Tim Folchert
· 05.11.2022
Vor zehn Jahren kaufte sich Tim sein erstes Fully: ein Canyon Torque. Jetzt testet er das 2022er-Modell: das Canyon Torque Mullet CF 8. Hier ist sein erster Eindruck.
Nach der Schule auf Papas Hardtail gesprungen und ab in den Wald: Drops bauen, Trails shredden und Wheelies üben. Ein Jahr später, mit 17 habe ich genug Geld aus den Ferienjobs zusammengekratzt und mir meinen Traum erfüllt – ich kaufte mir das Canyon Torque 7.0 Trailflow, Baujahr 2012. 26-Zoll-Räder, 170/180 Millimeter Federweg und Hammerschmidt-Getriebekurbel. Ein echter Freerider. Zehn Jahre später bekomme ich jetzt das neue Torque Mullet als Dauertest-Bike und nehme es prompt dahin mit, wo Freeriden erfunden wurde – nach British Columbia, Auslandssemester!
Das Canyon Torque hat seine Freeride-Gene nicht verloren. Durch das 29er-Vorderrad, üppig Federweg (170 mm) und den obligatorischen Coil-Dämpfer, gepaart mit einer langen und flachen Geometrie verleiht das Torque Sicherheit auf steilen Trails. Es schreit nach Speed in ruppigem Gelände. In engen Kurven hingegen macht sich die Länge des Canyons bemerkbar. Da muss man aktiv fahren.
Die Ausstattung ist eines Freeriders würdig: Coil-Dämpfer, dicke 38er-Standrohre in der Gabel und schwere Freeride-Laufräder mit griffigen Schlappen machen das Torque Freeride-ready und fördern das Selbstbewusstsein. So traue ich mich immer größere Drops. Einzig eine Aufnahme für einen Bashguard vermisse ich am Torque. So ist das Kettenblatt den spitzen Felskanten und fiesen Wurzeln schutzlos ausgeliefert. Bergauffahren ist mit der 1x12-XT-Schaltung zwar möglich, doch die abfahrtslastige Ausstattung zollt ihren Tribut. Die Beine schreien nach leichteren Laufrädern und Trail-Karkassen. Bergab allerdings belohnt der Double-Down-Reifen im Heck mit zuverlässigem Pannenschutz, und die weiche Gummimischung an der Front sorgt für massig Grip.
Nach vier Monaten ist FREERIDE-Tester Tim zurück aus Whistler. Seine Schadensmeldung des Canyon Torque.
Das Canyon Torque musste in den letzten vier Monaten einiges wegstecken. Double-Black-Diamond-Trails (sie sind genau so, wie der Name suggeriert) an Vancouvers Northshore, in Squamish und Whistler machen zwar Spaß, doch teilen auch ordentlich aus. Gebrochene Bremshebel, verbogenes Kettenblatt, abgerissenes Schaltwerk oder aufgeschlitzte Reifen gehörten neben Kratzern zu den Blessuren meines Torque. Die zornigen Trails Kanadas verzeihen nichts, und hinter jeder zweiten Kurve wartet die nächste Mutprobe mit Absturzgefahr. Super: Die Lager knarzen nicht nach all den Einsatztagen.
Durch den üppigen Federweg und die Länge des Bikes fühlt man sich sowohl auf den steilen Trails in Squamish als auch auf der A-Line im Bikepark Whistler sicher. Fette Sprünge, Wurzelteppiche oder steile Felsen – für das Canyon Torque Mullet: no problem! Auf steilen Technik-Trails hätte ich mir jedoch eine Rahmengröße kleiner gewünscht. Der L-Rahmen macht es einem oft schwer, um die engen Kehren am Northshore zu zirkeln. Die robuste Ausstattung ist für einen Freerider optimal gewählt. Den Abschlussbericht lest Ihr in FREERIDE 1/23 (Erscheinungstermin am Kiosk 8. März 2023 - zum Abo geht’s hier->)
Federweg: 170 mm / 175 mm
Rahmengröße: L
Reach / Stack: 485 / 491 mm / 643 / 639 mm
Einsatzgewicht: 15,8 Kilo (ohne Pedale)
Preis: 4799 Euro
Für ein Auslands-Semester in Vancouver packte Tester Tim das Canyon Torque ein. Ein angemessenes Terrain für den Versender-Freerider, wie wir finden.
