Ralf Glaser
· 15.11.2019
Der Markt bietet immer mehr Frauen-Bikes. Doch brauchen Frauen überhaupt spezielle E-MTB-Modelle? Wir zeigen, was hinter den Konzepten steckt und erklären, worauf es beim Kauf ankommt.
An der Frage der Sinnhaftigkeit von speziellen E-Mountainbikes für Frauen scheiden sich die Geister. Die einen halten solche Bikes für eine Marketing-Masche der Hersteller. Die anderen sehen in der weiblichen Anatomie ausreichend Gründe für spezielle Bike-Konstruktionen. Entwickler Vincenz Thoma vom Koblenzer Versender Canyon findet, man müsse differenzieren: "Wir haben uns viele Gedanken gemacht, wie wir Frauen optimal für sie angepasste Bikes anbieten können. Klar ist: Die Zielgruppe Frau ist ebenso wenig homogen wie jede andere. Sicher unterscheidet sich die Anatomie einer 1,75 Meter großen Frau von der eines gleich großen Mannes nicht zwangsläufig so stark, dass spezielle Konstruktionen erforderlich wären." In anderen Fällen kann eine spezifische Konstruktion Sinn machen. Fakt ist: Frauen unter 1,65 Meter tun sich schwer, passende E-MTBs zu finden. Das Angebot an sehr kleinen Größen ist gering. Ob das passende XS-Bike nun ein Frauen- oder ein Unisex-Modell ist, ist zweitrangig.
Die Herausforderung: Kleine Größen und die E-Mountainbike-spezifischen Erfordernisse – die Integration von Motor und Akku – schränken die konstruktiven Freiheiten der Entwickler ein. Durch den Motor rückt der Drehpunkt des Hinterbaus weiter in Richtung Heck als bei einem normalen Bike. Schwierigkeiten bereitet auch die Batterie: "Bei den ersten Generationen mit im Unterrohr integriertem Akku hatten wir Probleme, das Unterrohr so kurz zu konzipieren, wie das für einen XS-Rahmen notwendig gewesen wäre", erzählt Thoma.
Auch im Hinblick auf das Fahrwerk lohnt ein differenzierter Blick. Selbst bei vergleichbarer Körpergröße sind Frauen oft leichter als Männer. "Dämpfer und Gabeln sind auf einen Gewichtsbereich hin optimiert", erklärt Thoma. "Wird dieser merklich unterschritten, müssen die Federelemente im Grenzbereich also komplett offen und mit wenig Druck gefahren werden. Dadurch wird das Fahrwerk schwammiger, und es geht viel Performance verloren." Bei Frauen-Bikes setzen daher die meisten Hersteller auf Dämpfer und Gabeln mit größerem Luftvolumen. Damit ließe sich auch bei geringerem Körpergewicht eine lineare Abstimmung der Federelemente durch den gesamten Federweg erreichen, was Frauen oft als komfortabler empfinden.
Speziell für Frauen unter 60 kg Körpergewicht bringt auch ein vergrößertes Übersetzungsverhältnis am Hinterbau Vorteile. Das Verhältnis vom Hub am Hinterrad zum Hub am Dämpfer liegt normalerweise bei 1:2,5. Vergrößert man dieses Verhältnis, kann der Dämpfer trotz geringem Körpergewicht mit einem höheren Druck gefahren werden. Der Hinterbau fühlt sich so straffer, direkter an.
Auch die Frage nach dem Federweg ist ein wichtiges Kriterium bei der Kaufentscheidung. Und beim E-MTB liegen üppige Federwege im Trend. Klar, der Motor relativiert das Zusatzgewicht und die schwindende Antriebseffizienz, die mit wachsenden Federwegen einhergeht. Und viele Biker setzen Federweg mit Sicherheitsreserven gleich – eine etwas eingeschränkte Sicht der Dinge, wie Thoma findet: "Das ist nur dann richtig, wenn man den Federweg von der Fahrweise und dem bevorzugten Gelände her auch ausnutzt." Mit zunehmendem Federweg steigt die Eigenbewegung im Bike. Das Fahrgefühl wird indirekter. "Deshalb kommen Einsteiger mit etwas weniger Federweg oft besser klar."
