Stefan Loibl
· 27.10.2016
Die Bike-Industrie kämpft, muss das Ausstattungslevel absenken oder die Preise erhöhen. Grund: der schwache Euro. Wir machen den Reality-Check. Zehn Einsteiger-Hardtails ab 1299 Euro im Test.
Fast schon jährlich erfindet die Industrie das Rad neu. Neue Standards, fettere Reifen und ein Ritzel mehr an der Kassette – glaubt man den Werbe-Slogans, ist Biken mit einem Vorjahresmodell scheinbar unmöglich. Tatsächlich? Von außen betrachtet scheint es so. Betrachtet man aber die Spezies der Einsteiger-Hardtails, könnte man genau gegenteilig denken: Es hat sich wenig getan in den letzten Jahren. Nichts zu sehen vom Boost-Standard, B-Plus-Reifen, und auch das Elffach-Flämmchen flackert in dieser Gattung lau vor sich hin. Stattdessen werden Einsteigern Jahr für Jahr dieselben Argumente präsentiert: "Mit XT-Ausstattung, Mavic-Systemlaufrädern und der Rock-Shox-Gabel machen Sie nichts falsch." So könnte sich ein typisches Verkaufsgespräch der letzten Dekade, aber auch der letzten Woche angehört haben. Starke Marken bei den Anbauteilen gehen gerade im Einsteigerbereich auf Kundenjagd – falsch machen kann man dabei trotzdem jede Menge.
Wir haben zehn Hardtails von 1299 bis 1499 Euro durch unser Testlabor geschleust und über die Trails gejagt. Treue Leser werden sich wundern. Schließlich hatten wir die letzten Jahre immer 1000-Euro-Hardtails als Einsteiger-Bikes deklariert. Die Zeiten werden härter. Hersteller haben die angedrohte Preiserhöhung wegen des schwachen Euros wahr gemacht – rund 17 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Für uns ist der Fahrspaß mit den Bikes ein wichtiges Kriterium, und für weniger Geld vermurksen oft billige Federgabeln und bleischwere Laufräder denselbigen. Auch in dieser Preisklasse sind immer noch Billiggabeln verbaut, etwa am Poison und am Kross. Der Großteil des Feldes federt jedoch effektiv die Schläge an der Front weg. Alles, was über 1500 Euro liegt, kann man bereits als Luxusgut der Arbeiterklasse bezeichnen, bis hin zu sündhaft teuren Racebikes. Ein gutes Highend-Bike für 8000 Euro auf die Beine zu stellen, ist keine Kunst für Ghost, Cube und Co. Bezahlbaren Fahrspaß in Serie zu produzieren dagegen schon, was diesen Test umso spannender macht.
Es lohnt sich, genau hinzuschauen: Das XT-Schaltwerk tragen alle Bikes der Testgruppe stolz am Rahmen, aber nur einige verfügen über die dämpfende Shadow-Plus-Funktion, welche die Kette in der Abfahrt sicher und ruhig auf den Ritzeln hält. Noch weniger Schaltwerke stammen aus der aktuellsten Elffach-Generation von Shimano. Fünf von zehn Herstellern montieren alte Zehnfach-Schaltungen mit XT-Schaltwerk und einem Deore/SLX-Mix an weniger sichtbaren Stellen. Warum wird hier mit vermeintlich alten Bauteilen Augenwischerei betrieben? Die Eckpreislage mit 1499 Euro ist hart umkämpft, eine Preiserhöhung gegenüber dem Endkunden quasi undenkbar. An diesen Bikes wird jeder Euro zweimal umgedreht, bevor die Spezifikationsliste in die Produktionshallen wandert. Man sieht es ihnen kaum an, aber die Einsteiger-Hardtails sind die Umsatzbringer in der Industrie. Cube verkauft nach eigenen Angaben dreiviertel aller abgesetzten Mountainbikes im Einsteigerbereich unter 1500 Euro. Was die Hersteller an der Schaltung sparen, investieren sie beispielsweise in hochwertige Reifen. Und so hat jedes Rad in dieser Testgruppe seine Achillesferse. Die Polen von Kross zum Beispiel setzten als Einzige in dieser Preisklasse auf einen teuren Carbon-Rahmen, bezahlen das aber mit der günstigsten Federgabel und der schwächsten Ausstattung. Ghost dagegen spart an der Schaltgruppe, punktet aber mit hochwertigen Evolution-Reifen. Im Katalog findet man also ein Kaufargument für jedes Bike. Erst der Praxistest zeigt, welche Firma ihr Handwerk wirklich versteht.
