Markus Greber
· 10.01.2017
Sie sehen martialisch aus, fast wie Motocross-Maschinen, und liefern reichlich Federweg. Doch Enduro-E-Mountainbikes sind nicht nur Spezialgeräte fürs Grobe, sondern auch komfortable Allrounder.
Ein Kompromiss ist dann vollkommen, wenn alle unzufrieden sind – das galt, zumindest bisher, für das Mountainbike klassischer Art. Alles, was bergab schnell ist und Spaß macht, bremst den Vortrieb bergauf. Viel Federweg macht das Gerät zum Schaukelstuhl, mit dicken, schweren Reifen walzt man sich einen Wolf. Umgekehrt macht es nur eingeschränkt Spaß, mit einem filigranen, pannenanfälligen Leichtbau-Bike bergab zu holpern. Die Fahrzustände "Bergauf" und "Bergab" lassen sich unmöglich zu aller Zufriedenheit unter einen Hut bringen.
Anders beim E-Mountainbike: Hier schiebt bergauf der Motor, unabhängig von Federwegen und leichten Laufrädern. Bedeuten also dicke Plus- oder gar Downhill-Pneus (siehe Konzeptvergleich Reifen aus EMTB 2/2016) und langhubige Federelemente an E-MTBs wirklich Genuss ohne Reue?
Für den wohl aufwändigsten E-MTB-Test aller Zeiten haben wir vier E-MTBs der Enduro-Klasse unter die Lupe genommen. Federwege von 160 bis 180 Millimetern, Gewichte um 22 Kilo – ohne Motor wären diese Bikes fast
Downhill-Geräte. Zunächst mussten die Kandidaten im Bikepark und auf ruppigen Downhill-Strecken ihre Freeride-Eigenschaften unter Beweis stellen. Dafür holten wir unsere Kollegen vom Schwestermagazin FREERIDE als Kompetenzpartner dazu. Im Anschluss durchliefen die Probanden diverse Messfahrten beim Reichweiten- und Effizienztest sowie ausgiebige Prüfungen auf unseren Testrunden am Gardasee und im bayerischen Voralpenland.
• Cube Stereo 160 Hybrid
• Haibike Xduro Nduro Pro
• Lapierre Overvolt SX 800
• Rotwild RE+
Die vermutlich wichtigste Frage: Wie viel Reichweite kostet das Mehr an Fahrspaß, Komfort und Sicherheit? Interessante Daten liefern hierzu die Messungen aus unserem Highend-Hardtail-Test (ab Seite 32). Den idealen Vergleich "Enduro gegen Hardtail" stellt man am besten zwischen den Modellen ein und desselben Herstellers an: wie etwa am Beispiel Rotwild mit dem Enduro RE+ und seinem Hardtail-Pendant RC+ HT. Hinten ungefedert und gespickt mit Leichtbau-Parts bringt das Hardtail etwa 2,5 Kilo weniger auf die Waage, besitzt aber nur 100 statt 170 Millimeter Federweg. Dazu Reifen: Die Conti X-King rollen am Rotwild-Hardtail wesentlich leichter als die traktionsstarken Trail-King-Pneus des großen Bruders. Ansonsten: identischer Motor, gleiche Akku-Kapazität. Ergebnis beim Reichweitentest: Das Hardtail kommt gerade mal 40 Höhenmeter weiter. Ein vollkommen irrelevantes Ergebnis, wenn man bedenkt, um wie viel größer der Einsatzbereich des Enduro-Fullys ist. Zu ähnlichen Ergebnissen kommen wir übrigens auch in unserem Reifen-Systemvergleich. Wir lernen: Enduros bringen keine signifikanten Nachteile in Sachen Reichweite.
Frage Nummer zwei: Leiden die Fahreigenschaften bergauf durch die Federwege und Enduro-Geometrien? Unsere Testrunde am Gardasee führt bergauf durch steile Schotterhalden, aber auch über verwinkelte, wurzeldurchsetzte Wald-Trails, auf denen Wendigkeit Trumpf ist. Keines der Test-Bikes fällt hier aufgrund des Federwegs negativ auf. Im Gegenteil: Der Wiegetritt, beim klassischen MTB Hauptübeltäter für Fahrwerkswippen, spielt auf dem E-MTB keine Rolle. Der Motor setzt den unrunden und stampfenden Tritt in gleichmäßigen Vortrieb um. Daher kann man bei diesen Bikes mit dem Mehr an Hub ganz anders umgehen. Man sitzt bergauf recht entspannt im Sattel und lässt die Federung unter sich arbeiten. Je mehr Federweg, desto komfortabler ist man unterwegs. Grenzen setzt hier allerdings die Abstimmung. Damit das Bike hinten nicht zu sehr wegsackt, ist eine ausgeklügelte Kinematik sowie ein Dämpfer mit Plattformfunktion unerlässlich. Cube, Rotwild und Haibike überwinden diese Hürde mit Bravour. Letzteres schafft es sogar besonders gut, den riesigen Hub von 180 Millimetern am Heck im Zaum zu halten. Leichte Schwächen leistet sich hier nur das
Lapierre: Der Hinterbau des Overvolts sackt deutlich durch, wodurch sich das Bike früh vorne aufbäumt. Am besten fährt man mit den Bikes von Cube und Rotwild bergauf. Das liegt vor allem an den ausgewogenen, nicht zu kurzen und vorne nicht allzu hohen Geometrien. Allerdings stellen beide Bikes deutlich weniger Federweg bereit als das Haibike-Enduro. Top-Noten in der Disziplin Uphill verhindert bei Haibike aber nicht die Kinematik, sondern die hohe Front am zudem recht kurzen Nduro Pro.
