Firmenreportage RebikeDer etwas andere Second-Hand-Bikehandel

Adrian Kaether

 · 01.11.2022

Firmenreportage Rebike: Der etwas andere Second-Hand-BikehandelFoto: Adrian Kaether

„Gebraucht, wie neu“ – dieser alte Slogan trifft bei Rebike tatsächlich zu. Wie aus einer Gartenzaunbekanntschaft eines der aufstrebendsten Startups der E-Bike-Welt wurde.

Eine große, graue Halle im Kemptener Industriegebiet. Blaue Fensterrahmen, Blechverkleidung, keine Schilder. Seit wenigen Wochen soll sich hier ein E-Bike-Startup verbergen, das einen raketenhaften Aufstieg hingelegt hat: Rebike. Erst als Firmengründer Sven Erger auf dem Parkplatz auftaucht ist klar: Hier sind wir richtig. Ganz nach klassischem CEO sieht der Rebike-Chef jedoch nicht aus. Statt Anzug und Krawatte trägt er Kapuzenpulli, Smartwatch und Bike-Schuhe.

“Die ersten Bikes haben wir gebraucht von Privat über Ebay-Kleinanzeigen gekauft. Dann bin ich mit einem Sprinter quer durch Deutschland gefahren, hab’ sie eingesammelt und selbst wieder auf Vordermann gebracht.” - Sven Erger, Rebike-Gründer
 Sven Erger, Rebike-GründerFoto: Adrian Kaether
Sven Erger, Rebike-Gründer

Sven weist uns einen Parkplatz an. Dann geht’s hinter ihm durch viele Türen und Büroräume in einen neuen Aufenthaltsraum. Plastikvorhänge sind provisorisch aufgehängt, dahinter hört man das Dröhnen der Handwerker. Sie seien gerade erst eingezogen, sagt Sven.

Von der Kellerwerkstatt zum erfolgreichen Start-Up-Unternehmen

Mit zwei Montageständern im Keller seines Nachbarn hat vor vier Jahren alles angefangen. Sein Nachbar ist Mitgründer Thomas Bernik. Davon ist Rebike jetzt Welten entfernt. Im neuen Refurbishment-Zentrum in Kempten, in dem wir uns heute treffen, kommen jeden Tag mehrere LKW voller Bikes an. Davon, dass das Unternehmen so schnell groß werden würde, hatten Sven und sein Kompagnon Thomas damals kaum zu träumen gewagt. Im Januar 2018 war es, als Thomas die Idee für Rebike kam. „Ich war da gerade bei Microsoft raus“, erzählt Sven. „Nach 13 Jahren. Insgesamt war ich 17 Jahre in großen Konzernen, und ich hatte die Nase voll.“ Mit Mitte vierzig war es vielleicht die letzte Chance, im Leben noch mal etwas anderes zu machen. Sven bekam eine Abfindung und ging mit seiner Partnerin erst mal ein halbes Jahr zum Freeskiing nach Japan, Georgien, Sibirien.

Dann kam Thomas auf Sven zu. Der Unternehmer hatte den Trend zum E-Bike beobachtet. „Obwohl er gar kein Fahrradfahrer ist“, sagt Sven, „aber nach Business-Gesichtspunkten war das interessant für ihn.“ Thomas ist Realist. Ihm war klar, dass er in Sachen Fahrrad nicht über die notwendige Kompetenz verfügt. „Aber er hat mich ja immer gesehen, wie ich mich wenigstens jeden zweiten Tag zum Trainieren aufs Bike
geschwungen habe. Und er wusste auch, dass ich bei Microsoft raus war.“

Im ersten Schritt packen Mitarbeiter die gebrauchten Bikes aus, kontrollieren, ob Akku und Schlüssel zur Rahmennummer passen und waschen das Rad gründlich. Auch schwer erreichbare Stellen werden aufwändig von Hand gesäubert.
Foto: Adrian Kaether

