Florentin Vesenbeckh
· 28.05.2019
Das eOne-Sixty von Merida war eines der ersten kompromisslosen E-Enduros. Jetzt steht der Nachfolger der gelungenen Trail-Maschine in den Startlöchern. Kann der Neuling eine Schippe drauflegen?
Das eOne-Sixty von Merida war eines der ersten E-Enduros, das kompromisslos auf harten Trail-Einsatz ausgelegt war. Vor zwei Jahren sicherte sich das Bike mit top Fahreigenschaften und fairem Preis den Testsieg der Enduro-Kategorie im EMTB Magazin (Ausgabe 3/17). Inzwischen haben aber viele Hersteller nachgelegt und die Messlatte für die neueste Ausbaustufe des Merida-Flagschiffs hochgelegt. Optisch hat sich der Neuling massiv gewandelt und definitiv eine neue Stufe erreicht. Aber kann das 2020er-eOne-Sixty auch auf dem Trail zulegen?
Das Herzstück des neuen eOne-Sixty stammt weiter aus dem Hause Shimano. Der E8000-Antrieb sorgt für Vortrieb, im Einstiegsmodell sitzt der etwas schwächere E7000-Motor. Neu ist hingegen der Akku. Erstmals setzt Merida beim 2020er-Modell auf einen Intube-Akku, der ins Unterrohr integriert ist. Zum Einsatz kommt der neue, schlanke BT-E8035, der beim BIKE Festival in Riva erstmals im Propain Ekano zu sehen war. Mit 504 Wattstunden zieht diese Batterie im Wettstreit um maximale Kapazität gegen einige große Energieträger zwar den Kürzeren, dafür bleiben die Maße kompakt und das Gewicht mit knapp 2,9 Kilo im Rahmen. Top: Das Handling beim Akku-Ausbau ist super. Besonders: Das Topmodell kommt serienmäßig mit zweitem Akku und einem Evoc-Rucksack, der den Ersatzakku spielend aufnimmt.
Um das Gewicht des Bikes niedrig zu halten, setzt Merida auf einen Carbon-Hauptrahmen. So soll das Chassis, trotz aufgeschnittenem Unterrohr, bei gleicher Steifigkeit leichter als sein Alu-Vorgänger sein. Das Topmodell soll so bei 21,9 Kilo landen (Herstellerangabe). Exakt diesen Wert haben wir 2017 auch beim eOne-Sixty 900 mit Alu-Rahmen und externem Akku gemessen. Das Bike kostete damals 4999 Euro, der Neuling fällt massiv teurer aus. Unter anderem treiben Carbon-Laufräder und das Carbon-Chassis den Preis in schwindelerregende Höhen. Schon die Modellbezeichnung "eOne-Sixty 10k", lässt erahnen, dass selbst ordentlich gefüllte Geldbeutel an dieser Anschaffung ziemlich zu knabbern haben.
Aber erst einmal zu den Fakten. Für ein direkteres und agileres Fahrverhalten verbaut Merida schmalere Reifen. 2,5 Zoll an der Front, 2,6 am Hinterrad. Zum Einsatz kommt der ebenso bewährte wie beliebte Laufradmix aus 29 Zoll vorne und 27,5 hinten. Die Vorteile: Vorne sorgt das große Laufrad für Stabilität, Sicherheit und gutes Überrollverhalten, während das kleinere Hinterrad kürzere Kettenstreben und damit ein spielerisches Handling ermöglicht. An der Front werkelt eine 160-Millimeter-Gabel, der Hinterbau holt 150 Millimeter aus dem Dämpfer. Erfreulich: Das zulässige Systemgewicht gibt Merida mit 140 Kilo an.
