Stephan Ottmar
· 03.08.2017
E-Mountainbikes kosten viel. Verzichtet man auf das Fahrwerk am Heck, wird’s gleich deutlich günstiger. Doch macht es wirklich Sinn, bei der hinteren Federung zu sparen? Neun Hardtails im EMTB-Test.
Helmut "Helle" Schuster ist seit Jahren so eine Art Orakel, was die Trends in der Bike-Branche betrifft. Helle ist Hüttenwirt der Stutzalpe hoch über dem idyllischen Kleinwalsertal. Seit es Mountainbiker im Kleinwalsertal gibt, ist die Rast bei Helle schon allein wegen dem selbst gemachten Käse Pflicht. Und so schrauben sich im Sommer scharenweise Biker die 350 Höhenmeter auf gut ausgebautem Schotterweg von Hirschegg zur 300 Jahre alten Alpe. Wer mit wem an seiner Hütte vorbeikommt, ist Helle dabei relativ einerlei. Als eingefleischter Biker interessiert den passionierten Marathonpiloten vor allem, mit welchem Gerät sie kommen. Will man also wissen, was gerade angesagt ist, fragt man am besten Helle.
Auch in Sachen E-MTB lebt Helle am Puls der Zeit. "50 Prozent aller Biker sind mittlerweile E-MTBler", schätzt das Walser Urgestein. "Und davon wiederum sitzt fast die Hälfte auf Hardtails." Ähnliche Beobachtungen würden auch die Hüttenwirte vom Karwendelhaus über Scharnitz, der Heidelberger Hütte in der Silvretta-Region oder der Esterbergalm bei Garmisch machen, würden sie sich für Biker interessieren. Denn genau das sind Ziele, für die man wirklich kein Fully braucht. Schotter und Kieswege durch den Wald, dazwischen mal ein einfacher Trail – wer wegen dem Naturerlebnis, dem Panorama und dem erweiterten Erlebnishorizont aufs E-MTB steigt und nicht auf der ewigen Suche nach dem besten Flow ist, der ist auch hinten ungefedert gut beraten.
Diese E-Hardtails haben wir getestet:
Einfache Technik, leichtes Gewicht, bezahlbarer Preis – das sind die schlagenden Argumente für diese Klientel. Und dafür haben wir neun budgetfreundliche Hardtails mit E-Antrieb zwischen 2399 und 2999 Euro getestet. Ein Yamaha-PW-Aggregat powert das günstige Haibike, im Ghost werkelt der neue Shimano-Steps-E8000-Antrieb. Bosch beherrscht auch diese Klasse weitgehend unangefochten: In sieben Bikes steckt das Performance-Aggregat der Schwaben. Aber Achtung: Bergamont, Conway und Flyer nutzen die schwächere Cruise-Variante, die bessere Mountainbike-Performance liefert die leistungsstarke CX-Version, die in Cube, Corratec, Kreidler und KTM ihren Dienst tut.
Wer gern Rampen, wie den Steilanstieg von Garmisch rauf zur Esterbergalm, erklimmt, der freut sich über den wohldosierten, kraftvollen Zusatzschub des Shimanos oder eines Boschs CX. Was jedoch die Wenigsten wissen: Noch deutlicher als die Power des Antriebs wirkt sich die Übersetzung der Kette auf die Kletterfähigkeit eines Bikes aus. Die Standardkassetten mit 11 bis 36 Zähnen funktionieren – aber nur, wenn an der Kurbel ein kleines Kettenblatt sitzt. Die 34 Zähne an der Kurbel des Ghosts mit Shimano-Antrieb passen prima. Ebenso die Zweifach-Kurbel am Haibike. Doch zusätzliche Schaltung bringt Nachteile beim Bedien- und Schaltkomfort. Bosch verbaut ein Mini-Ritzel, weil der Antrieb eine interne Übersetzung besitzt. (Das Kettenblatt dreht sich 2,5fach schneller als die Kurbel, 15 Zähne entsprechen einem 38er-Kettenblatt.) Die Unterschiede sind eklatant: Die lange Übersetzung im Bergamont tritt sich hart, während das kurz untersetzte Cube klettert wie eine junge Gämse. Wer viel Zusatzschub vom E-Antrieb in Steilanstiegen erwartet, muss hier achtgeben.
Während Bosch- und Yamaha-Antriebe gleichmäßig abgestufte Unterstützungsvarianten anbieten, liefert Shimano im Ghost eine toll abgestimmte "Trail"-Stufe für Mountainbike-typisches Fahrverhalten bei gesteigerter Reichhöhe. Sie unterstützt wenig, liefert jedoch erhöhten Support bei hohem Fahrer-Input. Die Stufe "Boost" liegt von der Maximalkraft auf Niveau eines Boschs CX. Der Yamaha liefert ebenfalls gute Power, allerdings muss man dafür im Haibike langsam treten. Wer schnell pedaliert, bekommt deutlich weniger Unterstützung – ein echtes Manko. Bosch Cruise und CX unterscheiden sich in gemäßigten Steigungen kaum, erst in Steilstücken muss man auf Bergamont, Conway und Flyer spürbar härter drücken.