Ein letzter, wichtiger Punkt auf der Check-Liste betrifft die Kontaktpunkte zum Bike. Sattel und Griffe betreffen die Anatomie und müssen sich individuell "richtig" anfühlen. Kleine Hände – dünne Griffe. Breite Sitzknochen – breiterer Sattel. Generell zu Gute kommt kleinen Fahrerinnen der Trend zu kurzen Kurbeln. Die bringen mehr Bodenfreiheit speziell in Uphill-Trails. Darüber hinaus passen sie auch automatisch besser zu den kürzeren Beinlängen kleinerer Fahrerinnen und Fahrer. "Wir verwenden sehr kurze Kurbeln mit 165 Millimetern Länge. Aber auch größere Fahrer sollten nicht über 170 Millimeter gehen", empfiehlt Vincenz. Andere Hersteller verbauen sogar 160er- oder 155er-Kurbeln, top für kleine Frauen.
Ein Augenmerk muss man auch auf ein richtig dimensioniertes Cockpit richten. Allerdings entscheidet hier nicht die nackte Breite des Lenkers. "Es kommt auf eine gute Harmonie an", sagt Thoma. Wichtig seien auch Faktoren wie Lenkwinkel und Laufradgröße. Wenn eine Frau mit schmalen Schultern einen Lenker als zu breit empfinde, müsse das nicht allein am Lenker liegen. Das Prinzip dahinter: Flache Lenkwinkel, breite Reifen und ein großes Vorderrad erfordern einen guten Hebel, ergo: einen breiten Lenker. "Und anders herum gilt das natürlich ebenso."
Körpergeometrie, Gewicht, Fahrstil, Sicherheitsempfinden: Ein spezielles Frauen-Bike muss unterschiedliche Ansprüche berücksichtigen. Darauf kommt es an.
1. Geometrie
Das wichtigste Maß, das entscheidet, ob ein kleiner Mensch auf ein Bike passt, betrifft die Länge des Sitzrohrs (s. rechts). Die Länge des Oberrohrs entscheidet über die Position auf dem Bike: Ein langes Oberrohr führt zu einer eher sportlichen Position, ein kurzes zu einer zentralen und damit komfortablen Position. Auch die Kettenstreben reden, gerade an E-MTBs, ein wichtiges Wörtchen beim Handling des Bikes mit: je kürzer, desto agiler ist das Bike. Gerade kleine Fahrer/innen sollten auf kurze Kettenstreben achten. Ein flacher Lenkwinkel bringt Vorteile in steilen und schnellen Abfahrten, kann aber eine gewisse Trägheit mit sich bringen.
2. Fahrwerk
Viel Federweg hilft viel? Ja, aber nur, wenn man ihn nutzt. Entscheidend ist, dass das Bike zum Einsatzbereich passt. Wollen Sie ein Bike, das auch in schwierigen Fahrsituationen und im groben Gelände viel Sicherheit vermittelt? Dann können Sie zu 150 mm oder mehr greifen. Auf Touren ohne hohen Anspruch an die Fahrtechnik sind Sie mit 130 mm Federweg gut bedient. Wichtig: Die Federelemente müssen auf das Körpergewicht einstellbar sein. Bei Werten unter rund 55 Kilo kommen Standard-Setups an ihre Grenzen. Vergewissern Sie sich, dass der Hersteller Gabel und Dämpfer auf geringes Gewicht getunt hat.
3. Bereifung
Das höhere Systemgewicht (Fahrerin plus Bike) gegenüber einem konventionellen Bike stellt auch an die Bereifung höhere Ansprüche. Alle aktuellen E-MTBs kommen auf Laufrädern mit 29 oder 27,5 Zoll Durchmesser. Die Wahl der Laufradgröße sollte man auch von der Körpergröße abhängig machen. 29er könnten für kleine Fahrer/innen zu sperrig sein. Bei 27,5-Zoll-Laufrädern haben sich inzwischen Reifenbreiten von 2,6 bis 2,8 Zoll durchgesetzt: mehr Grip, weniger Durchschläge, mehr Komfort. Trotzdem: Sehr sportliche Fahrerinnen werden sich aufgrund des indirekteren Fahrgefühls für nicht zu breite Reifen (max. 2,6) entscheiden.
