Stefan Frey
· 07.05.2023
Richard Kapp hatte die immer nischigeren Bikes satt und entwickelte deshalb ein eigenes. Das Celtic Chadh Race ist nicht das erste Juwel aus der Schatulle des 70-jährigen Tüftlers, doch ein ganz besonderes: fast ohne Limit bei Einsatzgebiet und Standards. Wir konnten nun die Serienversion testen.
Normalerweise sind Bikes auf fixe Einbaustandards festgelegt. Normalerweise muss sich der Kunde beim Kauf für ein Einsatzgebiet entscheiden. Normalerweise konstruieren Menschen im Rentenalter auch keine serienreifen Bikes am Zeichenbrett. Doch was ist schon normal?
Das Celtic Chadh von Tüftler Richard Kapp ist es jedenfalls nicht. Der charismatische Badener entwarf das Bike gar als eine Art Rebellion gegen die Norm und taufte es auf das keltische Wort für Kämpfer, Chadh. Dass die Industrie unaufhörlich neue Standards erfindet und immer mehr Geld für immer weniger Kompatibilität verlangt, ist ein Irrsinn für Kapp. Sein Ansatz: ein ehrliches Bike für ehrliche Leute – praktisch, bezahlbar und haltbar. Ausgehend von den Leserbriefen im Postfach der BIKE-Redaktion dürfte er damit vielen Bikern aus der Seele sprechen.
Als maximal variables Touren-Bike soll sich das Chadh von Race bis Down Country wohlfühlen. Über die im Lieferumfang enthaltenen Austauschteile ist es flexibel, was die Einbaulänge und den Montagestandard des Dämpfers angeht. Die Sitzstreben in Teleskopbauweise ermöglichen eine Anpassung der Geometrie an unterschiedliche Dämpfer und Gabeln sowie persönliche Bedürfnisse. Damit können Chadh-Fahrer ihr Bike jederzeit zwischen 80 und 120 Millimeter Federweg umrüsten. Dank der Vario-Lösung an den Sitzstreben sind Lenk- und Sitzwinkel gleich vierfach um je ein halbes Grad verstellbar.
Austauschbare Ausfallenden machen das Celtic mit allen Achsstandards kompatibel. Die Geometrieverstellung erlaubt außerdem Laufräder in 29 oder 27,5 Zoll. Für kleine Fahrer ist hinten sogar ein 26-Zoll-Laufrad möglich. Mehr Flexibilität bietet kein anderer Hersteller.
Gefertigt wird der Alu-Hinterbau in Freiburg, der Carbon-Hauptrahmen kommt aus Asien. Aufgrund der hohen Fertigungskosten gibt es das Celtic Chadh vorerst nur in Größe M. Im Gegensatz zum Prototypen, den wir bereits testen konnten, verfügt das Serien-Bike über ein Sram-UDH-Schaltauge. Alle Schrauben bestehen aus stabilem Grade-5-Titan.
Sportlich, aber trotz 80-Millimeter-Vorbau nicht zu gestreckt, nehmen Biker im Sattel des Celtic Platz. Eine sehr angenehme Gewichtsverteilung zwischen Händen und Gesäß prädestiniert das Bike für lange Runden. Sensibel filtert das Fahrwerk kleine Unebenheiten aus dem Untergrund und erzeugt dabei viel Komfort.
Die Kehrseite des lebendigen Fahrwerks ist ein stetig mitnickendes Heck. Im Vergleich zu reinrassigen Racefullys tritt sich das Chadh weniger effizient. Da der DT-Swiss-Dämpfer kein vollständiges Lockout mitbringt, verpufft im Wiegetritt viel Energie. Ein ausgewiesener Sprinter ist der Exot nicht, beschleunigt dank leichter Tune-Laufräder aber anständig. Auf deren mageren Felgenweite können sich die 2,25 Zoll schmalen Reifen kaum ausbreiten und verlangen nach viel Luftdruck.
In der Tugend klassischer Touren-Bikes positioniert die Geometrie den Fahrer mit langen Kettenstreben und kurzem Reach weit vorne über dem Rad. Das fordert in engen Kurven ein sicheres Händchen und viel Nachdruck. Auf dem Trail zeigt sich das Heck bei kleinen Schlägen feinfühlig und lässt das Celtic bei niedrigen Geschwindigkeiten unaufgeregt gen Tal gleiten. Sobald das Tempo aber steigt und die Schläge größer werden, braucht es einen versierten Fahrer, um das Bike unter Kontrolle zu halten. Dann zeigt sich die auffällig hohe Verwindung des Hinterbaus.
Unter groben Seitenschlägen und harten Bremsmanövern flext dessen Material spürbar mit. Bei starken Antritten kommt der hintere Reifen durch die fehlende Steifigkeit gar in Kontakt mit der Sitzstrebe. Eine Vario-Stütze ließe sich zwar einfach nachrüsten, auch die Ausstattung lässt sich anpassen, in dieser Konfiguration fehlt es Fahrwerk und Reifen aber an Abfahrtsreserven.
Insgesamt vermittelt das Fahrgefühl einen erfrischenden Vintage-Charme und hebt sich deutlich von den moderneren Bikes in unserem Testkeller ab. Auch wenn das Chadh kein Experte für Trail-Spaß bergab ist, erfreut es dennoch mit entspannter Haltung und hohem Komfort auf ausgedehnten Touren.
Richard Kapp hat ein Vario-Bike geschaffen, das Touren-Bikern alle Möglichkeiten des Aufbaus offenhält. Auf langen Runden verwöhnt das Celtic Chadh mit hohem Komfort. Wegen seiner konservativen Fahreigenschaften ist es weniger ein verspieltes Bike für Trail-Fans als ein Bike für Liebhaber klassischer Tugenden – und die gibt es viele.
GESAMT BERGAUF: 94,3 VON 120
GESAMT BERGAB: 71,8 VON 100
*Das BIKE-Urteil gibt die Labormesswerte und den subjektiven Eindruck der Testfahrer wieder. Das BIKE-Urteil ist preisunabhängig. BIKE-Urteile: super (250–205 P.), sehr gut (204,75–170 P.), gut (169,75–140 P.), befriedigend (139,75–100 P.), mit Schwächen, ungenügend.
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