Was für ein Jahr: Whistler-Bikepark, Freeride-Trails am Northshore bei Vancouver und in Squamish, aber auch Hometrails und Enduro-Rennen in Deutschland. Action pur – dafür war das Torque genau das richtige Bike. Es musste Drops, Sprünge und auch Stürze wegstecken. Der Rahmen zeigte sich von jeglicher Herausforderung unbeeindruckt. Ebenso die Lager. Kein Knarzen oder Klackern. Das Torque schlug sich während der 2600 Kilometer und knapp 62 000 Höhenmeter tapfer. Natürlich checkte ich die Lager regelmäßig, musste sie aber nicht tauschen. Der Kettenstrebenschutz unterdrückt nerviges Kettenschlagen. Zumindest vorerst. Denn mittlerweile löst sich der Kleber und gibt den blanken Rahmen frei. Schlecht für die Geräuschkulisse und auch fürs Material. Kabelbinder schafften Abhilfe.
Die gesamte Ausstattung ist eines modernen Freeriders würdig. Die Laufräder zum Beispiel sind zwar schwer, doch steckten all die Drops, Steinfelder und Braaps locker weg. Auch bei Gabel und Dämpfer hat Canyon alles richtig gemacht. Wieso die teure Factory-Ausstattung, wenn die Grip2-Kartusche auch in der Performance-Elite-Version steckt? Zweckmäßig! Mit 15,8 Kilogramm ist das Torque kein Leichtgewicht, aber dafür robust. Ein Freerider eben. Shimanos XT-Antrieb und -Bremsen gefielen mir. Lediglich die Bremshebel erscheinen mir zu filigran. Mir gingen zwei beim Park-Shredden kaputt, und ich hatte Probleme, sie zu ersetzen. Denn Ersatzhebel gibt es oft nur in Kombination mit der gesamten Gebereinheit, auch wenn man den Hebel easy einzeln tauschen kann, ohne die Leitung zu öffnen. Das verursacht Kosten.
Das Torque kommt ohne Bashguard-Aufnahme. Für einen Freerider ein Muss, wie ich finde. Folge: Ich verbog mir das Kettenblatt. Auch wenn das Torque nicht unbedingt für Enduro-Rennen gemacht ist, musste es neben Freeride-Missionen und Mutproben am Northshore auch Enduro-Rennen ertragen. Hier macht sich das hohe Gewicht bemerkbar. Vor allem auf langen Tretpassagen und den Transfer-Stages beschleunigen die schweren Laufräder nur träge. Super: die Hinterbaukinematik. Selbst bei geöffnetem Dämpfer wippt das Torque kaum, ist progressiv genug, um Pop zu entwickeln, und reagiert dennoch sensibel auf kleine Schläge. Wird es ruppig und schnell, fühlt sich das Torque richtig wohl. Das liegt nicht nur am sensiblen Fahrwerk, sondern auch am langen Reach und dem flachen Lenkwinkel von nur 63,5 Grad. Die Reifenwahl passt sowohl zum Renneinsatz als auch zu Freeride-Touren. Der weiche 29er Maxxis Assegai in der Front erzeugt massig Grip. Im Heck verteidigt die Double-down-Karkasse des Minion DHF, gepaart mit einem nachgerüsteten Tire Insert, die Felge gegen Durchschläge.
Plus
Minus
Bestanden! Das Canyon Torque ist ein echter Freerider mit eingebauter Sicherheitsgarantie, vor allem, wenn es auf harte Freeride-Missionen geht. Top-Ausstattung, stabiler Rahmen. Schwer.