Florentin Vesenbeckh
· 11.09.2017
Für knapp 8000 Euro bekommt man ein Highend-Race-Hardtail. Oder 10 Bikes unserer Testgruppe. Wie viel Bike in Hardtails unter 800 Euro steckt, müssen die 11 Kandidaten im Test beweisen.
Der menschliche Körper leistet Erstaunliches: Permanent sammelt er unbemerkt Informationen und adaptiert Verhaltensweisen, Bewegungen und Kraftflüsse. Latsch, Vinschgau. Wir laden die Testflotte aus unserem Transporter, Fotograf Wolfi nimmt das letzte Bike entgegen. Wie von Geisterhand gesteuert sausen seine Arme nach oben, bis der Sattel gegen die Deckenverkleidung des Busses rumst. "Das ist aber kein 800-Euro-Bike", folgert er treffsicher. Seine Synapsen hatten wohl noch die 13,8 Kilo gespeichert, die unsere Einsteiger-Hardtails im Schnitt wiegen, jetzt hält er ein Specialized Epic S-Works in der Hand. Kostenpunkt 7499 Euro, 8,23 Kilo leicht. Zum Glück gewöhnen sich die Rezeptoren schnell an die leichte Traglast, und so nimmt der teure Racer doch noch sicher neben den elf Kandidaten der Testgruppe Platz. Ein skurriles Bild, denn für den Wert des Edel-Boliden könnte man fast zehn unserer Unter-800-Euro-Hardtails kaufen.
Diese 11 Hardtails haben wir getestet:
Um zu erfahren, wie viel echtes Mountainbike in der Einsteigerklasse steckt, wagen wir die Gegenüberstellung der Extreme: Wir jagen das sündhaft teure Highend-Modell im direkten Vergleich über die Teststrecke im Vinschgau. Wo genau stecken die Unterschiede in der Praxis, und wie viel spürt man auf der Teststrecke tatsächlich? Nach elf Runden auf den günstigen Bikes, sorgt der erste Antritt mit dem im Schnitt fünfeinhalb Kilo leichteren S-Works direkt für das erwartete Aha-Erlebnis: Das Bike beschleunigt deutlich besser, animiert an kurzen Stichen zu mühelosen Sprint-Einlagen. Das erweckt Superman-Gefühle, haben wir plötzlich Profi-Beine? Beim kontinuierlichen Pedalieren in der Ebene oder im Anstieg fällt der Unterschied aber nicht so massiv aus wie gedacht. Trotz gut fünf Kilo Zusatzgewicht, klettert die Günstig-Klasse ordentlich, den Blick auf den Sekundenzeiger der Stoppuhr sollte man sich aber verkneifen. Zwei kräftige Pedalumdrehungen im Wiegetritt, und das S-Works fliegt den Stich zum Trail-Einstieg hinauf. Auch in der Abfahrt macht sich das Fliegengewicht bemerkbar. In den engen Kehren des Trails ist der Edel-Racer mit weniger Körpereinsatz zu fahren als die Einsteiger-Hardtails. Das Handling ist präziser, es bleiben mehr Reserven und Spielraum, die Linie zu korrigieren. Während die günstige Testgruppe durchgehend auf Schnellspanner an Vorder- und Hinterrad setzt, sorgen am S-Works Steckachsen für Steifigkeit, das ist spürbar. Auch die Federgabel hat erheblichen Anteil am besseren Abfahrtsverhalten. Perfekt einstellbar, sensibel, standhaft: Die teure SID hält das Vorderrad am Boden und verbessert Bike-Kontrolle und Sicherheit.
Dem gegenüber steht eine der größten Schwächen der Einsteiger-Bikes: Sieben Vertreter bauen auf schwere Stahlfedergabeln, die nur über Federvorspannung an das Fahrergewicht einstellbar sind. Für sportliche Fahrweise mussten wir diese Einstelloption voll ausnutzen, darunter leiden Ansprechverhalten und Ausfedergeschwindikgeit enorm. Vier Kandidaten verzichten nämlich auf eine einstellbare Zugstufendämpfung. Auf Schläge reagieren sie teilweise mit dem Flummi-Effekt, bringen das Vorderrad bei Unebenheiten zum Hüpfen und machen die Trail-Fahrt damit unpräzise. Nur Radon, Silverback, Specialized und Univega leisten sich den Luxus einer voll einstellbaren Luftgabel. Das erhöht den Komfort und spart zusätzlich Gewicht. Bei den besten Modellen wird der Unterschied zur teuren SID damit etwas kleiner.
