8 Race-Fullys im Rennstrecken-Test

Peter Nilges

 · 22.08.2017

8 Race-Fullys im Rennstrecken-TestFoto: Ronny Kiaulehn
8 Race-Fullys im Rennstrecken-Test

Für Olympia hatten sich die Hersteller richtig ins Zeug gelegt. BIKE hat den exklusiven Race-Fullys auf den Zahn gefühlt. Referenz-Bikes: Ein halb so teures Modell und ein superleichtes Race-Hardtail.


Paul drückt beherzt in die Pedale. Vor der Bäckerei schlägt er einen Haken nach links, um im engen Spalier aus Zaun und Häuserwänden die Pace zu machen. Er hat sich das 8,2-Kilo-Hardtail geschnappt. Die Referenz zu unseren Mountainbike-Fullys in diesem Test.

Paul Oberrauch ist einer der 170 Racer vom Mountainbike Club Sunshine in Nals. Und Paul zeigt uns bereitwillig die Cross-Country-Rennstecke dort. Unweit von Bozen gelegen, die perfekte Location, um bereits im Februar schneefreie Strecken und ein Paar Sonnenstrahlen zu genießen. Mit neun schnellen Bikes im Gepäck, die nur nach schnellen Rundenzeiten gieren. Dabei reicht die Preisspanne von 6300 bis 8999 Euro. Als Vergleich zur absoluten Oberklasse war diesmal das mittelpreisige Racefully Lapierre XR 629 für 3299 Euro sowie das Specialized-Epic-Hardtail für 7499 Euro mit von der Partie.

Diese Race-Fully finden Sie im Test:

  • Cannondale Scalpel-Si Race (BIKE-Tipp: Testsieger)
  • Centurion Numinis Carbon XC Team.29
  • Focus O1E Team
  • Kona Hei Hei Race Supreme
  • KTM Scarp 29 Prestige 12S
  • Lapierre XR 629 mit E:i Shock
  • Scott Spark RC 900 Ultimate (BIKE-Tipp: Race)
  • Simplon Cirex 120 X01 Eagle
Cannondale Scalpel-Si Race
Foto: Georg Grieshaber

Paul zirkelt das S-Works-Hardtail mit Leichtigkeit um die erste enge Spitzkehre des Nachtigall-Uphills. Kein Wunder, als Local kennt er jeden Zentimeter des Racetracks mit seinen knackigen 200 Höhenmetern pro Runde. Streckenkenntnis, kürzerer Radstand des Hardtails und ein Gewichtsvorteil von mindestens 1,5 Kilo zum leichtesten Fully erzeugen neidvolle Blicke in diesem heftig steilen Uphill. Wer sich nach der Einführungsrunde noch nicht im ersten Drittel des Feldes befinden würde, hätte ein echtes Problem beim alljährlichen C1-Rennen in Nals. Denn Überholen ist in diesem schmalen Serpentinenanstieg nur mit Einverständnis des Vordermanns möglich.

  Im Nachtigall-Uphill in Nals sind Steuer- und Kletterqualitäten gefragt. Pro Runde müssen 200 Höhenmeter in engen Spitzkehren bewältigt werden.Foto: Ronny Kiaulehn
Im Nachtigall-Uphill in Nals sind Steuer- und Kletterqualitäten gefragt. Pro Runde müssen 200 Höhenmeter in engen Spitzkehren bewältigt werden.

Aufgereiht wie an der Perlenschnur folgen wir Paul mit brennenden Oberschenkeln. Zwar kein Schnee, aber Unmengen von Laub bedecken die Strecke und lassen den Untergrund oftmals nur erahnen. Nach der ersten Kehre krümmt sich die anschließende Gerade in Richtung Himmel. An der steilsten Stelle schlummert ein Steinfeld unter der Laubschicht. Jetzt gilt es, die steigende Front ohne Traktionsverlust auszugleichen. An dieser Stelle brillieren die meisten Fullys und sind dem Hardtail klar überlegen. Allerdings können nicht alle Testkandidaten ihren möglichen Vorteil durch den gefederten Hinterbau voll ausspielen. Simplon und das günstige Lapierre geizen durch einen unsensiblen Hinterbau mit Traktion und zwingen den Fahrer zu einer akribischen Linienwahl in technischen Uphills. Auch KTM patzt in dieser Passage, allerdings nicht, weil das Fahrwerk zu unsensibel wäre, sondern wegen der spartanischen Semislick-Bereifung.

