entsprechend sportlich auf dem Rampage.
Antriebseinflüsse sind nicht spürbar, allerdings ist der Antritt nicht ganz so direkt wie bei einem Hardtail. Beim Überfahren von Wurzeln und Steinen spürt man den gesteigerten Sitzkomfort aber deutlich, ein vollständiges Entlasten des Sattels ist nicht erforderlich. Gerade in technischen Anstiegen verbessert das Innova-System die Traktion erheblich. Bergab fällt der Unterschied zu gewöhnlichen Hardtails geringer aus. Die typische Dysbalance zwischen Front und Heck limitiert in ruppigen Abfahrten.
Etwas gewöhnungsbedürftig: das Klackern der Mini-Dämpfer bei schnellen Schlagabfolgen. An der Front vermitteln der 760er-Lenker und die sensible Fox-Gabel viel Selbstvertrauen, während das Hinterrad eher über die Wurzeln hoppelt. Hier kann das Konzept nicht mit echten Fullys mithalten. Die Geometrie fällt zwar konservativ, aber nicht altmodisch aus – wie ein klassischer Racer eben. Der Lenker des hauseigenen einteiligen Cockpits könnte aber mehr Upsweep vertragen. Lee Cougan tunt das Rampage ab Werk mit der breitbandigen Leonardi-Kassette. Im Fahrbetrieb strapazierte das leichte Fräskunstwerk mit lautem Knarzen die Nerven. Sehr schick: Der hochwertige Metallic-Lack des eleganten Rahmens verleiht dem Lee Cougan Rampage schon fast eine Custom-Optik.
Das Lee Cougan Rampage Innova ist ein sportliches Langstrecken-Softtail mit ausgezeichnetem Sitzkomfort. Fully-Fahrer wird das Konzept vielleicht weniger begeistern. Doch für Hardtail-Biker ist das Rampage eine komfortable Alternative für anspruchsvolle Marathons.
Den vollständigen Bericht zum Test des Lee Cougan Rampage Innova finden Sie hier als Download:
>> Test Lee Cougan Rampage Innova Factory Replica aus BIKE 8/2022