4. Übersetzung
Einfach-Kettenblätter an der Kurbel haben sich bei E-MTBs als Standard durchgesetzt. Zum Glück, denn durch die höheren Kräfte bei E-MTBs ist die Gefahr eines Kettenrisses beim Wechsel des Blattes hoch. Wer viel in steilem Gelände und an hohen Bergen unterwegs ist, schafft mit einer leichten Übersetzung Reserven und schont Kraft wie Motor. Für Berg-Touren sollte das größte Ritzel der Kassette mindestens 46 Zähne haben, vorne sind Kettenblätter mit maximal 34 Zähnen (Bosch unter 16 Zähne) ideal. So lassen sich steile Rampen entspannter erkurbeln. Außerdem muss nicht bei jeder stärkeren Steigung der Vollgas-Modus eingelegt werden.
5. Antrieb/Akku
Die Motoren der meisten E-MTBs unterscheiden sich weniger in den nackten Leistungsdaten. Entscheidender ist das subjektive Empfinden, welche Motorcharakteristik einem zusagt – das lässt sich am besten mit einer Probefahrt herausfinden. Bei den Akkus, zumindest bei Wechsel-Akkus, sind 500 Wh Standard, seltener kommen Akkus mit
600 Wh serienmäßig zum Einsatz. Für kürzere Runden reicht dies locker aus. Wer jedoch längere Tages-Touren fahren möchte, kommt um einen Zweit-Akku kaum herum – hier lohnt also auch ein
Blick auf den Preis. Integrierte Akkus sind aufgrund von Größe und Form als Wechsel-Akkus teils suboptimal.
Das richtige Maß entscheidet über Fahrspaß, Fahrdynamik und Effizienz. So treffen Sie eine gute Vorauswahl und finden die genau passende Rahmengröße.
Kleine Fahrerinnen (unter 1,65 m) tun sich schwer, passende E-MTBs zu finden. Entscheidend, ob ein Rahmen passt, ist in diesem Fall die Sitzrohrlänge. Einige Hersteller kaschieren zu lange Sitzrohre mit kurzhubigen Teleskopstützen. Frauen, die im anspruchsvollen Gelände biken wollen, sollten mindestens 100, besser 120 Millimeter Verstellbereich an der Stütze wählen. Dafür darf das Sitzrohr nicht zu lang sein.
Zur korrekten Ermittlung der Schrittlänge, die bei der Wahl der Rahmengröße hilft, bitten Sie am besten eine zweite Person, Ihnen zu helfen. Sie benötigen eine Wasserwaage (oder ein Buch) sowie ein Maßband. Stellen Sie sich nun ohne Schuhe mit dem Rücken an eine Wand und schieben Sie die Wasserwaage bis ganz nach oben in den Schritt. Ihr Helfer muss nun Maß nehmen: von der Oberkante der Wasserwaage bis zum Boden. Die Wasserwaage muss horizontal ausgerichtet sein. Multiplizieren Sie nun den gemessenen Wert mit dem Faktor 0,547 – so erhalten sie einen Richtwert für die Sitzrohrlänge in Zentimetern. Doch Vorsicht, eine Probefahrt ersetzt diese Methode nicht!
Größe, Geometrie, Fahrwerk – alles wichtig. Doch oft machen die Details den Unterschied.
Schiebehilfe
Irgendwann kommt auch mit einem E-MTB einmal der Punkt, an dem der Weg zu steil wird. In solchen Fällen ist eine gut funktionierende Schiebehilfe Gold wert. "Das ist vielleicht der einzige wirklich frauenspezifische Punkt an einem E-MTB", meint Woman-Camp-Leiterin Greta Weithaler. "Wenn eine zierliche 50-kg-Frau ein Bike mit 22 kg steil bergauf schieben soll, ist ohne eine gute Schiebehilfe schnell Schluss. Für mich ist das ein klares Kaufkriterium. Ob einem die Funktion liegt, sollte man unbedingt ausprobieren." Neben der eigentlichen Kraftentwicklung der Schiebehilfe sei vor allem die gute Erreichbarkeit des Schalters ein wichtiger Punkt. "Der Lenker wird mit der linken Hand geführt, während der rechte Ellenbogen Druck auf den Sattel gibt. Dann noch auf das kleinste Ritzel schalten, und das Bike klettert fast von alleine", verrät Greta.
Flat Pedals
Klickpedale sind wegen der Kraftübertragung beim Pedalieren beliebt. Beim E-MTB ist dieser Vorteil weniger relevant. Wer das Fahren mit Klickpedalen nicht explizit gewöhnt ist, sollte besser zu Plattformpedalen greifen. Gerade für leichte Frauen sind diese sicherer, da man im Falle eines Sturzes leichter vom Rad wegkommt.
