Dimitri Lehner
· 21.04.2020
Früher waren Enduros Alleskönner-Bikes für jedes Gelände. Jetzt werden diese Enduro-Bikes zu Spezialisten. Was ist nur mit den Enduros los? Wollen die es noch mal wissen? Midlife-Crisis womöglich?
Wir sind verwirrt. Was ist nur mit den Enduros los? Schon als wir die 2020er-Test-Bikes in den FREERIDE-Bus laden, fangen wir an zu diskutieren und fragen uns: Sind das noch Enduros? Manches Bike ähnelt eher einem Bigbike. Allen voran das neue Specialized Enduro, dessen neue Kinematik und bullige Optik tatsächlich vom großen Bruder Demo stammt. Selbst in der Top-Variante für schwindelerregende 11000 € bringt es 14,1 Kilo auf die Waage, trotz Carbon hinten und vorne.
Tatsache ist: Die Hersteller pushen ihre Enduros mehr Richtung Downhill. Doch der Einsatzbereich verschiebt sich dadurch nicht nur, er wird natürlich kleiner. Aus den Allroundern werden so Spezialisten, und wer nicht aufpasst, holt sich einen verkappten Downhiller ins Haus. Kurzum: Wo Enduro draufsteht, ist nicht unbedingt mehr Enduro drin! Grund für die Entwicklung ist vermutlich der Einfluss der EWS, der Enduro World Series. Und ihrer Race-verliebten Ingenieure, beseelt, den Athleten das schnellste Rad fürs Rennen zu konstruieren. Denn – und das wissen wir alle – die Enduro-Tracks der EWS stehen an Ruppigkeit, Speed und Gnarliness (wie die Amis so schön sagen) den Downhill-Strecken in nichts nach. Wer hier schnell fahren will, braucht ein langes, flaches, tiefes Rad in robuster Bauweise mit viel Federweg. Wer hier gewinnen will, braucht: einen Mini-Downhiller! Und zu Mini-Downhillern sind viele der 2020er-Enduros geworden.
Aber wir müssen uns auch die Frage stellen, ob wir an dieser Entwicklung eine Mitschuld tragen. Schließlich testen wir Enduros oft auf Downhill-Strecken und favorisieren das Rad, das mit den Widrigkeiten der Topographie am besten zurechtkommt. Die Antwort: Ja, das stimmt. Allerdings ist es unsere Aufgabe, Bikes ans Limit zu bringen. Auch die Journalisten-Kollegen von Auto Motor Sport bummeln mit ihren Testwagen nicht durch 30er-Zonen, sondern schleudern mit 180 km/h durch wassergeflutete Kurven – was vermutlich die wenigsten von uns im Leben mit ihrem Auto anstellen. Puh, damit sind wir also aus dem Schneider!
Unser Appell an Euch, damit es nach dem Kauf keine langen Gesichter gibt: Überprüft, was Ihr mit dem Bike vorhabt. Seid Ihr hauptsächlich im Mittelgebirge unterwegs, womöglich meist auf gewellten Trails mit viel Up & Down oder fahrt Ihr dagegen vorzugsweise in die jetzt trendigen Enduro-Regionen wie Latsch, Reschen, Finale Ligure etc. mit ihren heftigen Abfahrten oder gar im Park...