Ab ins Gelände: Es ist neblig und leicht nass in den Wäldern rund um das bayerische Regensburg. Dennoch bringt die Testrunde die wichtigen Erkenntnisse ans Licht. Eine davon: Reifen gehören zu den wichtigsten Bauteilen, leider sparen gerade hier die meisten Firmen. Die Testfahrten zeigen deutlich: Bei einem Hardtail ist der Reifen maßgeblich für Komfort, Grip und vor allem Sicherheit verantwortlich. Ausschlaggebend ist nicht nur das Profil der Pneus, sondern viel mehr deren Karkassenaufbau. Günstigste Active-Line-Reifen von Schwalbe, aufgezogen bei Cube und Kross, bremsen den Fahrspaß im Gelände deutlich und haben an einem Sportgerät nichts verloren. Zumal ein Austausch den Kunden im Laden teuer zu stehen kommt. 40 Euro legt man für einen guten Reifen hin, wie ihn Poison, Bulls und Ghost serienmäßig verbauen.
Hat man die Tricks und Tücken der Hersteller bei der Ausstattung durchschaut, kommt das nächste Thema auf einen zugerollt. Mit Bulls und Haibike stehen unter einer Horde 29er zwei Räder mit 27,5-Zoll-Laufrädern. Warum 80 Prozent des Testfelds auf großen Laufrädern rollt, ist klar. Die 29er vermitteln in der Praxis mehr Sicherheit im Gelände und rollen leichter über Hindernisse hinweg, was dem Fahrer einiges an Arbeit auf dem Bike und oft sogar an Stürzen erspart. Die kleineren 27,5er-Laufräder fahren sich dagegen etwas agiler, lassen sich leichter beschleunigen und direkter durch den Trail steuern, verlangen aber sicher nicht nur auf unserer Testrunde etwas mehr Fahrkönnen. Beide Systeme haben Reize. Reinen Anfängern raten wir aber trotz des Mehrgewichts zu den größeren Laufrädern. Fortgeschrittene Piloten haben auch mit den 27,5er-Laufrädern keinerlei Probleme.
Es ist wie immer für Einsteiger: Je mehr man sich mit der Thematik beschäftigt, desto größer wird die Verwirrung über den bevorstehenden Kauf. Die Testbriefe und Grafiken auf den folgenden Seiten sollen etwas Licht ins Dunkel bringen.
Als uns der wurzelige Boden beim Test dieser Bikes kleine Schläge durch den starren Hinterbau ins Rückenmark schickte, wunderten wir uns, wie viel Spaß man mit vermeintlich einfachen Bikes ohne Standardwahnsinn und trotz Eurokrise haben kann. Zugreifen lohnt sich. Das Rad wird in dieser Klasse auch 2016 nicht neu erfunden.
FAZIT Ludwig Döhl, BIKE-Testautor:
Diese Bikes sind günstig, relativ gut ausgestattet und machen viel mit. Nicht nur Einsteiger finden in dieser Testgruppe das richtige Rad. Auch erfahrene Biker, die als Zweitrad eine günstige Alternative zum teuren Sonntagsrad anschaffen wollen, werden hier fündig. Der Einstieg ist zwar mit 1500 Euro etwas teurer geworden, dafür bekommt man ein echtes Sportgerät. Wer billiger kauft, kauft zweimal – so heißt es. Im Gelände schlägt sich das Ghost Tacana am besten. Bulls holt sich mit einer astreinen Leistung mal wieder den Testsieg.
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