Detailverbesserungen statt Radikalkur. Von der Geometrie des eOne-Sixty war Merida so überzeugt, dass für die neue Evolutionsstufe des Bikes nur an einigen Parametern gedreht wurde. Der Lenkwinkel wird mit 65,5 Grad flacher, der Sitzwinkel etwas steiler. Das Tretlager wurde etwas tiefer gelegt, kurze 165er-Kurbeln sollen die fehlende Bodenfreiheit ausgleichen. Die Kettenstreben bleiben mit 440 Millimetern auf der kurzen Seite, der Reach modern, aber nicht extrem lang (460 Millimeter bei Größe L). Das eOne-Sixty gibt es in fünf Größen von XS bis XL mit Reachwerten zwischen 400 und 480 Millimetern.
Die neuen Carbon-Modelle wechseln für rund 5000 und knapp 10000 Euro den Besitzer. Das Topmodell mit dem aussagekräftigen Namen eOne-Sixty 10k greift dabei konsequent in die oberste Schublade der Komponentenhersteller. Carbon-Laufräder von DT Swiss, 12fach-Shimano-XTR-Schaltung und XTR-Bremsanlage mit vier Kolben. Dazu gesellen sich edle Fox-Factory-Federelemente. Außerdem ist beim Topmodell immer ein zweiter Akku und ein exklusiver Evoc FR Trail E-Ride-Rucksack mit dabei. Los geht´s mit dem eOne-Sixty 5000 für rund 5000 Euro, das auf Deore-Schaltung und Rockshox-Federelemente setzt.
Alle Ausstattungsvarianten kommen mit Maxxis-Reifen mit der verstärkten Karkasse Exo+. Am Vorderrad kommt der Downhillreifen Assegai zum Einsatz, hinten ein Minion DHRII.
Neben den vier neuen Varianten mit Carbonrahmen wird es auch weiterhin zwei Varianten des herkömmlichen eOne-Sixty mit Alu-Rahmen und externem Shimano-Akku geben, die preislich beide klar unter 5000 Euro liegen werden.
Ab Oktober 2019 sollen die Bikes verfügbar sein, die exakten Preise und Ausstattungen wurden noch nicht bekannt gegeben.
Wir konnten die Topversion eOne-Sixty 10k bereits einen Tag auf abwechslungsreichen Trails nördlich von Barcelona testen. Der erste Eindruck: Das Bike bringt massig Fahrspaß! Die kurzen Kettenstreben machen das Handling leichtfüßig. Das Bike lässt sich sehr leicht aufs Hinterrad ziehen und an Kanten und Sprüngen in die Luft befördern. Wer gerne mit seinem Bike spielt, wird das lieben. Die neue, schmalere Reifenwahl (der Vorgänger setzte auf 2,8er-Plusreifen), macht das Bike noch sportlicher. Treffsicher und präzise verfolgt das Bike die gewählte Linie und verleiht dabei viel Sicherheit. Das Fahrwerk arbeitet sensibel und gibt den Federweg bereitwillig frei, die Endprogression fällt gering aus. Das führt zu hohem Komfort. Auf unseren Testrunden bot der Hinterbau aber auch für sportlichen Einsatz genug Gegendruck. Wirklich ruppige Rumpelpassagen waren allerdings auch Mangelware. Wir sind gespannt, wie sich das eOne-Sixty, insbesondere die erschwinglicheren Varianten, im Vergleich zur Konkurrenz und in noch anspruchsvollerem Terrain schlägt.
Im Anstieg lässt sich das Bike ebenfalls sehr kontrolliert bewegen. Die Sitzposition ist eher komfortabel, der Fahrer sitzt zentral über dem Bike. Durchden steilen Sitzwinkel fallen die kurzen Kettenstreben nicht so sehr ins Gewicht. An den steilsten Rampen unserer Testrunde ließ sich das Vorderrad mit etwas Körpereinsatz gut am Boden halten. Der Hinterbau steht dabei stabil im Federweg, bleibt aktiv ohne Wegzusacken.
Das eOne-Sixty ist eine echte Spaßmaschine, die voll auf Trails ausgelegt ist. Egal ob versierter Enduro-Pilot oder Genuss-Trailbiker: Bei dem Neuling gilt das Motto "draufsetzen und wohlfühlen". Leider muss man für die neuen Modelle mit Carbonrahmen deutlich tiefer in die Tasche greifen, als für den beliebten Vorgänger.