Die besten Klettereigenschaften bescheinigen wir Conway und Cube, gefolgt vom Ghost. Doch die Ursachen hierfür sind unterschiedlich. Das Conway gleicht Schwächen im Antrieb durch den erhöhten Grip von dicken Plus-Reifen aus. Die Power von Cube und Ghost liegt auf ähnlichem Niveau, mit leichten Vorteilen beim Ghost, doch dessen schwach profiliertes Hinterrad bietet auf losem Untergrund zu wenig Traktion.
Mit drei Ausnahmen nutzen alle Bikes im Testfeld 29 Zoll als Raddurchmesser. Flyer setzt auf 27,5 Zoll in normaler Breite, Bergamont und Conway verbauen 27,5 Zoll mit Plus-Pneus. Plus-Reifen sind breiter und können grundsätzlich mit weniger Luftdruck fahren. Das bietet mehr Grip und erhöhte Fahrsicherheit. An den Hardtails neigen sie auf Asphalt allerdings etwas zum Hoppeln. 29 Zoll mit Standardreifen ergeben in diesem Testfeld einen wirksamen Kompromiss. Sie bieten gute Traktion und überrollen Hindernisse sanfter. Das oft genannte Vorurteil, 29 Zoll sei wenig agil, verbannen wir einmal mehr ins Land der Fabeln. Ghost kombiniert die 29-Zoll-Laufräder mutig mit einer potenten 130-Millimeter-Gabel, einem breiten Lenker und downhill-orientierter Geometrie. Dadurch steuert sich das Kato sowohl sicher als auch schnell und mausert sich so zum Liebling der Tester. Nur der schwach profilierte Hinterreifen passt nicht so recht ins Konzept.
Im übrigen Feld herrscht Einheitsbrei: Acht Bikes nutzen günstige Shimano-Bremsen, sieben Bikes tragen eine 100-Millimeter-Gabel im Steuerrohr. Das passt grundsätzlich, allerdings stecken in Conway, Haibike, Kreidler und KTM lediglich Stahlfedern in den Holmen, diese lassen sich – im Gegensatz zu Luftgabeln – nicht an das Fahrergewicht anpassen, teilweise fehlt außerdem die Einstellung für die Dämpfung, und beim Ausfedern rumst das Teil metallisch in den Endanschlag. Das wirkt billig. Wichtig bei den Scheibenbremsen: Achten Sie auf mindestens 180 Millimeter Scheibendurchmesser, auch am Hinterrad.
Die meisten Bikes nutzen 500 Wattstunden-Akkus – ein neuerlicher Ausstattungsstandard. Lediglich Flyer und Haibike bauen Zellen mit 400 Wattstunden ein. Diese Sparmaßnahme reduziert die Reichweite pauschal um 20 Prozent.
Optisch hochwertiger Rahmenbau ist aufwändig und teuer. Rohrsätze von der Stange sparen Kosten. Eine optische Integration des Akkus in den Rahmen gehört in teuren Klassen zum Standard, in der günstigen Testgruppe bauen nur Corratec und Cube ein spezielles Unterrohr und schaffen Platz für den Akku. Ebenfalls wichtig: die passende Bike-Größe. Nur mittlere Rahmengrößen reichen nicht. KTM liefert nur drei, Kreidler sogar lediglich zwei Rahmenhöhen. Vier bis fünf Größen sollten die Regel sein – für besonders große oder kleine Menschen existieren kaum Angebote.
Fazit von Dipl.-Ing. Stephan Ottmar: Günstig und billig sind zwei Paar Schuhe: Wer gern auf Forst- und Waldwegen alpine Highlights erkundet und demnächst eine Brotzeiteinkehr bei Helmut "Helle" Schuster plant, findet unter den Hardtails dieser Testgruppe passende Begleiter – für ein erschwingliches Budget. Allerdings knallen einige Hersteller einen gedankenlosen 08/15-Komponenten-Mix an ihre Standardrahmengeometrie und machen sich zu wenig Gedanken über die Bedürfnisse der Fahrer. Dass es auch anders geht, zeigen die Bikes von Cube und Ghost: Das Cube als universeller, ökonomischer Allround-Tourer und das Ghost, wenn es trotz schmalem
Budget auch mal Ausflüge ins anspruchsvollere Gelände geben soll.
DIE DETAILS DER TESTBIKES:
Winziges Detail oder ausgetüfteltes Gesamtkonzept – clevere Ausstattungsmerkmale spielen für den Fahrspaß eine große Rolle.