Teleskopstütze
Vor allem im welligen Gelände erhöhen verstellbare Sattelstützen (min. 100 mm) den Fun-Faktor erheblich. Beim E-MTB ist eine solche Sattelstütze insbesondere für kleine Frauen unabdingbar. Im sehr steilen Gelände wird durch sie ein Anfahren überhaupt erst ermöglicht. Da Vario-Stützen einzeln sehr teuer sind, sollte man unbedingt darauf achten, dass das Bike serienmäßig damit ausgestattet ist.
Lenkerbreite
"Bei der Wahl des Lenkers sind die Körperabmessungen des Fahrers nur ein Faktor. Und nicht der Wichtigste!", sagt Canyon-Entwickler Vincenz Thoma. "Auch für eine Frau mit schmalen Schultern kann ein breiter Lenker der richtige sein." Wichtiger sei ein ausgewogenes Verhältnis von Lenkerbreite und Faktoren wie Gabelnachlauf, Reifenbreite und Laufradabmessungen. Heißt: Am Lenker müssen die richtigen Hebel-verhältnisse wirken, damit man den Kräften, die auf das Vorderrad wirken, feinfühlig entgegensteuern kann. Faustregel: "Je flacher der Lenkwinkel, je breiter die Reifen, je größer das Vorderrad, desto breiter muss der Lenker sein – und anders herum!"
Fürs E-MTB hängte die Südtirolerin Greta Weithaler ihre vielver-sprechende Rennsportkarriere an den Nagel. Heute gibt sie ihr Wissen in Woman-Camps weiter.
Greta, warum sollten sich Frauen für spezielle Frauen-E-Mountainbikes entscheiden?
Gerade für Einsteigerinnen sind Frauen-Bikes eine gute Möglichkeit, um eine Vorauswahl in dem riesigen Angebot zu treffen. Ich selbst bin nur 1,64 m groß und fahre Unisex-Bikes. Ich würde sagen, ab meiner Größe ist das eigentlich nur eine Option, aber kein Muss. Wenn Frau kleiner ist als ich, bringen speziell angepasste Bikes Vorteile. Etwa wegen des oft geknickten oder tiefer angesetzten Oberrohrs, das mehr Beinfreiheit lässt.
Worauf sollten Frauen beim Kauf achten?
Das ist keine Frage von Frau oder Mann. Man sollte sich gut überlegen, was man mit dem Bike anstellen will. Ob man ein Fully möchte oder nicht, und wenn ja, mit wie viel Federweg. Ich empfehle grundsätzlich Fullys. Hardtails fährt man ja meist wegen der Gewichtsersparnis. Das ist beim E-Bike aber eher zweitrangig. Achten sollte man vor allem auf Geometrie und Motor, denn diese sind nicht veränderbar. Komponenten kann man tauschen.
Was ist bei der Geometrie zu beachten?
In den Woman-Camps wird nie über Geometriedaten diskutiert. Dafür interessieren sich Frauen nicht. Für sie geht es darum, dass sie sich auf einem Fahrrad wohlfühlen. Und genau dafür, ob sie sich wohlfühlen oder nicht, haben Frauen oft ein besseres Gefühl als Männer. Der Wohlfühlfaktor lässt sich aber nur auf einer ausgiebigen Probefahrt beurteilen. Ich fahre zum Beispiel gerne Trails bergauf. Für mich ist daher ein kurzes Oberrohr wichtig, damit ich aufrecht auf dem Bike sitze und Hindernisse gut überwinden kann.
Wie kommen Frauen mit dem, im Verhältnis zu ihrem Körpergewicht, höheren Gewicht von E-MTBs klar?
Das ist eine reine Gewöhnungssache. Aber in den Woman-Camps sind die Teilnehmerinnen oft begeistert, wie satt ein E-MTB auf dem Trail liegt. Wenn die Trails nicht zu schwierig und technisch werden, bringt das höhere Gewicht vielen Frauen sogar ein Gefühl von mehr Sicherheit.
Was, außer besser fahren, lernen Deine Teilnehmerinnen noch?
Auf den Camps gibt es ein riesiges Interesse an Reparaturtipps. Frauen sollten ihr Bike selbst warten. Damit steigt das technische Verständnis, und man kann sich unterwegs bei Pannen selbst helfen. Ich hoffe da immer, dass wir eine Panne haben, damit wir das üben können. Und falls nicht, simulieren wir schon mal eine Panne.