Am Anfang war die Idee

Beide waren von Anbeginn von der Idee überzeugt. Klar war aber auch: ebenso groß wie die Chance, war auch das Risiko. Das Risiko zu scheitern, das Risiko, viel Geld in den Sand zu setzen. Von 20 auf 3500 Quadratmeter, von zwei auf über 100 Mitarbeiter ist Rebike seitdem gewachsen. Das Konzept: eine Gebrauchtplattform für hochwertig wiederaufbereitete E-Bikes, auf die der Käufer volle Garantie bekommt. Selbst auf Motor und Akku. Schon im Jahr eins nach der Firmengründung bekamen die beiden einen Eurobike-Award, heute machen sie einen zweistelligen Millionenumsatz. Der E-Bike-Boom, auch während der Pandemie, und die schlechte Verfügbarkeit von Neurädern haben Rebike in die Hände gespielt. Doch die ersten Jahre waren nicht immer leicht. Sven und Thomas, die beiden Geschäftspartner, stellten sich eine Bedingung: von
Anfang an viel privates Geld in die Idee Rebike zu investieren.

„Man muss schon bereit sein, ein Risiko einzugehen.“ Nur dann geht man ans Limit, arbeitet Nächte durch, stellt auch mal Privates zurück, wenn es darauf ankommt. „Das darf einen nicht ruinieren, aber man muss mit vollem Einsatz an etwas Großem arbeiten und kann da nicht einfach die Reißleine ziehen, wenn es kritisch wird“, sagt Sven Erger.

Solange die Firma weiter so schnell wächst wie momentan, ist die Arbeitsbelastung extrem. Sven weiß, dass er Prioritäten setzen muss, dass die Freizeit für ein paar Jahre knapp sein wird. Die Firma und seine Familie stehen für ihn im Vordergrund, das Biken muss sich im Moment etwas hinten anstellen. Trotzdem fährt Sven fast jedes dritte Wochenende nach Süden, arbeitet dann auch mal von dort. Das Lieblingsrevier des Firmenchefs, der steile und technische Trails bevorzugt: der Gardasee. „An den Südausläufern des Monte Baldos gibt’s unfassbare Trails, die kaum ein Mensch kennt. Und anders als im Norden sind da auch fast keine Biker.“

Doch die Zeit dafür ist knapp. Sven pendelt ständig zwischen dem Hauptsitz in München und dem neuen Refurbishment-Zentrum in Kempten hin und her. Der neue Standort war eine gute Entscheidung, bringt von Kosten über Personal bis zur Logistik viele Vorteile, auch wenn Sven dadurch viel unterwegs ist. Aber nicht immer waren die Entscheidungen in der jungen Firmengeschichte Volltreffer.

„Man muss Dinge ausprobieren. Erst dann sieht man, ob eine Idee funktioniert“, gibt Sven zu.

Nach den ersten Erfolgen mit zwei Rental-Stores für die refurbishten Bikes in Garmisch und Oberstdorf wollten sie das ganze Allgäu mit Verleihstationen pflastern. Dann die Nord- und Ostsee, dann ganz Deutschland. „Wir haben dann aber gemerkt, dass das viel zu aufwändig wird.“ Doch damit war die Verleihidee nicht begraben. Ganz im Gegenteil. „Es ist bei den zwei Stores geblieben – aber wir haben umgeschwenkt und stattdessen das E-Bike-Abo als Online-Plattform aufgebaut.“

Profi-Kontrolle und Austausch von fragwürdigen Teilen. Das macht die Rebike-Räder fast neuwertig.Foto: Adrian Kaether
Profi-Kontrolle und Austausch von fragwürdigen Teilen. Das macht die Rebike-Räder fast neuwertig.

Zweites Standbein von Rebike: das E-Bike-Abo

Dieses E-Bike-Abo ist heute das zweite Standbein der Firma – und lässt sich als Geschäftsmodell nahtlos mit dem Refurbishment verbinden. Beim E-Bike-Abo mietet der Kunde ein brandneues oder neuwertiges Bike für mindestens drei Monate. Meist für den Kern der Saison – einen Zeitraum also, in dem das Bike auch viel benutzt wird. Nach der Rückgabe wird das Bike wieder aufbereitet und je nach Laufleistung noch mal im Abo angeboten. Die Bikes stehen so möglichst wenig ungenutzt herum, der Kunde fährt immer ein Bike auf aktuellem technischen Stand, und am Ende werden die Abo-Bikes refurbisht und als hochwertige Gebrauchte verkauft.