Paul drückt weiter aufs Gas. Serpentine um Serpentine schrauben wir uns steil nach oben. Durch die Besonderheit der Strecke mit den vielen engen Kehren stechen zwei Dinge heraus: Sitzposition und Radstand haben einen gewaltigen Einfluss. Der Trend geht zu immer steileren Sitzwinkeln. In unserem Testfeld liegen die Werte zwischen 73,9 und 75,5 Grad. Ein Segen bei wirklich fiesen Rampen, weil man einfach viel entspannter im Sattel sitzen bleiben kann, ohne das Gewicht aktiv weit nach vorne verlagern zu müssen. In den Serpentinen klettert das 9,7 Kilo leichte Centurion Numinis mit dem 75,5er-Sitzwinkel daher perfekt. Andersherum fallen die gekröpften Sattelstützen vom Cannondale und KTM in diesem Moment negativ auf. In flacheren Passagen bringt die stark nach vorne verlagerte Sitzposition jedoch trotz eines langen Reachs nicht nur Vorteile. Man sitzt nämlich insgesamt kürzer und aufrechter, teilweise sogar schon gedrungen. Zudem beträgt der Nachsitz (Wert, wie weit die Sattelspitze in horizontaler Ebene hinter dem Tretlager liegt) oft weniger als 40 Millimeter, was unter Umständen zu Knieproblemen führen kann.

Nur noch wenige Meter, dann ist der höchste Punkt der Strecke erreicht. Bislang gab es nur wenig Anlass, den Modus des Fahrwerks zu verändern. Ausnahmslos alle Fullys verfügen über einen Remote-Hebel am Lenker, mit dem sich Gabel und Dämpfer zeitgleich straffen lassen. Die Hälfte des Feldes setzt dabei auf den hydraulischen Fullsprint-Hebel von Rockshox, bei dem es nur eine offene und eine geschlossene Stufe gibt. Um das Fahrwerk offen zu fahren, muss der etwas schwergängige Hebel gedrückt werden. Bei schlechter Entlüftung des Hebels öffnet das System nicht vollständig. Ein Problem, was in der Praxis hin und wieder auftaucht, wie beim Focus O1E. Dem gegenüber stehen die Fox-Fahrwerke, die über einen Bowdenzug angesteuert werden und noch über eine nützliche mittlere Position für technische Uphills verfügen. Interessant: Keines der Bikes mit Fox-Fahrwerk vertraut auch auf den Fox-Remote-Hebel.
Simplon und Centurion verwenden einen DT-Hebel, während Scott den eigenen Twinloc-Hebel verbaut. Ein kurzes Surren zu Beginn der Abfahrt erinnert uns an das günstigere Referenz-Fully von Lapierre mit E:i-Shock-Fahrwerk. Durch den Automatikmodus kann sich der Fahrer rein aufs Fahren konzentrieren. Im langen Uphill hielt die Automatik den Dämpfer komplett geschlossen. Selbst das Steinfeld strafte sie mit Missachtung. Mit Beginn des Downhills leuchtet die kleine Kontrolllampe nun endlich grün. Und in den kurzen, knackigen Gegenanstiegen schaltet die Automatik schnell und zuverlässig um, ohne permanente Daumenübungen. Tadellos.

  Auch im Downhill geht es verwinkelt zur Sache. Auf dieser Strecke zählt Agilität mehr als Laufruhe. Foto: Ronny Kiaulehn
Auch im Downhill geht es verwinkelt zur Sache. Auf dieser Strecke zählt Agilität mehr als Laufruhe. 