Die entscheidende Rolle bergauf spielt natürlich der Motor. In der Punktetabelle bewerten wir den Antrieb extra, also abgekoppelt von der Bergauf-Wertung. Zu unterschiedlich sind die individuellen Geschmäcker und damit subjektiven Bewertungen. Der Antriebsfavorit ist jedoch auch bei diesem Testfeld wieder einmal Bosch: Cube und Haibike sind mit selbigem ausgestattet und bestechen mit bestem Vortrieb und top Dosierbarkeit. Die Yamaha- und Brose-Aggregate an Lapierre und Rotwild sind spürbar schwächer auf der Brust und pulsieren bei langsamer Fahrt. Jedoch ist kein Antrieb so elegant ins Chassis integriert und läuft so leise wie der Brose-Motor am Rotwild. Allein das ist schon ein Alleinstellungsmerkmal der Dieburger Edelschmiede.
Die Bergab-Performance der vier Kandidaten hatten bereits unsere Kollegen vom FREERIDE-Magazin im Bikepark Samerberg ausgiebig getestet. Liebling der Tester in dieser Disziplin ist das Rotwild. Die Geometrie der Dieburger schafft die Grätsche zwischen Laufruhe bei Highspeed und Spritzigkeit im Singletrail einfach am besten. Garniert ist das Ganze mit einem Top-Fahrwerk und reichlich Federweg. Das Besondere am Rotwild: Das RE+ fährt sich mehr als die Konkurrenz wie ein klassisches Enduro ohne Motor. An kleinen Rampen mal schnell abziehen? Kein Problem, das Rotwild ist von Absprung bis Landung fein austariert. Nie hat man das Gefühl, das Heck bliebe am Boden kleben. Cube und Haibike nehmen sich nach Punkten nicht viel. Das große Plus am Haibike: sein Fahrwerk. Hinterbau und Gabel bieten satten Federweg und viel Komfort, jedes Kieselsteinchen wird vom Trail gesaugt. Nur bei sehr schneller Fahrt kommt das Nduro ins Straucheln. Ursache: die kurze Geometrie. Das Cube liefert, ähnlich dem Rotwild, top Allround-Eigenschaften: viel Reserven und ausgewogene Fahrleistungen. Lapierre hat mit seiner klassischen, langen Enduro-Geometrie gute Anlagen. Das Fahrwerk hinten wirkt allerdings etwas unausgewogen. Außerdem lässt das Bike aus Frankreich etwas Spritzigkeit vermissen.
Unterm Strich, und da sind sich alle Tester einig, liefern die E-Enduros einen enorm breiten Einsatzbereich. Federwege und griffige Reifen helfen sogar bergauf. Und auf schnellen Downhills liegen sie durch die günstige Schwerpunktlage sogar satter auf dem Trail als ihre unmotorisierten Pendants. Es lebe der vollkommene Kompromiss.
Fazit von EMTB Projektleiter Markus Greber
Es ist, als würde man behaupten, ein Porsche sei die beste Familienkutsche. Ein Enduro ist das Mittel der Wahl, wenn es um grobes Geläuf, Bikeparks und Mega-Jumps geht. Aber Enduros können noch viel mehr: Der üppige Federweg sorgt für Komfort und Sicherheitsreserven, die Sitzpositionen sind bequem, die Bremsen stark – beste Voraussetzungen für den ganz normalen Touren-Fahrer. Nachteile gegenüber Bikes mit weniger Federweg gibt es, wenn man ehrlich ist, kaum. Denn das Mehrgewicht, das die pannensicheren, traktionsstarken Laufräder und die Federelemente mit sich bringen, gleicht der Motor wieder aus. Klar, mit leichteren Bikes fährt man ein paar Höhenmeter mehr auf dem Tacho. Aber was zählt das gegen Sicherheit und Fahrspaß?
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