Im direkten Vergleich beeindruckt das Handling des Highend-Bikes alle Tester, das ist keine Überraschung. Erstaunlicher ist die solide Leistung der Testgruppe. Denn, auch wenn beim Aufsitzen schnell klar wird, welches Kaliber man unter dem Hintern hat, bleiben es je nach Strecke eher Nuancen, die Biker mit der Highend-Maschine herausholen können. Auch mit den Top-Bikes der günstigen Testgruppe fliegt man mit einem breiten Grinsen über den Trail und meistert ausgedehnte Touren. Das ist echtes Mountainbiken! Die Grenze des Machbaren setzt eher das System Hardtail als der Preis. Denn mit den 800-Euro-Bikes können versierte Biker alles fahren, was mit einem sündhaft teuren Highend-Hardtail möglich ist – angepasste Geschwindigkeit und keinen Hunger auf Bestzeiten vorausgesetzt.
Und es gibt noch mehr gute Nachrichten für Sparfüchse: Die günstigen Schaltkomponenten funktionieren einwandfrei, zumindest im Neuzustand und wechselten die Gänge genauso zuverlässig wie die teure Sram-Eagle-Schaltung am Highend-S-Works. Für Einsteiger ist die größere Bandbreite und der meist leichtere Berggang der Zwei- oder Dreifach-Antriebe wahrscheinlich sogar praxistauglicher als die 1x12-Schaltung. Auch die erschwinglichen Shimano-Bremsen, die an zehn der elf Test-Bikes verbaut sind, geben keinen Grund zur Beschwerde. Der Druckpunkt ist definiert, die Bremskraft für mittelschweres Gelände absolut ausreichend, mehr braucht es an Bikes dieser Klasse nicht. Die Tektro-Stopper am Kona fallen im Vergleich dazu etwas ab.
Eine Sparmaßnahme, die sich durchs gesamte Testfeld zieht wie ein fieser Virus, sind die Reifen. Zum Großteil kommt die schwere Drahtversion zum Einsatz, dadurch schnellt das Gewicht in die Höhe, und auch die Gummimischungen leiden unter dem Sparzwang. Das hat auch etwas Positives: Wer hochwertige Reifen nachrüstet, spart mit geringem Aufwand rund 400 Gramm und wird zudem mit mehr Grip und besserem Rollverhalten belohnt – ganz klar Tuning-Tipp Nummer eins in dieser Preisklasse!
FAZIT von Florentin Vesenbeckh, BIKE-Testredakteur:
Bike-Spaß muss nicht teuer sein! Die 800-Euro-Klasse bietet alles, was genügsame Bike-Einsteiger brauchen. Die größten Abstriche müssen Sparer beim Gewicht machen. Genau hinschauen lohnt sich, denn selten sind die Unterschiede innerhalb einer Testgruppe so markant. Auch die Ansätze der Hersteller sind sehr vielfältig: Kopie des Highend-Racers, gemäßigter Tourer oder doch eher gemütliches Eisdielenrad mit einem Schuss Gelände-Aroma?
PREISNACHBARN
Unter 500 Euro wartet die Kategorie Baumarkt-Bomber. 1,8 Kilo liegt unser Beispiel-Bike über dem Durchschnitt der Testgruppe – ein echter Brocken! Die mechanischen Scheibenbremsen bringen kaum Bremsleistung, die ungedämpfte Stahlfedergabel ist im Gelände überfordert. Dazu kommt die schwache Übersetzung der 3x8-Schaltung.
Fazit: keine Alternative für den Geländeeinsatz. (siehe Reportage aus BIKE 4/2017: Selbstversuch: Mit einem Baumarkt-Bike beim Marathon – Wie schlägt sich das Rex Bergsteiger im Renneinsatz?)
REX Bergsteiger 6.01
Preis 436 Euro
Gewicht 15,4 Kilo (o. Pedale)
Gabel SR Suntour XCT
Schaltung Microshift R8, Sh. Altus
Übersetzung 42/34/24; 13–28
Bremsen Promax DC 320 (mech.)
Laufradgröße 29"
BIKE-URTEIL mit Schwächen
In der Kategorie 1200–1500 Euro wird primär die Ausstattung hochwertiger. Federgabeln mit Stahlfeder oder fehlender Dämpfungsverstellung sucht man vergebens. Die meisten Bikes schalten elffach, am Berg top. Der Preis/Leistungssieger unseres letzten Vergleichs (BIKE 3/17) glänzte mit hochwertigem Rahmen und geringem Gewicht. Im Schnitt war die Testgruppe um 1,5 Kilo leichter als das 800-Euro-Testfeld – ein spürbarer Fortschritt.
Canyon Grand Canyon AL SL 7.9
Preis 1199 Euro
Gewicht 11,47 Kilo (o. Pedale)
Gabel Rockshox Reba Air
Schaltung Shimano Deore / XT
Übersetzung 36/22; 11–36
Bremsen Shimano M506
Laufradgröße 29"
BIKE-URTEIL sehr gut
Das gibt’s fürs Geld – Die Details der Testbikes
Bikes zwischen 700 und 800 Euro hinken dem aktuellen Stand der Technik in gewissen Bereichen hinterher. Diese Details sind uns im Testfeld aufgefallen.