Auch in der Abfahrt gibt Paul die Ideallinie durch den Laubteppich vor. Hardtail hin oder her. Behände zirkelt er durch die Bäume und schwenkt am kleinen Drop das Heck zum "Schurter-Whip". So verwinkelt es bergauf geht, so verwinkelt führt die Strecke auch wieder hinab. Wirklich schnelle Passagen mit rauem Untergrund, in denen ein Fully-Fahrwerk deutlich überlegen ist, sucht man in Nals eher vergeblich. Hinzu kommt, dass der limitierende Faktor bei vielen der Test-Bikes die Wahl der Reifen war. Auf der noch leicht feuchten Strecke kamen Schwalbe Thunder Burt, Continental Race King und Maxxis Pace deutlich früher an ihre Grenzen, als es den Fully-Fahrwerken lieb war. Somit war das Hardtail für die Strecke in Nals sicherlich eine gute Wahl, auf einem Großteil der Cross-Country-Strecken würde dieser Vergleich aber anders ausgehen.

  Die gewonnenen Eindrücke werden nach jeder Runde protokolliert. Foto: Ronny Kiaulehn
Die gewonnenen Eindrücke werden nach jeder Runde protokolliert. 


FAZIT von Peter Nilges BIKE-Testchef:
Cannondale Scalpel und Scott Spark RC heißen die Gewinner in diesem Test. Sie markieren die Spitze der 2017er Racefullys. Dafür muss der Kunde allerdings auch 8499 bzw. 7599 Euro investieren. Auf Platz drei folgt das sehr leichte und etwas günstigere Centurion Numinis, das nur knapp an der Bestnote "super" vorbeischrammt.

  Peter Nilges, BIKE TestchefFoto: Ronny Kiaulehn
Peter Nilges, BIKE Testchef

Wie schlägt sich das Specialized Epic-Hardtail gegen die MTB-Fullys?


Hardtail oder Fully? Um die Gretchenfrage zu beantworten, nahmen wir das Specialized Epic S-Works mit zum Test. Für 7499 Euro liegt das Hardtail in einer ähnlichen Preisklasse.

Mit nur 8,23 Kilo ohne Pedale markiert das Epic S-Works derzeit die Spitze bei den 29er-Hardtails, die in Großserie gefertigt werden. In Größe M bringt der Rahmen nur 869 Gramm auf die Waage. Im Vergleich zu den leichtesten Fullys in diesem Test bedeutet das eine Gewichtsersparnis von 1227 Gramm beim Rahmen oder 1460 Gramm beim Gesamtgewicht. Im Uphill überzeugt das Epic durch sein direktes, ungefiltertes Reaktionsvermögen. Jede Muskelzuckung wird in Vortrieb umgesetzt. Der Gewichtsvorteil von immerhin 1,46 Kilo zum Centurion ist jedoch weniger spürbar als erwartet, weil die rotierende Masse (Laufräder, Kurbeln etc.) in etwa gleich ist. In technischen Kletterpassagen können die Fullys bei aktivem Dämpfer Boden gutmachen und mit mehr Traktion punkten. In ruppigen Abfahrten sowieso. Je länger die Strecke, desto stärker spielt das Fully seinen Komforttrumpf aus und lässt den Fahrer nachweislich weniger ermüden.

  Specialized Epic S-WorksFoto: Georg Grieshaber
Specialized Epic S-Works

DETAILS DER TESTBIKES

Diese Details sind uns im Praxistest besonders aufgefallen. Manche haben einen großen Einfluss auf das Fahrverhalten und lassen sich mit wenig Aufwand noch optimieren.

Der hydraulische Rockshox-Fullsprint-Hebel steuert Gabel und Dämpfer gleichzeitig an. Bei häufiger Betätigung fallen die hohen Bedienkräfte auf. Der Hebel muss regelmäßig entlüftet werden.
Foto: Georg Grieshaber


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