Sven lenkt jetzt seine Schritte in Richtung des eigentlichen Refurbishment-Zentrums. Eine Tür noch, dann öffnet sich die große Halle vor unseren Augen. Hinten riesige Lagerräume voller Bike-Kartons, vorne Ersatzteillager, Fotostudio. Dazwischen die Arbeitsplätze mit Montageständern und Touch-Bildschirmen, der Testparcours, die Waschstraße.

Gerade saust Montageleiter Christoph quer durch den Raum. In Jeans und Arbeitsschuhen macht der Bikepark-Fan eine Probefahrt auf einem Orbea Rise. Der letzte Akt, bevor das Bike verpackt und dem Kunden zugestellt wird. Christoph ist einer von vielen Mitarbeitern, die sich Sven speziell wegen ihrer Passion fürs Biken geangelt hat. „Es ist wichtig, im Refurbishment Mitarbeiter zu haben, die mit dem Biken emotional verbunden sind“, findet Sven. Nur Biker wissen, was Biker erwarten: „Ein einwandfreies Produkt, das mit hochwertigen Teilen instand gesetzt ist.“ Die Bikes für Rebike kommen aus Messebeständen großer Hersteller, aus Leasing-Flotten oder sind Rückläufer aus dem Abo-Modell.

Bis ein Bike aufbereitet und bereit für den Verkauf ist, vergeht jedoch viel Zeit. Erst werden die Gebrauchten von Hand gewaschen, dann prüfen ausgebildete Mechaniker die Räder auf Schäden und tauschen die Verschleißteile. Akku und Motor werden ausgelesen, Ladezyklen und Defekte dokumentiert und behoben. Jeder Teiletausch wird im digitalen Organisations-Tool erfasst, das eigens für Rebike entwickelt wurde. Sven war das besonders wichtig. „Ich komme aus einer Branche, die komplett digital denkt. Ganz klar: Wenn wir hier auf mehr als 50.000 E-Bikes pro Jahr skalieren wollen, können wir uns nicht auf mündliche Kommunikation verlassen.“

Niedriger Druck und sanfte Reiniger sollen Bike und Lager schonen. Der Reiniger wird unten im Container aufgefangen und wiederverwertet. All das soll bald automatisiert werden. Nur die Feinarbeit wird dann noch von Hand erfolgen.Foto: Adrian Kaether
Niedriger Druck und sanfte Reiniger sollen Bike und Lager schonen. Der Reiniger wird unten im Container aufgefangen und wiederverwertet. All das soll bald automatisiert werden. Nur die Feinarbeit wird dann noch von Hand erfolgen.

Das nächste Ziel bei Rebike: noch mehr Automatisierung. Das Fotostudio ist schon geschafft, die Waschstraße soll der nächste Schritt sein. Und auch international will das Startup expandieren. Frankreich, die Niederlande und die Schweiz stehen auf der Liste. 24 Millionen Euro hat Svens Geschäftspartner Thomas dafür in weiteren Finanzierungsrunden bereits gesammelt. Hauptinvestor ist Circulary Capital, ein europaweiter Groß­investor für nachhaltiges Wirtschaften. Der Traum von 50.000 refurbishten E-Bikes pro Jahr könnte damit bald Wirklichkeit werden.

Die Gründer von Rebike: Sven Erger und Thomas Bernik

Die Geschichte von Rebike ist die Geschichte einer guten Nachbarschaft in Krailling bei München. Sven und Thomas lebten nur Zaun an Zaun, doch der Unternehmer und der sportverrückte Microsoft-Mitarbeiter pflegten eine gute Beziehung. Schließlich – mit Mitte vierzig – zog Sven bei Microsoft die Reißleine und nahm ein Angebot zur Abfindung an. Sven wollte sich selbstständig machen, Thomas lieferte die Steilvorlage. Der Unternehmer hatte die Idee zu Rebike und verstand viel von den betriebswirtschaftlichen Grundlagen, aber wenig von den Bikes selbst. Sven, der in der Freizeit am liebsten auf dem Bike sitzt, lieferte mit Knowhow und digitaler Kompetenz den Gegenpart. 2018 wurden die ersten Gebraucht-Bikes aufgekauft, im Juni 2018 ging die Website Rebike online. 30.000 E-Bikes hat Rebike seitdem refurbisht und weiterverkauft.

Die Rebike-Gründer Sven Erger (links) und Thomas BernikFoto: Daniel Mueller
Die Rebike-Gründer Sven Erger (links) und Thomas Bernik